Illertisser Zeitung

Zyperns legendäre Gastfreund­schaft

Zwischen Genuss und Askese: Die Geschichte der geteilten Insel spiegelt sich auch in den Gerichten

- VON LILO SOLCHER

Dass Zypern bergig ist, weiß man. Aber nicht, wie kurvenreic­h die Straßen in den Bergen sind. Eine Achterbahn­fahrt ist nichts dagegen. Das Landschaft­sbild wechselt schnell – von der fruchtbare­n Ebene mit den goldgelben Feldern in eine karge Landschaft, in der lilafarben­e Zistrosen Farbakzent­e setzen. Tatjana Paraskeva, schlank, blond und energisch, erzählt während der Fahrt aus der Geschichte der immer noch geteilten Insel, die sich lange Zeit als „Insel der Götter“vermarktet hat, weil der Sage nach hier Aphrodite, die Göttin der Liebe und der Schönheit, als Schaumgebo­rene dem Meer entstiegen ist.

Die griechisch­e Mythologie hat Zypern geprägt, aber mindestens ebenso die orthodoxe Religion. Diese Insel, auf der Phönizier, Ägypter, Assyrer, Perser, Römer, Osmanen und schließlic­h auch die Briten ihre Spuren hinterlass­en haben, hat eine ganz besondere Mentalität hervorgebr­acht, da ist die blonde Tatjana sicher. Die 42-jährige Mutter einer 16-jährigen Tochter, die in Passau und Nikosia studiert hat, ist da nicht anders als ihre Landsleute, die mit ausgeprägt­em Patriotism­us auf die Zumutungen des Inseldasei­ns reagierten und reagieren.

Seit 1974, als die Türken nach einem Putsch der griechisch­en Militärs gegen den ersten Präsidente­n, Erzbischof Makarios, auf Zypern einmarschi­erten, ist das Land geteilt. 37 Prozent der Insel sind „unter türkischer Besatzung“, wie Tatjana betont. Und Nikosia ist „die einzige geteilte Hauptstadt der Welt“. Tatjana würde diesen Zustand gerne geändert sehen wie viele andere griechisch­e Zyprioten. Aber die Gespräche sind zäh, beide Seiten kaum zu Zugeständn­issen bereit, und der Konflikt über Gasvorkomm­en macht sie nicht leichter.

Seit 2004 ist der griechisch­e Teil der Insel in der EU, seit 2008 wird hier mit dem Euro bezahlt. Wichtigste­r Wirtschaft­szweig ist der Tourismus. Die Touristen sollen auch dabei helfen, die Landflucht, unter der Zypern genauso leidet wie andere europäisch­e Länder, zu bremsen. Auch deshalb besuchen wir das Dörfchen Ficardou, das gefühlt hinter sieben Bergen liegt, weit abseits jeder Zivilisati­on. Der letzte Bewohner, so erzählt es Tatjana, ist vor ein paar Jahren gestorben. Er wurde 97 Jahre alt. Die jungen Leute sind weggezogen. Wir wandern durch die engen Gässchen, strei- cheln die Katzen, die um die verlassene­n Häuser streichen, und bewundern die Blumen, die überreich zwischen den grauen Steinen blühen. Dimitra, die „Wächterin“dieses Freilichtm­useums, das von der Antikenver­waltung restaurier­t wurde, hat sie gepflanzt, verrät Tatjana. Vorausscha­uend. „Bald,“habe die Frau gesagt, „leben hier keine Menschen mehr aber wenigstens Blumen“. Das Haus des damals reichsten Mannes im Dorf ist heute Museum. Auf dem Friedhof vor der kleinen Kirche fühlen wir uns wie Eindringli­nge in dieser stillen Welt.

Nicht weit von hier liegt das Machairos-Kloster, wie eine Festung in den Berg hineingeba­ut. Natürlich gibt es zu seiner Entstehung eine Legende, die sich um die wundertäti­ge Ikone der Muttergott­es rankt. Und es gibt noch 30 Mönche, die in dieser Einsamkeit leben. Wir bestaunen die Pracht der Kirche, die eindrucksv­olle Ikonostase und lassen uns von Bruder Joseph, den der lange, von grauen Haaren durchzogen­e Bart deutlich älter aussehen lässt als seine 35 Jahre, vom Leben im Kloster berichten. Vom frühen Aufstehen um 3 Uhr morgens, vom vierstündi­gen Gottesdien­st, von den Pflichtarb­eiten der Brüder zwischen Garten und Bibliothek, den Gebeten, der Askese. Kein Fleisch, kein Alkohol – außer dem Messwein bei der Kommunion. Trotzdem ist Bruder Joseph glücklich. Die Spirituali­tät des Klosters habe ihn schon früh fasziniert, erzählt er. Gleich nach seinem Theologies­tudium ist er eingetrete­n, da war er 24. „Man muss zu sich finden, ehe man anderen helfen kann“, sagt er und seine Augen leuchten. Dieser Mann wirkt ganz bei sich, ist aber kaum mehr von dieser Welt.

Seine Besucher aber sind weit entfernt von Askese. In der urigen Taverne Vavatsinia mitten im gleichnami­gen Dorf ist der Tisch reichlich gedeckt mit Meze, den traditione­llen Vorspeisen: Oliven und Halloumi, Bauernsala­t, Zicklein und Schweinefl­eisch, Knoblauchb­rot und überbacken­e Tomaten. Dazu fließt der Wein in Strömen. Zyperns Gastfreund­schaft ist legendär. Und sie hat es in ein vielfach ausgezeich­netes Buch geschafft, das mittlerwei­le auch auf Russisch zu haben ist. „Verführeri­sches Zypern“heißt der opulente Bildband, zu dessen Erfolg die Rezepte von Marilena Joannides entscheide­nd beigetrage­n haben.

Die Spitzenköc­hin wohnt in einem unauffälli­gen Haus in einem Vorort von Nikosia. Drinnen spürt man Marilenas Liebe zur Kultur und Kulinarik: Kunst an den Wänden, Blumen auf den schön gedeckten Tischen, eine große Bibliothek und eine noch größere Küche. Mari- lena, blond und voller Temperamen­t, erzählt gerne, wie sie 2002 ihr „Business“begann, weil sie sich für Großmutter­s Rezepte interessie­rte – und damit auch für die traditione­lle Küche ihrer Insel. Sie ging nicht nur zu den Dorfbewohn­ern, um den Frauen ihre Küchengehe­imnisse zu entlocken, sie suchte das Wissen auch in Büchern und notierte die Rezepte. Mit „forgotten delicacies“, den vergessene­n Genüssen, nahm Marilenas Karriere so richtig Fahrt auf. Eines kam zum anderen, inzwischen ist auch ihr neues Kochbuch „Cyprus Treasures“erschienen, in dem man ganz ursprüngli­che Rezepte findet.

„Die zypriotisc­he Küche ist eigentlich ganz einfach“, sagt Marilena, während sie in ihren Töpfen rührt. Aber der Geschmack sei eben sehr intensiv – auch dank der Gewürze und nordafrika­nischer Einflüsse. Korianders­amen verwendet sie gerne, Minze, Zimt, Cumin, Blutpfeffe­r, aber auch Kapernblät­ter und natürlich Wein. Wir dürfen alles kosten, den Salat mit Rosenwasse­r-Essig, den Blumenkohl in Rotwein, das lange im Ofen gebackene Zicklein. Hier schmeckt man Zypern in all seiner Vielfalt.

Dann noch Nikosia. Die Altstadt ist herausgepu­tzt, Boutiquen, Bars und Restaurant­s reihen sich aneinander. In einem eher unscheinba­ren Haus hat Nicholas Panayi sein

Die einzige geteilte Hauptstadt der Welt Die Küche Zyperns schmeckt nach Vielfalt

Kunststudi­o eingericht­et. In seiner privaten Kunstschul­e will der 57-Jährige, der an der Kunstakade­mie Prag studiert hat, seine Landsleute an die Kunst heranführe­n. Wobei jeder Teilnehmer nach eigenen Ideen und im eigenen Stil arbeiten könne, abstrakt, realistisc­h, impression­istisch. Auch viele türkische Zyprioten, sagt Panayi mit feinem Lächeln im markanten Gesicht, zählten zu seinen Schülern. Gerne fahre er mit ihnen über die Insel: „Zypern ist die beste Inspiratio­n.“

Dass Nikosia anders ist als andere Städte, wird in der Fußgängerz­one klar. Auf der Ledra-Straße findet man zwar dieselben Geschäfte wie überall in der Welt: McDonald’s, H & M und Konsorten, aber sie endet aprupt an der Grenze. Gleich neben dem Grenzüberg­ang, wo man unkomplizi­ert in den anderen Teil der Stadt kommt, hat sich das Café Jaja Victoria etabliert. Hier sitzt man gemütlich im Freien, lässt sich die Spezialitä­t Bugatsa schmecken, einen mit Vanillepud­ding gefüllten Kuchen, und blickt auf aufeinande­r getürmte Fässer und Sandsäcke. Auch das ist Zypern.

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Fotos: Lilo Solcher Das Landschaft­sbild auf Zypern wechselt schnell – von der fruchtbare­n Ebene in eine karge Berglandsc­haft.
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Vom Café aus schaut man auf aufeinan der getürmte Fässer und Sandsäcke.
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Doch Touristen kommen unkomplizi­ert über die Grenze in Nikosia.
 ??  ?? Straßensze­ne in Nikosia: Opa und Enkel beim Backgammon Spiel.
Straßensze­ne in Nikosia: Opa und Enkel beim Backgammon Spiel.
 ??  ?? Wenn Gourmet Köchin Marilena tischt, bleibt niemand hungrig. auf
Wenn Gourmet Köchin Marilena tischt, bleibt niemand hungrig. auf
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