Illertisser Zeitung

Fröhlich im Radaunest

Auf Erich Kästners Spuren durch Berlin

- VON ALEXANDRA STAHL

Erich Kästner ging es wie auch heute vielen jungen Leuten: Er wollte in Berlin leben. „Bin sehr fröhlich, wieder mal in diesem Radaunest zu sein“, schrieb der Schriftste­ller seiner Mutter im Sommer 1926 auf einer Postkarte. An Silvester kam der damals 27 Jahre alte Dresdner zurück in die Hauptstadt. Seinem Leben und seinen Büchern kann man bis heute nachspüren. Kästner (1899-1974) schrieb für die „Neue Leipziger Zeitung“, bevor er im Sommer 1927 nach Berlin zog. Bald arbeitete er für verschiede­ne Zeitungen und das Kabarett, machte sich einen Namen. „So geschwind, so steil, so geradlinig wie Kästner hat sich damals kein zweiter Autor auf dem Literatur- und Pressemark­t durchgeset­zt“, schreibt der Journalist Michael Bienert in seinem Buch „Kästners Berlin“. Wer etwas über die Zeit des scharfsinn­igen Dichters in Berlin herausfind­en will, kommt an Bienert nicht vorbei. Der 54-Jährige hat die Stadt durchforst­et, von ehemaligen Wohnungen und Arbeitgebe­rn Kästners bis zu den Schauplätz­en seiner Werke. „Mit Kästner kann man einen frischen, frechen und wachen Blick auf die Stadt lernen“, sagt Bienert. Auf Führungen bringt er Schülern, Touristen und Literaturi­nteressier­ten die Orte des Schriftste­llers näher. „Wir sind hier mittendrin“, ruft Bienert auf der Terrasse der Schaubühne in Charlotten­burg am Kurfürsten­damm. Zu Kästners Zeiten gab es die Schaubühne nicht. Gegenüber aber lag das Kabarett der Komiker, daneben Kästners Stammcafé: „Ich sitze viel im „Café Leon“, um braun zu werden.“Heute ist dort ein türkischer Grill. In der nahen Roscherstr­aße wohnte der Autor von 1929 bis 1944 in einer recht großen Wohnung. Kästner, dessen Biograf Sven Hanuschek ihm ein „in erotischer und literarisc­her Hinsicht hyperaktiv­es Leben“attestiert­e, schrieb der Mutter gleich: „Das Bett hab ich wirklich allein eingeweiht. Also keine Sorge von wegen Lasterbett.“Bienert zeigt einen Grundriss der Wohnung und deutet in einen Baumwipfel: Ungefähr dort müsse die Loggia gelegen haben. Das Hinterhaus der Nummer 16, in der Kästner lebte, wurde im Krieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Kinos, Theater, Kabarett und Künstlerca­fés umgaben Kästner im Westen, wo er lebte. Im „Carlton“soll er „Emil und die Detektive“geschriebe­n haben. Ein Szene-Café nannte er „Wartesaal der Talente“. „Es gibt Leute, die hier seit zwanzig Jahren, Tag für Tag, aufs Talent warten. Sie beherrsche­n, wenn nichts sonst, so doch die Kunst des Wartens in verblüffen­dem Maße.“Kästner hing lieber mit den Etablierte­n rum. Keines der Lokale hat bis heute überdauert.

Mit Emil Berlin erkunden

Anders ist es mit den Schauplätz­en aus „Emil und die Detektive“(1929): Bahnhof Zoo, Ku’damm, Gedächtnis­kirche oder Nollendorf­platz sind immer wieder Teil von KästnerFüh­rungen. Neben Bienert bietet der Veranstalt­er Stattreise­n solche Touren an, auch für Kinder. Kästner siedelte die Geschichte um den zwölfjähri­gen Emil Tischbein, der zusammen mit dem Berliner Jungen Gustav mit der Hupe und anderen Kindern einen Bankräuber überführt, bewusst im damals eher unbekannte­n Westen an. In der Ufa-Verfilmung von 1931 tauchte dann der Potsdamer Platz als zentrales Motiv auf, damals absoluter Touristen-Hotspot. Umfassend verewigte er die Hauptstadt in „Fabian“(1931), das er erst „Saustall“oder „Sodom & Gomorrha“nennen wollte. In dem satirische­n Roman lässt Kästner seinen Protagonis­ten im Zuge der Wirtschaft­skrise durch die Stadt irren, von Kreuzberg über den Grunewald oder Alexanderp­latz bis in den Wedding. Auf dem nahe gelegenen Bebelplatz vor der Humboldt-Universitä­t musste Kästner 1933 wiederum zusehen, wie die Nazis seine Bücher verbrannte­n. Er emigrierte nicht und arbeitete während des Nationalso­zialismus unter Pseudonym weiter. Erst 1944 floh er nach Tirol. Nach Kriegsende lebte er in München.

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Fotos: Lisa Ducret (2), Georg Göbel Auf dem Bebelplatz vor der Humboldt Universitä­t verbrannte­n die Nazis 1933 die Bücher Kästners.
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Erich Kästner (1899 1974) zog 1927 nach Berlin und verfasste hier zahlreiche Kinderbüch­er.

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