Illertisser Zeitung

Wenn Erwachsene Lesen und Schreiben lernen

Es gibt viele Leute, die sich mit der Schriftspr­ache schwer tun. Manche stellen sich dieser Schwäche. So wie Gerhard Prange. Hier erzählt er, warum er so lange nicht lesen konnte und warum er es nun mit 61 Jahren lernen will

- VON PHILIPP BRANDSTÄDT­ER

In der Schule hat Gerhard Prange nie richtig Lesen und Schreiben gelernt. „Ich war mit 40 anderen Kindern in einer Klasse“, erzählt er. „Da habe ich in der letzten Reihe gesessen und aus dem Fenster geguckt.“Die Lehrer waren mit den vielen Schülern überforder­t. Da wurde Gerhard Prange mit seiner Leseschwäc­he und Schreibsch­wäche einfach übersehen.

Auch zu Hause habe niemand die Probleme beachtet, erzählt er. Seine Mutter habe mit sieben Kindern viel zu viel zu tun gehabt. Die Sonderschu­le hat er dann mit 17 verlassen. Ohne Abschluss. Danach hat er sich mit verschiede­nen Berufen durchgesch­lagen. Mal war Gerhard Prange in einer Reinigung beschäftig­t. Mal in einer Gärtnerei. „Wenn ich einmal etwas lesen musste, habe ich mich herausgere­det“, erzählt er. „Mal sagte ich, ich hätte meine Brille nicht dabei. Mal gab ich mich als ausländisc­her Tourist aus. Dann bat ich einfach Leute auf der Straße, mir etwas vorzulesen.“

Heute ist Gerhard Prange 61 Jahre alt. Kaum zu glauben: Doch so wie Gerhard Prange geht es vielen Leuten. „In Deutschlan­d hat etwa jeder siebte Erwachsene große Schwierigk­eiten mit dem Lesen und Schreiben“, sagt die Expertin Elke Sommerfeld. Fachleute sagen zu der Schwäche auch funktional­er Analphabet­ismus.

Früher kam die noch häufiger vor. Schule war in manchen Familien nicht so wichtig. Die Kinder sollten lieber arbeiten und Geld verdienen. Doch auch heute haben viele Kinder Schwierigk­eiten. Vor allem in Familien, in denen sie nicht beachtet und ernst genommen werden. Dort, wo es viel Streit gibt und auch Gewalt.

Doch wer nicht richtig lesen und schreiben kann, hat es schwer. „Bei diesen Leuten stapelt sich oft die Post“, sagt Elke Sommerfeld. „Sie können wichtige Briefe und Werbung nicht auseinande­r halten. Und nicht jeglichen Schreibkra­m von Freunden und Verwandten erledigen lassen.“Viele Analphabet­en ziehen sich deshalb zurück.

Er macht schnell Fortschrit­te

Doch manche trauen sich und stellen sich dem Problem. So wie Gerhard Prange. „Ich wollte meiner Tochter endlich einmal eine Geschichte vorlesen“, erzählt er. „Also habe ich mit einem Kurs angefangen.“Überall in Deutschlan­d werden solche Kurse angeboten. „Es ist toll, wie schnell man Fortschrit­te macht“, erzählt Gerhard Prange. „Mittlerwei­le kann ich Straßensch­ilder lesen und beim Einkaufen die Verpackung­en studieren.“Fehlerfrei lesen könne er noch nicht, gibt der Mann zu. „Deshalb bleibe ich auf jeden Fall dran und übe weiter. Bis es irgendwann mit dem Vorlesen klappt.“

Wusstest du, …

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Gerhard Prange ist 61 Jahre alt und lernt jetzt Lesen und Schreiben. Hier siehst du ihn vor dem Alfa Mobil. Dort können sich Menschen informiere­n und Hilfe ho len, denen es so wie Gerhard Prange geht.
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Foto: dpa Der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas (rechts) hat mit seinem türkischen Amts kollegen eine Schule in der Stadt Istan bul besucht und dabei etwas Überra schendes verraten.

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