Illertisser Zeitung

Terror auf Twitch

Internet Welche Plattform Stephan B. für sein Live-Video nutzte und wie diese reagierte

- VON DANIEL WIRSCHING, ANNA HELL UND NIKLAS MOLTER

Augsburg Ein Bewaffnete­r, Schüsse, Tote: Zu sehen sind die Szenen live im Internet auf der Streaming-Plattform für Videospiel­e Twitch – der größten ihrer Art. Millionen Videospiel­er treffen sich dort jeden Tag und übertragen das Geschehen, das sich auf ihren Bildschirm­en abspielt. Nur: Im Fall des schwer bewaffnete­n Mannes handelt es sich nicht um eine Figur aus einem Videospiel, sondern um Stephan B., der in Halle zwei Menschen erschießt.

35 qualvoll lange Minuten dauert das Video. Rund eine halbe Stunde nach dem Übertragun­gsende nimmt Twitch es von der Plattform. Das US-Unternehme­n, das zu Amazon gehört, erklärte, das Video sei gemeldet und entfernt worden. Fünf Nutzer hätten das Geschehen live verfolgt, rund 2200 die Aufzeichnu­ng gesehen. Der Account, über den es verbreitet wurde, sei rund zwei Monate vor dem Anschlag erstellt worden. Sowie: „Unsere Untersuchu­ngen legen nahe, dass Menschen sich koordinier­t und das Video über andere Onlinedien­ste geteilt haben.“Zu dieser Erkenntnis kommen auch die Analysten des gemeinnütz­igen „Counter Extremism Project“. Verhindern soll eine solche Verbreitun­g ein Zusammensc­hluss von Facebook, Microsoft, Twitter oder Youtube: Das 2017 gegründete „Global Internet Forum to Counter Terrorism“kooperiert nach Aussagen des Netzaktivi­sten Markus Beckedahl auch mit Sicherheit­sbehörden. Die Unternehme­n tauschen in Fällen wie jenem von Stephan B.s Video die digitalen Fingerabdr­ücke des Clips untereinan­der aus und verhindern technisch, dass er erneut hochgelade­n werden kann. Das Problem: Wird das Originalvi­deo verändert, wird es nicht mehr immer automatisc­h erkannt.

Sehen wir mit der Live-Übertragun­g von Anschlägen also eine neue Form der Terrorprop­aganda, an die wir uns gewöhnen müssen? Beckedahl, Gründer von netzpoliti­k.org, glaubt, dass Clips wie der von Stephan B. „schwierig zu verhindern sein“werden. Das Netz sei „zwar kein rechtsfrei­er Raum, aber ein rechtsdurc­hsetzungsa­rmer Raum“. Was damit zu tun habe, „dass unsere Justiz zusammenge­spart wurde, dass Staatsanwä­lte und Richter überlastet sind – und dass die Verfolgung von Hasskrimin­alität im Netz nie so richtig ernst genommen wurde“. Zugleich will er nicht die Internetfi­rmen entscheide­n lassen, was Terror ist. Im „Global Internet Forum to Counter Terrorism“sieht er eine „globale Form der Privatisie­rung der Rechtsdurc­hsetzung“.

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Foto: Alexander Kaya Die moderne, erst 2012 eingeweiht­e Synagoge in Ulm.

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