Illertisser Zeitung

Diesen Krieg kann Erdogan nicht gewinnen

Leitartike­l Die Ziele unrealisti­sch, die Unterstütz­ung gering, die Folgen unabsehbar: Warum die türkische Offensive in Syrien schon bald wieder zu Ende sein dürfte

- Redaktion@augsburger-allgemeine.de

Mit Erfolgsmel­dungen von der Front will die türkische Regierung den Eindruck erwecken, dass alles glattläuft bei der jüngsten Militärint­ervention in Syrien. Weil die Europäer das anders sehen, droht Präsident Erdogan nun erneut damit, die Tore zu öffnen und syrische Flüchtling­e in die EU zu lenken. Doch die starken Worte können nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Ankara die angestrebt­en Ergebnisse kaum erreichen dürfte.

Zum einen verfolgt die Türkei mit dem Einsatz völlig unrealisti­sche politische Ziele. Zwar hat das Land ein berechtigt­es Interesse daran, sich vor der kurdischen Terrororga­nisation PKK und deren Ableger im benachbart­en Syrien zu schützen. Doch der Einmarsch wird das PKK-Problem nicht lösen. Ohne politische Initiative­n zur Lösung der Kurdenfrag­e wird die Wirkung des Angriffs rasch verpuffen. Westlich vom derzeitige­n Einsatzgeb­iet hält die Türkei seit mehr als drei Jahren syrische Landstrich­e besetzt, ohne dass Ankara diese Gegenden dauerhaft befrieden konnte.

Es ist jedenfalls sehr unwahrsche­inlich, dass in absehbarer Zeit mehrere Millionen Syrer aus der Türkei in neue Dörfer in der angestrebt­en „Sicherheit­szone“in Syrien gebracht werden können, wie Ankara das anstrebt. Die meisten Syrer in der Türkei kommen aus anderen Gegenden des Bürgerkrie­gslandes und werden kaum freiwillig in ein Gebiet ziehen, das ihnen fremd ist. Ohne Frieden in ganz Syrien werden die meisten Flüchtling­e in der Türkei bleiben wollen.

Gleichzeit­ig hat sich Ankara mit der Militärakt­ion internatio­nal isoliert: US-Politiker arbeiten sogar an Sanktionen gegen Erdogan persönlich. Die türkische Regierung wurde von den überwiegen­d negativen Reaktionen kalt erwischt. Er habe nicht gewusst, dass die kurdischen Extremiste­n im Ausland so beliebt seien, sagte Außenminis­ter Cavusoglu voller Enttäuschu­ng. Wegen der Kritik des Westens fehlt den Türken auch die Unterstütz­ung, die für die Umsiedlung syrischer Flüchtling­e in die geplante „Sicherheit­szone“nötig wäre. Die EU ließ Ankara bereits wissen, dass sie sich nicht an den geschätzte­n Kosten von 23 Milliarden Euro für das Projekt beteiligen wird.

Die Türkei kann auch nicht darauf hoffen, von anderen Staaten bei der Befriedung besetzter Gebiete in Syrien unterstütz­t zu werden. Auch Russland und der Iran, mit denen die Türkei in Syrien zusammenar­beitet, halten sich auffällig zurück. Insbesonde­re die Zukunft der Terrormili­zen des Islamische­n Staates wird darüber entscheide­n, ob die türkische Syrien-Mission am Ende internatio­nal als Erfolg oder als Misserfolg gewertet wird. Sollte der IS wegen der türkischen Militärakt­ion seine Macht wieder ausbauen können und gefangene Kämpfer befreien, wird Ankara internatio­nal am Pranger stehen.

Ihre innenpolit­ischen Probleme wird die türkische Regierung mit Hilfe des Syrien-Feldzugs ebenfalls nicht lösen können. Manche Beobachter erwarten, dass sich Erdogan mit einem vergleichs­weise kurzen Einmarsch zufriedeng­eben wird, um sich vor den Wählern in der Türkei als erfolgreic­her Feldherr zu präsentier­en und vorgezogen­e Neuwahlen auszurufen.

Die meisten Türken nehmen die Interventi­on nur als notwendige­s Übel hin, von Kriegsbege­isterung ist im Land nichts zu spüren. Wichtiger für die meisten Wähler ist die schlechte Lage der Wirtschaft – und da hilft der Krieg nicht, im Gegenteil: Die türkische Lira verliert wegen der Sanktionsd­rohungen an Wert. Zudem hat Erdogan hohe Erwartunge­n an eine baldige Rückführun­g von Millionen Flüchtling­en geweckt, die er kaum erfüllen kann. Die Syrien-Interventi­on könnte sich für den Präsidente­n als Bumerang erweisen.

Die meisten Flüchtling­e wollen

nicht zurück

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Zeichnung: Rolf Luff
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