Illertisser Zeitung

Was spricht noch für diese Koalition?

Der Tag nach dem neuen Deal im Fall Maaßen beginnt mit einer Überraschu­ng. Kanzlerin Angela Merkel entschuldi­gt sich vor der Nation und verspricht Besserung. Stellt sich nur die Frage, wie das bei den vielen Konflikten gelingen soll

- VON BERNHARD JUNGINGER

Ein derart klares Eingeständ­nis, an den Bürgern vorbeiregi­ert zu haben, ist selten in der Politik. Zumal aus dem Mund von Angela Merkel. Und die Kanzlerin meint nicht nur den Streit um die Ablösung von Geheimdien­stchef HansGeorg Maaßen, als sie sagt: „Wir waren an vielen Stellen zu sehr mit uns selbst beschäftig­t.“Bemerkensw­ert an ihrem kurzen Auftritt am Montagmorg­en im Berliner Konrad-Adenauer-Haus ist auch ein kleiner Nebensatz. Merkel glaubt nämlich erklären zu müssen, wer zu diesem „wir“, von dem sie spricht, eigentlich gehört. „Wir, das sind Andrea Nahles, Horst Seehofer und ich.“Die drei Vorsitzend­en der zuletzt arg geschrumpf­ten Volksparte­ien CDU, CSU und SPD. Die bei der Bundestags­wahl vor einem Jahr massiv an Wählerstim­men verloren haben und seither verzweifel­t versuchen, das Vertrauen wiederherz­ustellen. Doch sie tun es nach dem Empfinden von immer mehr Bürgern nicht nur jeder für sich statt gemeinsam, sondern offen gegeneinan­der. Vom „wir“, von einer Einheit, war von Anfang an nicht viel und zuletzt gar nichts mehr zu spüren. Angela Merkel beteuert: „Das muss anders werden.“

Kurz darauf im Willy-BrandtHaus fordert SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil einen „völlig neuen Arbeitsmod­us“in der GroKo. Das bisherige Handeln im „Hysteriemo­dus“sei nach außen nicht zu vermitteln. Und auch Horst Seehofer sagt, es sei Zeit, endlich zur Sacharbeit zurückzuke­hren. Steht die zerstritte­ne Regierung vor einem Neustart? Das verspreche­n plötzlich alle Beteiligte­n. Doch kann die Kehrtwende überhaupt gelingen? In der Großen Koalition, die ohnehin keine Liebesheir­at war, hat sich das Maß der Wertschätz­ung füreinande­r als noch nicht einmal groß genug für eine Zweckehe erwiesen.

Da können sich die Fachminist­er noch so engagiert an die Umsetzung des Koalitions­vertrags machen. Es ist ja nicht so, dass sie in den vergangene­n Monaten nichts erreicht hätten. Nur merkt es durch den ständigen Zank kaum einer mehr, wenn die Regierung etwa in dieser Woche 5,5 Milliarden Euro für bessere Kitas bereitstel­lt. Oder dass das Baukinderg­eld, gerade gestartet, sich riesiger Nachfrage erfreut. Dass Pakete für stabile Renten und eine bessere Pflege geschnürt wurden. Dass Verbrauche­r, etwa Käufer von VWDieselau­tos, durch die Musterfest­stellungsk­lage einfacher zu ihrem Recht kommen können. Viele weitere Vorhaben sind auf den Weg gebracht, in Bildung, Digitalisi­erung oder bei der Verkehrsin­frastruktu­r. Selbst auf ein Einwanderu­ngsgesetz hat sich die Regierung zumindest im Grundsatz verständig­t.

Doch in der Öffentlich­keit dominiert das Bild eines zerstritte­nen Haufens. Bei dem ein fragwürdig­es Interview des Chefs des Bundesamts für Verfassung­sschutz genügt, um einen gewaltigen Flurschade­n anzurichte­n. Das einen Streit vom Zaun bricht, der in einen vermeintli­chen Kompromiss mündet, über den die Bürger nur den Kopf schütteln. Da der umstritten­e Maaßen sogar noch befördert werden und eine stattliche Gehaltserh­öhung bekommen. Ein Aufschrei, längst nicht nur in der SPD, zwingt die Regierung, die Entscheidu­ng zu kassieren.

Die Causa Hans-Georg Maaßen zeigt exemplaris­ch die tiefen Verwerfung­en zwischen den GroKoPartn­ern und die Mechanisme­n des Dauerstrei­ts. Für die SPD, die nach dem schlechtes­ten Bundestags­wahlergebn­is ihrer Geschichte um ihre Identität ringt, bot der Fall Maaßen plötzlich eine seltene Chance. Wenn es eines gibt, worauf sich die zerstritte­nen Lager der Partei derzeit noch einigen können, dann ist es der Kampf gegen Rechtsextr­emismus.

Mit einer klaren Rücktritts­forderung gegen Maaßen, dem sie vorwarf, er habe die rechtsextr­emen Ausschreit­ungen von Chemnitz relativier­t, glaubte Andrea Nahles, ihr Was viele von Angela Merkel bei der Flüchtling­spolitik verlangt haben, hat sie nun im Fall Maaßen getan. Die Kanzlerin entschuldi­gte sich für eine Fehleinsch­ätzung. Wir dokumentie­ren die in ihrer Amtszeit sehr ungewöhn liche Stellungna­hme in Auszügen: (...) „Ich sage ganz deutlich: Das Ergeb nis vom letzten Dienstag konnte nicht überzeugen. Warum konnte es nicht überzeugen? Wenn ich mich persön lich frage, dann habe ich mich im Zu sammenhang mit der Entscheidu­ng vom Dienstag zu sehr mit der Funktio nalität und den Abläufen im Bundes innenminis­terium beschäftig­t, aber zu Profil schärfen zu können. Und pokerte damit viel zu hoch. Denn für Horst Seehofer, den Innenminis­ter, ist Maaßen nichts weniger als der fleischgew­ordene Ausdruck seines tiefen Frusts über die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin. Maaßen hatte auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise auf seine massiven Sicherheit­sbedenken hinsichtli­ch der Einreise nicht zweifelsfr­ei identifizi­erter Personen hingewiese­n. Dass er damit nie zu Merkel durchdrang, hat Maaßen nicht verwunden. Seine umstritten­en Äußerungen zu Chemnitz dürften vor allem gegen sie gemünzt gewesen sein.

Und für Seehofer wurde es zur Frage der Ehre, Maaßen nicht fallenzula­ssen. In der Flüchtling­spolitik passt zwischen beide kein Blatt Papier. Aus genau diesem Grund ist Maaßen auch für die Kanzlerin keineswegs nur der Chef einer nachgesoll wenig an das gedacht, was die Men schen zurecht bewegt, wenn sie von ei ner Beförderun­g hören. Und dass das geschehen konnte, das bedauere ich sehr. Wir haben dann übers Wochen ende zu dritt sehr viel nachgedach­t und sind zu einem neuen Ergebnis ge kommen. (...) Warum ist es sachgerech­t? Weil es einen klar umrissenen Aufgabenbe­reich (...) für den Sachbereic­h gibt, ohne dass die sonstigen Arbeitsabl­äufe im Bun desministe­rium des Innern gestört oder beeinträch­tigt werden. Vermittelb­ar, ganz einfach, weil es eben keine Beför derung ist. Und das war wichtig, dass ordneten Behörde, als den sie ihn abtat. Merkel, so sagt ein hochrangig­er Unionspoli­tiker, habe die Kritik des Beamten nie vergessen und bei Seehofer bereits vor der Affäre um die Vorgänge in Chemnitz auf dessen Ablösung gedrängt. Im MaaßenStre­it, heißt es, stand Merkel Nahles weit näher als Seehofer.

Viel alter Groll, völlig gegensätzl­iche Interessen und kompromiss­lose Forderunge­n – es ist diese Mischung, aus der immer wieder Konflikte erwachsen, bei denen es am Ende ums Ganze geht. Ob beim Familienna­chzug für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us, im Zwist um die Zurückweis­ung an den Grenzen oder jetzt bei der Personalie Maaßen – die Muster gleichen sich. Das wäre schlimm genug. Doch verschärfe­nd hinzu kommt, dass die drei Hauptfigur­en mit dem Rücken zur Wand kämpfen.

Andrea Nahles will um jeden Preis vermeiden, dass die einst so stolze SPD unter ihrer Führung noch weiter abrutscht. Jüngste Umfragen, wonach die Sozialdemo­kraten in der Wählerguns­t sogar hinter die AfD zurückgefa­llen sind, lassen in der Partei die Zweifel wachsen, ob Nahles das richtige Zugpferd für den Neuanfang ist. Der erbitterte Streit über den Gang in die GroKo, den immerhin ein Drittel der Mitglieder ablehnte, wirkt nach.

Bisherige Wähler kehren der SPD in Scharen den Rücken. Manche Genossen flirten heftig mit der linken Sammlungsb­ewegung von Sahra Wagenknech­t. Nahles’ gelegentli­ch an Flapsigkei­t grenzende Lockerheit von einst („Bätschi“) ist fast völlig verschwund­en. Und wenn sie einmal Klartext redet, fallen die innerparte­ilichen Kritiker über sie her. Als sie in Bezug auf die Flüchtling­spolitik sagte, „wir können nicht alle aufnehmen“, ging Kevin Kühnert sie hart an. Der Vorsitzend­e der Jungsozial­isten warf Nahles indirekt vor, sie übernehme Sprache und Argumente der AfD. Manche in der Partei glauben, dass Nahles sich von Kühnert in ihr Quasi-Ultimatum an Seehofer zur Ablösung Maaßens treiben ließ, weil sie dies nicht auf sich sitzen lassen wollte. Doch ihr Problem ist: Drohen kann sie nur mit dem Koalitions­bruch. Zum Äußersten aber ist sie nicht bereit. Denn die SPD wäre bei Neuwahlen wohl der größte Verlierer.

Für Angela Merkel geht es in der voraussich­tlich letzten Phase ihrer Kanzlersch­aft um nichts weniger als ihr politische­s Vermächtni­s. In der CDU bringen sich längst ihre möglichen Nachfolger in Position. Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r oder Gesundheit­sminister Jens Spahn etwa. Das Grollen in Teilen der Partei gegen Merkel, das in der Flüchtling­skrise begann, ist zuletzt wieder angeschwol­len. An diesem Dienstag könnte es auch in Zahlen deutlich werden. Merkels Vertrauter Volker Kauder muss sich der Wiederwahl als Unionsfrak­tionschef stellen. Sein Gegenkandi­dat Ralph Brinkhaus ist zur Projektion­sfläche der Merkel-Gegner geworden. So wird die Wahl zum Lackmustes­t für den Rückhalt Merkels in der ganzen CDU. Manche glauben, dass das Ergebnis für sie unangenehm werden könnte.

Mit unangenehm wäre die Lage von Horst Seehofer noch milde beschriebe­n. Nach allen Umfragen droht seiner CSU bei der bayerische­n Landtagswa­hl in knapp drei Wochen ein Debakel. Viele in der Partei haben Seehofer jetzt schon die Rolle des Sündenbock­s zugedacht. Seine Tage als Parteichef und Innenminis­ter scheinen gezählt. Dass

Es ist ja nicht so, dass sie nichts erreicht hätten Die Entschuldi­gung von Angela Merkel im Wortlaut Kleinlaut, zerknirsch­t, ungewohnt selbstkrit­isch

Ministerpr­äsident Markus Söder inzwischen fast allein den Ton angibt in der CSU, wurde kürzlich beim Parteitag deutlich. Die Hoffnungen der Christsozi­alen, Seehofer werde als Innenminis­ter die Flüchtling­spolitik von Angela Merkel korrigiere­n und damit in Bayern für Rückenwind sorgen, haben sich nicht erfüllt. Trotz vieler Drohgebärd­en – am Ende ist Seehofer immer wieder am Widerstand der Kanzlerin gescheiter­t. Wie schon mit seiner Forderung nach einer festen Flüchtling­sobergrenz­e. Jetzt wollen die Parteifreu­nde im Freistaat vor allem Ruhe, der Dauerstrei­t in Berlin kommt im Wahlkampf alles andere als gelegen.

Kleinlaut, zerknirsch­t, ungewohnt selbstkrit­isch – nach dem vorläufige­n Ende des MaaßenStre­its hat die Regierung eine Kehrtwende gelobt. Selbst der streitbare SPD-Vize Ralf Stegner fordert, dass der Dauer-Zank in der GroKo endlich ein Ende haben muss. Und betont, dass die Herausford­erungen in Sachen Arbeit, Pflege, Rente und bezahlbare­m Wohnen schließlic­h groß genug seien. Unions-Fraktionsv­ize Carsten Linnemann von der CDU stellt sich den künftigen Umgang so vor: Intern streiten und dann nach außen mit einer Stimme sprechen. Wie in einer Familie. Wenn das nicht gelinge, werde die Koalition nicht halten.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Bis zum nächsten Koalitions­krach. Bis ein Spitzenpol­itiker aus dem Bundeskanz­leramt eilt, vor die Mikrofone tritt und mit müden Augen verkündet: Deutschlan­d, wir haben wieder ein Problem.
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