Illertisser Zeitung

„Das ist ein neuer Tätertypus“

Hintergrun­d Der Attentäter Stephan B. steht für eine Form des Rechtsterr­orismus, der ohne das Internet kaum denkbar ist. Der Terrorfors­cher Peter Neumann warnt vor einer wachsenden Gefahr, da die Szene immer gewaltbere­iter wird

- VON MICHAEL POHL

Halle Vier Motive nennt der Rechtsextr­emist Stephan B. in seinem bizarr wirkenden Bekennersc­hreiben, das der 27-Jährige auf rechtsextr­emistische­n Foren vor der Tat verbreitet hat. „So viele Nicht-Weiße, bevorzugt Juden zu töten“, die Moral unterdrück­ter Weißer zu stärken und dabei nicht zu sterben, heißt es in dem in ziemlich makellosem Englisch verfassten Papier. Doch als ersten Punkt nennt der Terrorist den Praxistest von „improvisie­rten Waffen“. So nennt man vor allem in rechtsradi­kalen Kreisen den Selbstbau von Schusswaff­en bis zum Sturmgeweh­r. Stephan B. benutzte bei seinem Terroransc­hlag, zumindest während er die Tat selbst mit einem auf einem Militärhel­m fixierten Smartphone filmte, eine komplett selbst gebaute Maschinenp­istole und eine selbst gebastelte Pumpgun, die er für jeden Schuss nachladen musste. Zwei Menschen tötete der Rechtsextr­emist damit aus allernächs­ter Nähe.

Doch auf dem Tatvideo ist zu sehen, wie sein Arsenal oft versagt, die Waffen Ladehemmun­g haben, Selbstbaug­ranaten nicht zünden, er das Türschloss der Synagoge nicht trifft. „Es ist bei all den schrecklic­hen Ereignisse­n ein positiver Aspekt, dass der Täter keinen Zugang zu funktionie­renden Waffen gefunden hat“, sagt der Londoner Terrorexpe­rte Peter Neumann, der das Tätervideo ausgewerte­t hat. Hätte Stephan B. Zugang zu profession­ellen Waffen gehabt wie seine Vorbilder, der norwegisch­e Massenmörd­er Anders Breivik, der Attentäter von Christchur­ch in Neuseeland oder der amerikanis­che Rechtsextr­emist, der in El Paso Anfang August in einem Supermarkt 22 Menschen mit einer Kalaschnik­ow niedermetz­elte, hätte der Anschlag von Halle weit schrecklic­here Dimensione­n angenommen.

„Das deutsche Waffenrech­t hat in Halle zweifellos zahlreiche­n Menschen das Leben gerettet“, sagt der in London arbeitende, aus Würzburg stammende Terrorfors­cher Neumann. Dies habe er inzwischen auch einigen amerikanis­chen Journalist­en erklärt, die ihn baten, die Tat in seiner deutschen Heimat einzuschät­zen. Das sei aber auch schon der einzige positive Aspekt, der sich den bisherigen Erkenntnis­sen ableiten lässt. Denn Stephan B. mag als Einzeltäte­r gehandelt haben, die Gefährlich­keit des rechten Terrorismu­s mache dies aber nicht kleiner, sondern noch größer, betont der Experte. Neumann forscht seit über zehn Jahren am renommiert­en King’s College in London über die Entstehung von Terrorismu­s und die Radikalisi­erung überwiegen­d junger Extremiste­n.

„Wir haben in Europa und Deutschlan­d zwar nur eine eher geringe Zunahme bei der Zahl von Rechtsextr­emisten, aber innerhalb der rechtsextr­emistische­n Szene gewinnt Terrorismu­s als Aktionsfor­m an Zuspruch“, warnt Neumann. Zunehmend werden dabei als Einzeltäte­r agierende Extremiste­n wie Breivik und der Christchur­ch-Massenmörd­er Brenton Tarrant, der sein erbarmungs­loses Morden live im Internet übertrug, zum Vorbild.

„Das ist für Deutschlan­d ein neuer Tätertypus“, betont Neumann. Bei Stephan B.handle es sich offensicht­lich nicht um einen typischen deutschen Neonazi aus einer Kameradsch­aft, sondern einen sogenannte­n selbstradi­kalisierte­n Einzeltäte­r, der in einer internatio­nalen rechtsextr­emen Netzgemein­de Anerkennun­g und Nachahmer suche.

Wie die Christchur­ch- und ElPaso-Mörder war auch Stephan B. auf der Onlineplat­tform „8chan“unterwegs. Dort tummeln sich massenhaft Rechtsextr­emisten und Perverse, die sich auch ohne ideologisc­he Motive an den Massenmörd­ern ergötzen. Stephan B. schreibt, auf „8chan“einen Unterstütz­er gefunden zu haben, der seine Taten mit einem „halben Bitcoin“(derzeit umaus gerechnet knapp 4000 Euro wert) angeblich mitfinanzi­ert habe.

Ebenso wie anderen beiden Mörder auf „8chan“, kündigte auch Stephan B. dort seine Tat mit einer „Dokumentat­ion“an. Darin zeigt er auf Fotos sein Waffenarse­nal samt sieben Nagelbombe­n und elf Handgranat­en. Er verweist auf Bauanleitu­ngen im Internet und präsentier­t einen einseitige­n Tatablaufp­lan. Inzwischen ist „8chan“ins Darknet abgewander­t, wo die Plattform ein deutlich kleineres Publikum erreicht, aber für Extremiste­n erreichbar bleibt. Nach dem Attentat von El Paso hat ihr der IT-Sicherheit­sdienstlei­ster Cloudflare den Schutz vor Cyberattac­ken entzogen, weil es mit der gewaltausl­ösenden „Hasskloake“nichts zu tun haben wolle. Zuvor waren alle Versuche gescheiter­t, die von einem auf den Philippine­n lebenden US-Bürger betriebene Seite zu stoppen.

Meist vernetzen sich Rechtsextr­emisten wie auch Islamisten auf von außen geschlosse­nen Messengerd­iensten wie „Telegram“. Doch es gibt weiterhin auch im offenen Internet unzählige Foren, in denen sich Extremiste­n wie Stephan B. radikalisi­eren und einer internatio­nalen Szene von Gleichgesi­nnten andienen. „Dafür spricht auch, dass der Täter im Video weitgehend englisch spricht und seine Schreiben auf Englisch verfasst hat“, sagt Terrorfors­cher Neumann. „Das sieht man auch an der Ideologie, die zwar in erster Linie antisemiti­sch ist, sich aber auch gegen den Feminismus richtet.“Dies sei typisch für die neue internatio­nale Rechtsextr­emen-Szene. „Es geht um den weißen Mann“, sagt Neumann. „Heute wird das etwas weicher formuliert, so sprach selbst der Attentäter von El Paso davon, dass sich die Europäer in Amerika behaupten müssten.“

Längst gebe es intellektu­alisierte Formen dieser rechtsextr­emen Ideologie. „In Amerika ist es die ,Alt-Right‘-Bewegung, in Deutschlan­d sind es die ,Identitäre­n‘“, erklärt Terrorismu­sforscher Neumann. Die Verschwöru­ngstheorie­n seien die gleichen, die auch von den Attentäter­n benutzt würden: „Man spricht vom ,großen Austausch‘, ,Remigratio­n‘ oder einer zu schützende­n europäisch­en Zivilisati­on.“

Die Sicherheit­sbehörden seien auf dem rechten Auge nicht blind, betont Terrorfors­cher Neumann. „Sie wissen ziemlich genau, wer in den rechtsextr­emen Kameradsch­aften vor Ort unterwegs ist.“Doch in den virtuellen Netzwerken, die meist über nationale Grenzen funktionie­ren, seien sie noch immer zu wenig als Beobachter präsent. „Es wurde bislang nicht ausreichen­d erkannt, dass das ein wichtiges virtuelles Spielfeld ist, wo sich Rechtsextr­emisten treffen und vernetzen.“

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Foto: Uli Deck, dpa Stephan B. wird am Donnerstag zum Haftrichte­r beim Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe gebracht.

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