Zu spät, noch was zu ändern
Niemand interessiert sich so ernsthaft für das Leben des Prekariats wie Heinz Strunk. Über Karrieren, Werdegänge und fiese Schicksale
„Wo einst Liebe war, ist heute Hass“, heißt es in Ihrem neuen Buch. Was ist so interessant an Paaren, die zwischen Liebe und Hass pendeln?
Für einen Autor ist es deutlich interessanter, sich mit gebrochenen Biografien zu beschäftigen als mit der Welt der Reichen, Schönen und Glücklichen. Bei der Geschichte, auf die Sie sich beziehen, ist die Frage, ob es überhaupt jemals so was wie Liebe gewesen ist. Er redet z. B. von ihr niemals anders als „meine Lebensabschnittsgefährtin“. Diese Beziehung ist eine „Need-Company“. Nicht wenige Paare finden sich, weil sie einfach nicht alleine sein wollen und vielleicht auch nicht ihren Traumpartner bekommen.
Ist Ausharren im Leid attraktiver als Freiheit?
Der Mensch neigt dazu, eine schwierige Situation eher auszuhalten, als den Befreiungsschlag zu wagen. Weil immer die Befürchtung besteht, dass eine Veränderung eine Verschlechterung bedeutet. In einer anderen Geschichte versauert eine Frau in einem Imbiss. Irgendwann sind die Verhältnisse so zementiert, dass kein Befreiungsschlag mehr möglich ist.
Sind Sie beruflich Beobachter verschiedener Ereignisse und Menschen um sich herum?
Ja, da verschmelzen Beruf und Passion. Das genaue Beobachten ist im Lauf der letzten Jahre viel ausgeprägter geworden. Daraus beziehe ich auch meine Anregungen.
Ihre Geschichten drehen sich um Alkoholiker, Drogensüchtige, psychisch Kranke, Deformierte, Unglücksraben.
Das gerade nicht! Mir wird gelegentlich vorgeworfen, ich würde eine Freakshow inszenieren. Tatsächlich gibt es von mir nur wenige Geschichten, die wirklich vom Prekariat handeln. Ich finde, man sollte das nicht überlassen. Es gab in der deutschen Gegenwartsliteratur in den 60er und 70er Jahren eine Tradition. Jörg Fauser und Rolf Dieter Brinkmann behandelten Außenseiter, Abgehängte und Verzweifelte. Das ist leider zugunsten des bürgerlichen Familienromans ersetzt worden. Ich empfinde mich da als letzten Mohikaner. Die meisten Menschen machen keine Karriere, sondern sie haben Werdegänge.
Sie lassen Ihre skurrilen Figuren zum Teil furchtbar leiden. Liegt im Leid auch Hoffnung auf eine bessere Welt?
Die Hoffnung auf eine bessere Welt habe ich schon lange aufgegeben aufgrund meiner persönlichen Erfahrung. Es gibt ja den schönen Schlager „Über sieben Brücken musst du gehen“. Aber es können Leute auch über 700 Brücken gehen und es wartet am Ende doch nicht der helle Schein auf sie. Die Vorstellung der Schicksalsgerechtigkeit erfüllt sich aus meiner Beobachtung heraus nicht. Die meisten Biografien verlaufen relativ linear. Ich finde übrigens nicht, dass ich meine Figuren leiden lasse. Eigentlich versuche ich Menschen so genau und nüchtern zu beobachten, wie ich sie erlebe. Das mag mit meiner Sicht auf die Welt zusammenhängen, weil ich selbst schon einiges miterlebt habe.
Ist der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen?
Das ist nicht zu bestreiten. Aber es ist ein ewiger Kampf zwischen Vernunft und dem tierischen Teil wie Sexualität. Das kann ein sehr dunkler Bereich sein. Das Thema zieht sich seit „Fleisch ist mein Gemüse“durch meine Bücher, weil es zum Menschen dazugehört. Manche sind von einer wahnsinnig ausgeprägten und pervertierten Sexualität gegeißelt. Als ich das erste Mal Houellebecq gelesen habe, dachte ich: „Mensch, endlich sagt das mal einer!“Es ist aber nicht so, dass alle meine Geschichten sich explizit um Sexualität drehen.
In einer Geschichte des Buchs versetzen Sie Axl Rose in einen bedauernswerten Zustand. Wollten Sie sich an ihm rächen, weil Sie seine Musik nicht mögen?
Nein, um Gottes willen! Es hätte auch jeder andere sein können, der gerade ein Konzert in Hamburg gegeben hat. Ich fand nur Axl Rose sehr passend, gerade weil er damals diesen Stützverband hatte und ein bisschen hilflos war. In meiner Geschichte wird ihm am Ende Bier in den Nacken gekippt. Ich glaube, dass er wirklich ziemlich verspottet wurde oder immer noch wird. Er war ja mal irre arrogant und jetzt ist er dick und desolat. Da reagieren die Leute sehr schnell mit Häme.