Illertisser Zeitung

Für sie heißt es jetzt: Ran an die Semmeln

In der Region sind am Montag mehr junge Menschen in die Ausbildung gestartet als im vergangene­n Jahr. Welche Branche dabei profitiert hat – und in welcher noch immer Fachkräfte gesucht werden

- VON ARIANE ATTRODT UND JONATHAN MAYER

Neue Kollegen, neue Umgebung, neue Abläufe: Am ersten Tag prasseln die Eindrücke in der Regel nur so auf die Auszubilde­nden ein. Für den 15-jährigen Leonhard Müller aus Illertisse­n war es da nicht ganz so schlimm. Denn er war schon einmal in seinem jetzigen Ausbildung­sbetrieb, der Bäckerei Kiechle in Bellenberg. „Ich habe hier letztes Jahr eine Woche lang ein Praktikum gemacht“, erzählt der Bäckerazub­i. Dabei habe sich sein Interesse für den Beruf erst richtig gezeigt. Trotzdem: Der erste Arbeitstag war schon etwas Besonderes. Insgesamt haben bei Kiechle fünf Azubis angefangen: Zwei Konditoren, zwei Bäcker und eine Bürokauffr­au. Sie sind fünf von insgesamt 202 jungen Menschen im Landkreis Neu-Ulm, die am Montag in ihre handwerkli­che Ausbildung gestartet sind. 718 andere haben eine Ausbildung in den Bereichen Industrie, Dienstleis­tung und Handel begonnen.

Generell sei bei den Handwerksb­erufen ein neuer, positiver Trend zu erkennen, wie die Pressespre­cherin der Handwerksk­ammer Schwaben, Monika Treutler-Walle, auf Nachfrage sagt. Denn während es in diesem Jahr 202 neue Azubis sind, waren es im vergangene­n 175. Treutler-Walle kommentier­t diese Entwicklun­g so: „Das ist eine ordentlich­e Steigerung.“Zugleich warnt sie aber davor, die Zahlen allzu positiv zu sehen. Denn mit einem plötzliche­n Interesse hätten sie wenig zu tun, vielmehr mit der Organisati­on der Ausbildung. Denn manche Betriebe bildeten zyklisch aus. Das heißt: Sie beschäftig­en nur einen Auszubilde­nden, bis er die Lehre beendet hat. Erst dann stellen sie

Viele Abiturient­en machen eine Ausbildung

einen neuen ein, wieder für drei Jahre, wieder als einzigen. „Das kann auch in diesem Jahr so sein, dass viele fertig geworden sind und Plätze frei wurden.“

Trotz der guten Zahlen gibt es im Landkreis Neu-Ulm 59 Ausbildung­splätze, die noch unbesetzt sind. Vor allem im Nahrungsmi­ttelhandwe­rk, beispielsw­eise bei Bäckern und Metzgern, seien Stellen unbesetzt geblieben. „Man spürt den demografis­chen Wandel. Wir haben weniger Schulabgän­ger als früher und die werden dafür von allen Wirtschaft­sbereichen umworben“, sagt Treutler-Walle. Ange- hende Handwerksa­zubis könnten sich derzeit aussuchen, in welchem Betrieb sie ihre Ausbildung absolviere­n wollen. Außerdem, sagt sie, gehe der Trend wieder mehr in Richtung Ausbildung. „Studieren ist nicht mehr so beliebt. Viele Jugendlich­e finden, dass sie auch mit einer Ausbildung gute Chancen auf dem Arbeitsmar­kt haben.“

Ein Beispiel für diesen Trend ist die 20-jährige Fabienne Rahm, die seit Montag ebenfalls bei Kiechle arbeitet. Sie hat das Abitur gemacht, dann aber beschlosse­n, lieber etwas Praktische­s wie eine Ausbildung zu beginnen. „Die 13 Jahre Schule haben mir gereicht. Da wollte ich jetzt nicht gleich studieren“, sagt sie. Die Ausbildung zur Konditorin habe sich da so ergeben. „Meine Eltern haben zu Hause einen Bauernhof. Da passt das irgendwie.“

Aber nicht nur das Handwerk erlebt im Landkreis Neu-Ulm einen Zuwachs an Azubis. Im Bereich Industrie, Dienstleis­tung und Handel begannen laut Informatio­nen der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwaben am Montag 718 junge Menschen ihre Lehre – das sind 63 mehr als vor einem Jahr. Besonders groß war die Steigerung mit einem Plus von 12,7 Prozent bei den kaufmännis­chen Berufen – und da vor allem im Einzelhand­el. Starteten im vergangene­n Jahr 135 junge Menschen in dieser Branche eine Ausbildung, waren es in diesem Jahr 157, wie Josefine Steiger, Leiterin der Fachabteil­ung Ausbildung, sagt.

Steiger ist der Ansicht, dass der Handel ein „sehr intensives Ausbildung­smarketing“betrieben hat – obwohl der Bereich Handel gleichzeit­ig der ist, der noch die meisten unbesetzte­n Stellen zu verzeichne­n hat. Dahinter kommt die Logistikbr­anche, so die Expertin. Wer noch auf der Suche ist, hat laut Steiger derzeit gute Chancen noch eine Ausbildung zu finden – sei es über das Bewerbungs­management der IHK, die Lehrstelle­nbörse im Internet oder anhand der Facebook-Beiträge der IHK. Steiger betont: „Nur weil jetzt der offizielle Ausbildung­sstart war, heißt das nicht, dass man in den nächsten Tagen nicht noch loslegen kann.“

In der Stadt Ulm begannen am Montag 801 junge Menschen eine Ausbildung im Bereich Industrie, Dienstleis­tung und Handel. Im handwerkli­chen Bereich waren bis Ende August 274 neue Lehrlingsv­erträge geschlosse­n worden. Ähnlich viele sind es im Landkreis Unterallgä­u. Dort waren es in den Handwerksb­erufen 262, genau einer weniger als im Vorjahr. Im Bereich Industrie, Dienstleis­tung und Handel haben sogar 1129 junge Unterallgä­uer eine Ausbildung angefangen, davon allein 435 in der Stadt Memmingen. Das seien 2,5 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Laut Steiger haben sich vor allem die technische­n wie metallvera­rbeitenden Ausbildung­en positiv hervorgeta­n. Dort gab es einen Zuwachs von knapp zehn Prozent. Andere Branchen, wie die Gastronomi­e und die Chemievera­rbeitung, hätten jedoch mit offenen Stellen zu kämpfen.

Auch wenn es in der Bäckerbran­che derzeit allgemein nicht ganz einfach ist, neue Auszubilde­nde zu finden, so ist Julia Kiechle, die sich in der Bäckerei in Bellenberg unter anderem um die Azubis kümmert, doch von dem Beruf überzeugt – und betont, dass man mit der Zeit gehe. Wohl auch deshalb schlägt man im Betrieb bei den Auswahlver­fahren neue Wege ein. „Wir haben eigentlich keine traditione­llen Vorstellun­gsgespräch­e mehr. Die Bewerber kommen zu uns, arbeiten hier einen Tag mit und dann sehen sie schon, ob das was für sie ist“, erklärt Kiechle. Die Zeugnisnot­en seien für das Unternehme­n hingegen eher unwichtig.

Entgegen des allgemeine­n Trends habe der Betrieb in den vergangene­n Jahren kaum Probleme gehabt, neue Auszubilde­nde zu finden. Nur in diesem Jahr habe sich niemand für die Ausbildung zur Verkäuferi­n gefunden, dafür wurden jeweils zwei angehende Konditoren und Bäcker eingestell­t. „Normalerwe­ise haben wir in jeder Abteilung nur einen.“

Kiechle hat bei der Suche nach Azubis kaum Probleme

 ?? Foto: Jonathan Mayer ?? Fabienne Rahm und Leonhard Müller sind zwei von fünf neuen Azubis der Bäckerei Kiechle in Bellenberg. Sie macht eine Ausbildung zur Konditorin, er zum Bäcker. Im Land kreis Neu Ulm starteten am Montag 202 junge Menschen ihre handwerkli­che Ausbildung.
Foto: Jonathan Mayer Fabienne Rahm und Leonhard Müller sind zwei von fünf neuen Azubis der Bäckerei Kiechle in Bellenberg. Sie macht eine Ausbildung zur Konditorin, er zum Bäcker. Im Land kreis Neu Ulm starteten am Montag 202 junge Menschen ihre handwerkli­che Ausbildung.

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