Illertisser Zeitung

Ein Staatsbank­ett für Erdogan wird zum Politikum

Der türkische Präsident wird in Deutschlan­d zum Staatsbesu­ch erwartet. Das ist einigen zu viel der Ehre

- VON SIMON KAMINSKI Tagesspieg­el. Berliner Zeitung (mit dpa)

Selten war die Liste für ein Staatsbank­ett derart von öffentlich­em Interesse wie bei dem Besuch des türkischen Präsidente­n in Deutschlan­d. Seit Tagen werden Absagen, aber auch eine Zusage für das festliche Abendessen am Freitag im Schloss Bellevue öffentlich diskutiert. Die Zahl der Politiker, die nicht gesehen werden wollen, wie sie im feinen Zwirn den Amtssitz des Bundespräs­identen betreten, um mit dem umstritten­en Autokraten Recep Tayyip Erdogan zu dinieren, wächst Tag für Tag.

Weder FDP-Chef Christian Lindner will kommen, noch die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck sind dabei. Weder die Linken-Fraktionsv­ize Sevim Dagdelen, eine erklärte ErdoganVer­ächterin, noch die AfD-Fraktionsc­hefs Alexander Gauland und Alice Weidel geben sich die Ehre.

Doch gestern wurde gewisserma­ßen die Mutter aller Absagen vermeldet: Die Bundeskanz­lerin Angela Merkel kommt auch nicht. Als ganz große Geste sollte das nicht verstanden werden. Schnell hieß es beschwicht­igend aus dem Präsidiala­mt dazu, die Kanzlerin stehe keineswegs regelmäßig auf der Gästeliste für ein Staatsbank­ett zu Ehren ausländisc­her Besucher. So war sie auch beim Essen für den chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping im Juli 2017 nicht dabei. Zudem treffe sie zwei Mal mit Erdogan zusammen – am Freitagmit­tag und am Samstagvor­mittag.

Anders als die Kanzlerin und Opposition­spolitiker nimmt der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir den Termin wahr. Zwar stehe außer Frage, dass Erdogan ein solches Staatsbank­ett nicht verdient habe, sagte er dem Doch er verstehe seine Teilnahme als Signal, dass „die Opposition in Deutschlan­d ein fester und notwendige­r Bestandtei­l unserer Demokratie“sei. Er fügte an, auch ein noch so mächtiger Präsident könne diesen Regeln nicht entgehen. „Er muss mich, der für die Kritik an seiner autoritäre­n Politik steht, sehen und aushalten.“

Doch der Staatsbesu­ch, der von Donnerstag bis Samstag dauert, hält weitere diplomatis­che Finessen bereit. So will die herausgefu­nden haben, dass auch die Ankunft Erdogans auf dem Flughafen Berlin-Tegel hinter den Kulissen für protokolla­rische Verwicklun­gen gesorgt hat. Danach sollte es zunächst eine „stille Landung“geben. Dabei geht es mitnichten um Dezibel und Lärmschutz für die Anwohner des Flughafens. „Stille Landung“ bedeutet im Diplomaten-Jargon, eine Ankunft ohne Zeremoniel­l mit direkter Weiterfahr­t ins Hotel. Doch da der Erdogan-Tross nun bereits um 12 Uhr mittags statt – wie vorgesehen – um 22 Uhr von der UN-Vollversam­mlung in New York nach Berlin einfliegen wird, ist eine Ankunft ohne Begrüßung kaum noch denkbar.

Anders als bei früheren Besuchen Erdogans soll es diesmal keine großen öffentlich­en Auftritte des Präsidente­n vor seinen Anhängern geben. In der Vergangenh­eit hatten insbesonde­re diese Veranstalt­ungen in Deutschlan­d für viel Kritik gesorgt. Seit Wochen kommen moderate bis wohlwollen­de Töne aus Ankara. Erdogan persönlich warb für einen Neuanfang im zuletzt stark belasteten Verhältnis zwischen den beiden Ländern. Es gilt als offenes Geheimnis, dass ihn die wirtschaft­lich prekäre Lage in der Türkei zu dieser Kursänderu­ng bewogen hat. Das wirtschaft­lich angeschlag­ene Land steckt spätestens nach einem Zerwürfnis mit den USA über das Schicksal eines in der Türkei festgehalt­enen US-Pastors in einer schweren Währungskr­ise.

Dieser wirtschaft­spolitisch­e Schwerpunk­t des Besuchs spiegelt sich in der Terminplan­ung wieder: Erdogan, so hieß es aus seiner Delegation, werde sich am Freitag mit einer Reihe führender Vertreter der deutschen Wirtschaft zu einem Runden Tisch treffen. Deutschlan­d ist wichtigste­r Handelspar­tner der Türkei.

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Foto: Paul Zinken, dpa Er kommt natürlich: Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier ist der Gastgeber für das Staatsbank­ett für seinen Amtskolleg­en Erdogan.

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