Für sie heißt es jetzt: Ran an die Semmeln
In der Region sind am Montag mehr junge Menschen in die Ausbildung gestartet als im vergangenen Jahr. Welche Branche dabei profitiert hat – und in welcher noch immer Fachkräfte gesucht werden
Neue Kollegen, neue Umgebung, neue Abläufe: Am ersten Tag prasseln die Eindrücke in der Regel nur so auf die Auszubildenden ein. Für den 15-jährigen Leonhard Müller aus Illertissen war es da nicht ganz so schlimm. Denn er war schon einmal in seinem jetzigen Ausbildungsbetrieb, der Bäckerei Kiechle in Bellenberg. „Ich habe hier letztes Jahr eine Woche lang ein Praktikum gemacht“, erzählt der Bäckerazubi. Dabei habe sich sein Interesse für den Beruf erst richtig gezeigt. Trotzdem: Der erste Arbeitstag war schon etwas Besonderes. Insgesamt haben bei Kiechle fünf Azubis angefangen: Zwei Konditoren, zwei Bäcker und eine Bürokauffrau. Sie sind fünf von insgesamt 202 jungen Menschen im Landkreis Neu-Ulm, die am Montag in ihre handwerkliche Ausbildung gestartet sind. 718 andere haben eine Ausbildung in den Bereichen Industrie, Dienstleistung und Handel begonnen.
Generell sei bei den Handwerksberufen ein neuer, positiver Trend zu erkennen, wie die Pressesprecherin der Handwerkskammer Schwaben, Monika Treutler-Walle, auf Nachfrage sagt. Denn während es in diesem Jahr 202 neue Azubis sind, waren es im vergangenen 175. Treutler-Walle kommentiert diese Entwicklung so: „Das ist eine ordentliche Steigerung.“Zugleich warnt sie aber davor, die Zahlen allzu positiv zu sehen. Denn mit einem plötzlichen Interesse hätten sie wenig zu tun, vielmehr mit der Organisation der Ausbildung. Denn manche Betriebe bildeten zyklisch aus. Das heißt: Sie beschäftigen nur einen Auszubildenden, bis er die Lehre beendet hat. Erst dann stellen sie
Viele Abiturienten machen eine Ausbildung
einen neuen ein, wieder für drei Jahre, wieder als einzigen. „Das kann auch in diesem Jahr so sein, dass viele fertig geworden sind und Plätze frei wurden.“
Trotz der guten Zahlen gibt es im Landkreis Neu-Ulm 59 Ausbildungsplätze, die noch unbesetzt sind. Vor allem im Nahrungsmittelhandwerk, beispielsweise bei Bäckern und Metzgern, seien Stellen unbesetzt geblieben. „Man spürt den demografischen Wandel. Wir haben weniger Schulabgänger als früher und die werden dafür von allen Wirtschaftsbereichen umworben“, sagt Treutler-Walle. Ange- hende Handwerksazubis könnten sich derzeit aussuchen, in welchem Betrieb sie ihre Ausbildung absolvieren wollen. Außerdem, sagt sie, gehe der Trend wieder mehr in Richtung Ausbildung. „Studieren ist nicht mehr so beliebt. Viele Jugendliche finden, dass sie auch mit einer Ausbildung gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.“
Ein Beispiel für diesen Trend ist die 20-jährige Fabienne Rahm, die seit Montag ebenfalls bei Kiechle arbeitet. Sie hat das Abitur gemacht, dann aber beschlossen, lieber etwas Praktisches wie eine Ausbildung zu beginnen. „Die 13 Jahre Schule haben mir gereicht. Da wollte ich jetzt nicht gleich studieren“, sagt sie. Die Ausbildung zur Konditorin habe sich da so ergeben. „Meine Eltern haben zu Hause einen Bauernhof. Da passt das irgendwie.“
Aber nicht nur das Handwerk erlebt im Landkreis Neu-Ulm einen Zuwachs an Azubis. Im Bereich Industrie, Dienstleistung und Handel begannen laut Informationen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben am Montag 718 junge Menschen ihre Lehre – das sind 63 mehr als vor einem Jahr. Besonders groß war die Steigerung mit einem Plus von 12,7 Prozent bei den kaufmännischen Berufen – und da vor allem im Einzelhandel. Starteten im vergangenen Jahr 135 junge Menschen in dieser Branche eine Ausbildung, waren es in diesem Jahr 157, wie Josefine Steiger, Leiterin der Fachabteilung Ausbildung, sagt.
Steiger ist der Ansicht, dass der Handel ein „sehr intensives Ausbildungsmarketing“betrieben hat – obwohl der Bereich Handel gleichzeitig der ist, der noch die meisten unbesetzten Stellen zu verzeichnen hat. Dahinter kommt die Logistikbranche, so die Expertin. Wer noch auf der Suche ist, hat laut Steiger derzeit gute Chancen noch eine Ausbildung zu finden – sei es über das Bewerbungsmanagement der IHK, die Lehrstellenbörse im Internet oder anhand der Facebook-Beiträge der IHK. Steiger betont: „Nur weil jetzt der offizielle Ausbildungsstart war, heißt das nicht, dass man in den nächsten Tagen nicht noch loslegen kann.“
In der Stadt Ulm begannen am Montag 801 junge Menschen eine Ausbildung im Bereich Industrie, Dienstleistung und Handel. Im handwerklichen Bereich waren bis Ende August 274 neue Lehrlingsverträge geschlossen worden. Ähnlich viele sind es im Landkreis Unterallgäu. Dort waren es in den Handwerksberufen 262, genau einer weniger als im Vorjahr. Im Bereich Industrie, Dienstleistung und Handel haben sogar 1129 junge Unterallgäuer eine Ausbildung angefangen, davon allein 435 in der Stadt Memmingen. Das seien 2,5 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Laut Steiger haben sich vor allem die technischen wie metallverarbeitenden Ausbildungen positiv hervorgetan. Dort gab es einen Zuwachs von knapp zehn Prozent. Andere Branchen, wie die Gastronomie und die Chemieverarbeitung, hätten jedoch mit offenen Stellen zu kämpfen.
Auch wenn es in der Bäckerbranche derzeit allgemein nicht ganz einfach ist, neue Auszubildende zu finden, so ist Julia Kiechle, die sich in der Bäckerei in Bellenberg unter anderem um die Azubis kümmert, doch von dem Beruf überzeugt – und betont, dass man mit der Zeit gehe. Wohl auch deshalb schlägt man im Betrieb bei den Auswahlverfahren neue Wege ein. „Wir haben eigentlich keine traditionellen Vorstellungsgespräche mehr. Die Bewerber kommen zu uns, arbeiten hier einen Tag mit und dann sehen sie schon, ob das was für sie ist“, erklärt Kiechle. Die Zeugnisnoten seien für das Unternehmen hingegen eher unwichtig.
Entgegen des allgemeinen Trends habe der Betrieb in den vergangenen Jahren kaum Probleme gehabt, neue Auszubildende zu finden. Nur in diesem Jahr habe sich niemand für die Ausbildung zur Verkäuferin gefunden, dafür wurden jeweils zwei angehende Konditoren und Bäcker eingestellt. „Normalerweise haben wir in jeder Abteilung nur einen.“
Kiechle hat bei der Suche nach Azubis kaum Probleme