Die Lehren aus dem Missbrauch in Staufen
Behörden räumen Fehler im Fall des jahrelang vergewaltigten Buben ein und kündigen Konsequenzen an
Im grausamen Fall um den jahrelangen Missbrauch eines kleinen Jungen aus Staufen bei Freiburg haben die Behörden Fehler und Versäumnisse eingeräumt und Verbesserungsvorschläge gemacht. Nicht alle Erkenntnismöglichkeiten seien ausgeschöpft worden, hieß es in einem am Donnerstag vorgestellten Abschlussbericht.
Informationen seien „nicht frühestmöglich“weitergegeben worden. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Stellen müsse verbessert, der Anhörung von Kindern vor Gericht noch größere Bedeutung beigemessen werden. Verbote, die Gerichte erließen, müssten kontrolliert werden – von wem, müsse direkt abgestimmt werden. Unter Federführung des Sozialministeriums sollen aus den Erkenntnissen des Berichts auch mögliche Konsequenzen für das Land analysiert werden. Am Donnerstag gründete sich dazu eine ressortübergreifende Kommission Kinderschutz aus Sozial-, Innen-, Justiz-, Kultus- und Staatsministerium.
Das Opfer – ein heute zehn Jahre alter Junge – war mehr als zwei Jahre lang von seiner Mutter und deren Lebensgefährten vergewaltigt und an andere Männer verkauft worden. Das Paar ist bereits verurteilt. Den Behörden waren in dem Fall schwere Fehler vorgeworfen worden. Die Familie stand zwar unter Beobachtung. Der Missbrauch blieb aber trotz Hinweisen verschiedener Stellen lange unentdeckt.
So wurde beispielsweise ein Kontaktverbot des einschlägig vorbestraften Lebensgefährten zu dem Kind von niemandem überwacht. Der Mann lebte viele Monate unter einem Dach mit dem Jungen. Das seinerzeit für den Fall zuständige Jugendamt betonte, sich bei Kinderschutzverfahren stärker einbringen zu wollen. „Wir haben unsere Rolle ● hatte die Familie zwar im Blick wegen allgemeiner möglicher Gefährdung des Kindes wohls. Erst im März 2017 aber nahm das Amt das Kind in Obhut. Denn erst da erfuhr es, dass das Kind mit ei nem einschlägig vorbestraften Sexual straftäter, dem Partner der Mutter, zusammenwohnte. Ein späterer Hin weis der Schule, der inzwischen wie der bei seiner Mutter lebende Junge werde möglicherweise missbraucht, wurde zwar diskutiert, ließ sich aus Sicht des Amtes aber nicht erhärten. nicht voll ausgespielt“, sagte der Leiter des Dezernats Soziales und Jugend des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald, Thorsten Culmsee. Als Beispiel nannte er, dass das Jugendamt den Jungen in Obhut genommen hatte, das Kind vom Familiengericht vier Wochen später aber zurück in die Familie geschickt wurde. Außerdem sei nicht kritisch hinterfragt worden, warum der Junge nicht angehört worden sei.
„Wir sind der Entscheidung des Gerichtes, dem Kind keinen Verfahrensbeistand zur Seite zu stellen, ● Freiburg schickte den Jungen nach nur vier wöchiger Inobhutnahme zurück zur Mutter. Das Kind wurde nicht ange hört vor Gericht, obwohl das gesetzlich in solchen Fällen eigentlich vorge schrieben ist. Ausnahmen sollten be gründet werden – was jedoch eben falls unterblieb. ● Karlsruhe bestätigte die Entscheidung, das Kind in die Familie zurückzugeben. Die detailreiche Akte des vorbestraften Partners der Mutter lag den Gerichten nicht entgegengetreten“, sagte Culmsee. Er kündigte an, dass für das Jugendamt zeitnah eine neue Stelle für einen Volljuristen geschaffen werde. Damit soll den Sozialarbeitern juristischer Sachverstand für familiengerichtliche Verfahren zur Seite gestellt werden – Neuland in Baden-Württemberg, sagte er. Anhörungen des Kindes vor Gericht sind eigentlich als Normalfall im Gesetz vorgeschrieben. Ausnahmen sind zwar möglich, wurden im Fall des Jungen von Staufen aber nicht schriftlich begründet.
Auch das müsse künftig anders ● gehandhabt werden, sagte der Präsident des Karlsruher Oberlandesgerichts, Alexander Riedel. „Wir müssen das dokumentieren, auch um uns selber nochmal zu vergewissern, ob eine solche Entscheidung korrekt ist.“Es gehe aber nicht um Schuldzuweisungen. Jeder würde das Geschehene gerne ungeschehen
Welche Rollen spielten die Behörden? Es gehe nicht um Schuldzuweisungen
machen. „An erster Stelle steht das Bedauern über das Schicksal des Jungen, das nicht rückgängig zu machen ist“, sagte Riedel. „Die Beteiligten tragen schwer daran“, sagte auch die Landrätin des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald, Dorothea Störr-Ritter. Wann die nun gebildete Kommission Kinderschutz für das Land Ergebnisse vorlegt, ist noch unklar. Aus Sicht des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD, Sascha Binder, greift die Maßnahme zu kurz. „Wir fordern eine externe und unabhängige Expertenkommission“, sagte er. Thomas Poreski, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag begrüßte die Kommission hingegen als „richtige Konsequenz aus dem Fall Staufen“.