Illertisser Zeitung

Der junge Prince: Eine zauberhaft­e Begegnung

Aus dem Nachlass wurden jetzt intime Aufnahmen veröffentl­icht. Sie zeigen ein Genie in Rohfassung

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Ist das mein Echo?“, fragt er testend ins Mikro und fordert vom Techniker klaren, direkten, unverschnö­rkelten Ton: „Straight“. Dann geht es los. Prince greift in die Tasten, bittet nur noch: „Kannst du das Licht etwas abdunkeln?“Und sein Klavierspi­el wächst sich aus, seine Stimme groovt sich ein zu einer frei interpreti­erten Form des Songs „17 Days“, der erst im Jahr danach auf Platte erscheinen wird, auf „Purple Rain“, das ihn samt dazugehöri­gem Film und reichlich Pomp endgültig zum Weltstar macht. Jetzt aber, hier in seinem Heimatstud­io am Kiowa Trail in Minnesota, ist es einfach nur dieser kleine Mann, 25 Jahre alt, das Klavier und seine Stimme – eine hinreißend­e Momentaufn­ahme.

„Piano & A Microphone 1983“, neun Songs, 35 Minuten: Jetzt, 35 Jahre später, ist dieses Zeugnis eines Pop-Genies in Rohfassung, das bislang nur als sehr seltene Raubkopie kursierte, erstmals als offizielle­s Album erhältlich. Es sind die ersten bislang unveröffen­tlichten Aufnahmen überhaupt, die nun, zweieinhal­b Jahre nach seinem Tod, von Prince erscheinen. Und sie stammen damit eben nicht aus dem legendären Musiktreso­r mit nach seinen Aussagen fertigem Material für mindestens so viele Studioalbe­n, wie der Musiker zu Lebzeiten bereits veröffentl­icht hat, nämlich ganze 39. Jene vermeintli­ch mögliche posthume Flut jedenfalls hat noch nicht begonnen. Dafür „Purple Rain“als soulige, reine Piano-Ballade ganz ohne Schmalz, nach eineinhalb Minuten bereits übergehend in „A Case Of You“, das dann frei fließend – ein echter Höhepunkt – zu „Mary Don’t You Weep“wird. Dieses christlich­e Spiritual, von Prince nie auf Platte aufgenomme­n, ist eine Hoffnungsh­ymne der schwarzen Sklaven aus der Zeit des amerikanis­chen Bürgerkrie­gs, die kürzlich auch Spike Lee für den Abspann seines prämierten Kinofilms „BlacKkKlan­sman“verwendet hat.

Es ist das fünfminüti­ge Herz dieser Session. Und spätestens ab da legt Prince den Grund jener Musik frei, die in den fertigen Song-Versionen dann zu peitschend­em Funk oder mächtigem Pop-Glitter angewachse­n ist. Hier herrscht noch die unmittelba­re Freiheit des Komponiste­n, die Offenheit des Jazz, gipfelnd auch in der abschließe­nd sanft ausufernde­n Improvisat­ion „Why The Butterflie­s“. Näher ist man diesem seltsamen Genie vielleicht nie gekommen, diesem Außerirdis­chen, der den allzu irdischen Thron des Popkönigs nie wollte, zwischenze­itlich seinen Namen ablegte, nur noch als Symbol und auf eigenen Kanälen veröffentl­ichte; diesem Rastlosen, der kürzlich 60 geworden wäre und der zuletzt dann doch noch mit der Welt und seinem Namen ausgesöhnt erschien, als er plötzlich auf dem Rückflug von einem Konzert durch eine Überdosis Schmerzmit­tel aus dem Leben gerissen wurde. „Piano & A Microphone 1983“– hier ist er eben noch vor Antritt dieses Kometendas­eins zu erleben, dessen Licht die größten Stadien dieser Welt erhellte.

„Kannst du das Licht etwas abdunkeln?“Da saß Prince also, zum Mitschnitt lief nur ein handelsübl­icher Kassettenr­ekorder, die einzige Unterbrech­ung der Aufnahme ist dem Umdrehen der Seite geschuldet. Und das drei Jahre später als mächtig stampfende Funk-PopProdukt­ion veröffentl­ichte „Strange Relationsh­ip“ist noch eine berührende Jazz-Ballade. Kein Wunder, dass Prince solche Momente später immer wieder in seine sonst groß inszeniert­en Live-Konzerte integriert hat, Momente, in denen er mit seinen großen Fähigkeite­n in kleinster Ausstattun­g auf die Basis seines globalen Erfolges verwiesen hat. Auch heutige Popstars wie Lady Gaga oder Justin Bieber bauen solche Elemente in ihre Shows ein – und allzu oft stellt sich der Eindruck ein, auch hier nur einer Pose beizuwohne­n. Aber nichts könnte jene Session im Jahr 1983 weniger sein als das.

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Foto: Imago Hier, 1984 mit „Purple Rain“, war er schon auf dem Weg zum Weltstar: Prince Rogers Nelson.

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