„Ich bin’s“: Wie Telefonbetrüger mit perfiden Tricks Beute machen
Im August hat die Polizei in der Region einen Rekordwert an solchen Delikten verzeichnet. In Senden und Illertissen wurde dabei viel Geld gestohlen. Was die Ermittler wissen
Spät am Abend legt eine ältere Frau in Elchingen 8500 Euro vor ihre Haustür. Eine andere überreicht in Senden 30000 Euro an einen Unbekannten. Und in Illertissen hebt ein Rentner 62 000 Euro ab und übergibt sie einer Fremden. Alle drei Senioren werden dadurch zu Opfern von gerissenen Betrügern. Die Ersparnisse sind weg, die Bestürzung ist groß. Die Fälle ereigneten sich im August: Kriminelle hatten sich gegenüber den älteren Menschen am Telefon als Polizisten und Verwandte ausgegeben. Mit Erfolg.
So unglaublich diese Geschichten auch klingen mögen, sie sind wahr. Sie zeigen, wie geschickt Betrüger heutzutage vorgehen. Und wie massiv. Die Beutezüge in Elchingen, Senden und Illertissen waren längst nicht die einzigen Fälle in der Region: Im August verzeichnete die Polizei einen starken Anstieg bei der Zahl solcher Betrugsversuche. Vor allem falsche Polizisten trieben ihr Unwesen: Im Schutzbereich des Präsidiums Schwaben Süd/West mit Sitz in Kempten (von Lindau bis Neu-Ulm) wurden 186 Delikte gemeldet, 65 waren es allein bei der Kriminalpolizei (Kripo) Neu-Ulm. Daneben gab es im gleichen Monat 15 Betrugsfälle mit vermeintlichen Verwandten. Das sind Spitzenwerte im Jahr 2018. Die Dunkelziffer dürfte noch weit darüber liegen. Die Ursache? „Schwer zu sagen“, sagt Jürgen Salzmann, der Sprecher der Kripo Neu-Ulm. Er geht er davon aus, dass die Medienberichte über die ersten Fälle viele Menschen hellhörig gemacht haben. Deshalb seien wohl mehr verdächtige Beobachtungen gemeldet worden.
Warum haben die Täter mit solchen Maschen immer noch Erfolg? Das sei für Ermittler durchaus frustrierend, räumt Salzmann ein. Sie wünschten sich grundsätzlich ein stärker ausgeprägtes Misstrauen. Die Opfer seien aber meist nicht einfältig. Denn die Betrüger arbeiteten mit perfiden Tricks, sagt Salzmann. Die falschen Polizisten spielten mit dem Autoritätsbewusstsein und der Gesetzestreue der Angerufenen – und der Angst ums eigene Vermögen. Erzählt werde nämlich oft eine Räuberpistole von einem angeblich bevorstehenden Einbruch und von der Notwendigkeit, zuvor noch schnell die Wertsachen in Sicherheit zu bringen.
Aber auch beim sogenannten „Enkeltrick“wird eine erfundene Geschichte aufgetischt: Gewiefte Anrufer geben sich als Verwandte oder Bekannte aus. Und das äußerst geschickt. Salzmann spricht von einer „Gesprächsführungstaktik“. So meldeten sich die Kriminellen nicht mit einem Namen, sondern mit einem knappen „Ich bin’s“. Dann versuchten sie das Vertrauen des Angerufenen zu gewinnen, stellten Fragen, hakten nach. Solange bis der einen Namen ins Spiel bringe. Oft gäben Betrugsopfer später bei der Befragung durch die Polizei an, der Anrufer habe alles gewusst und überzeugend gewirkt. Bei genauer Analyse des Gesprächsverlaufs zeige sich dann aber, dass sie den Tätern unbewusst vieles verraten haben, erklärt Salzmann. Ist so eine Vertrauensbasis aufgebaut, schildern die Kriminellen eine erfundene Notlage und bitten um Geld. Und das nicht nur einmal.
„Sie manchen Stress und Druck, insistieren, rufen immer wieder an“, schildert Florian Wallner, der Pres- sesprecher des Präsidiums Schwaben Süd/West in Kempten das Vorgehen. Immer wieder klingle das Telefon: Die Täter versuchten, ihre auserkorenen Opfer zu beschäftigen, verteilten Aufgaben und ließen die Angerufenen „gar nicht mehr zur Ruhe kommen“. Geschweige denn zum Nachdenken darüber, für wen sie da vielleicht gerade ihr Konto plündern. Die Angerufenen würden durch psychologische Tricks regelrecht kontrolliert, sagt Wallner. Die Opfer seien der Auffassung, dass die geschilderten Situationen echt sind. Dass sich wirklich ein Verwandter in schlimmer Geldnot befinde. Oder ein Auto kaufen wolle. Schließlich folge der Gang zur Bank. So war es Ende August bei den Fällen in Senden und Illertissen. Die Beute: insgesamt 80 000 Euro.
Die Betrüger überlassen nichts dem Zufall: Die Telefonanrufe gingen von organisierten Banden aus, die dazu teilweise eigene Callcenter im Ausland betreiben, sagt Wallner. Und die „grasen“dann Landstriche mit Anrufen ab. Das zeige sich etwa daran, dass innerhalb kleiner Bereiche und weniger Tage mehrere Anrufe registriert werden. Auch bei den falschen Polizisten war das so.
Besonders perfide aus Sicht der echten Polizei: Wenn die Betrüger bei ihrem Anruf durch ein spezielles Computerprogramm im Display der Angerufenen die Notrufnummer 110 anzeigen lassen, oder sogar die der zuständigen Polizeidienststelle. Das sei also kein Grund für falsches Vertrauen, sagt Polizist Salzmann. Im Zweifel: Auflegen. Und die echte Polizei anrufen.
Wenn Bürger Tausende Euro vor ihre Haustüre legen oder einem Fremden in die Hand drücken, dann klingt das zunächst einmal nach sträflichem Leichtsinn. Denken wir über die Opfer von Betrugsfällen wie denen in Elchingen, Senden und Illertissen nicht so etwas wie: Selber schuld? Ehrlich gesagt: ja. Aber das ist arrogant. Denn die Betrüger gehen perfide vor, sie scheinen immer geschickter darin zu werden, das Vertrauen ihrer Opfer zu gewinnen. Meist suchen sich die Kriminellen zwar ältere Menschen aus, bei denen sie vermeintlich leichte Beute wittern. Aber ob jüngere Leute die heutigen Betrugsmaschen sofort durchschauen würden, müsste sich erst einmal zeigen. Dem kriminellen Einfallsreichtum sind in unserer modernen Welt scheinbar keine Grenzen gesetzt. Es gibt viele Wege, ihm auf den Leim zu gehen: bei einem supergünstigen (aber erfundenen) Schnäppchen etwa oder bei einem verlockenden Gewinnversprechen. Dafür sind schließlich die meisten Menschen empfänglich. Mal ehrlich: Wer würde nicht gerne etwas tolles umsonst bekommen? Prinzipiell können wir also alle Betrugsopfer werden.
Dagegen helfen könnte ein ausgeprägteres Misstrauen, sagt die Polizei. Es ist sicher keine schöne Vorstellung, dauerskeptisch durch die Welt zu laufen. Aber vielleicht müssen wir uns mit ihr anfreunden. Nicht alles hinnehmen, sondern öfter mal nachfragen. Auch wenn es Überwindung kostet, dem Gegenüber vermeintlich auf den Schlips zu treten. Man muss ja nicht gleich unfreundlich oder gar unverschämt werden – aber Nachhaken kann entlarvend sein. Ob es sich um einen angeblichen Verwandten, falschen Polizisten oder böswilligen Internethändler handelt.
Die bestohlenen Senioren in Elchingen, Senden und Illertissen hätte eine Nachfrage zur richtigen Zeit wohl vor einem großen finanziellen Schaden bewahren können. Vielleicht wussten die Bürger auch gar nichts von den Maschen. Deshalb sollte man immer wieder darüber reden. Und davor warnen.