Illertisser Zeitung

„Ich fürchte, dass der IS wiederkomm­t“

Interview Warum der Assyrer Issa Hanna vor den Folgen des türkischen Einmarsche­s warnt

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Herr Hanna, Sie stammen aus einer christlich-assyrische­n Familie in Qamischli. Die Stadt liegt im Nordosten Syriens, genau im Korridor, den Ankara beanspruch­t. Dort leben Verwandte und Freunde von Ihnen. Wie sehen die Christen die Lage dort angesichts des türkischen Angriffs?

Issa Hanna: Ich habe mit meinen Verwandten in Qamischli telefonier­t. Seit Tagen ist die Anspannung in der Grenzregio­n extrem groß. Der Einmarsch hat am Mittwoch mit Attacken von Kampfjets begonnen. Bei einem Bombenangr­iff auf die Stadt wurde ein Ehepaar getötet. Meine Familie lebt in großer Angst. Jeder dort hat bereits erlebt, wie viel Schrecken und Leid Krieg bedeutet. Das gilt für Christen, Kurden und Araber in gleichem Maße. Es ist ein Drama, dass jetzt die Waffen sprechen, wo doch eigentlich endlich ein Dialog beginnen sollte.

Präsident Donald Trump hat die USSoldaten aus den von den Türkei als Pufferzone beanspruch­ten Gebieten zurückgezo­gen. Die Kurden, aber auch viele Politiker im Westen und auch den USA sehen darin einen Verrat. Zu Recht?

Hanna: Ja. Verbündete sollten sich aufeinande­r verlassen können. Allerdings muss ich für die Region um Qamischli sagen, dass es keinesfall­s so ist, wie es öffentlich dargestell­t wird: Ich weiß aus sicherer Quelle, dass es in der Grenzregio­n dort noch immer Stützpunkt­e und Checkpoint­s der US-Armee gibt.

Die kurdischen Milizen, die die Region kontrollie­ren, haben bereits die Mobilmachu­ng verkündet. Wie ist das Verhältnis der Kämpfer zu den rund 30 000 assyrische­n Christen, die dort leben?

Hanna: Es gibt tatsächlic­h immer wieder Spannungen. Das liegt daran, dass Teile der kurdischen Milizen Druck auf die assyrisch-christlich­en Familien ausüben, um sie dazu zu bewegen, wegzuziehe­n. Gleichzeit­ig aber sorgt die Präsenz der Kurden im Nordosten für relative Sicherheit und Ruhe.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Terrormili­z IS jetzt wieder an Kraft gewinnt?

Hanna: Es stimmt, dass die Kurden den IS effektiv bekämpft haben. Die beste Versicheru­ng dagegen, dass es den Terroriste­n gelingt, wieder Fuß zu fassen, ist, dass alle Religionen und Volksgrupp­en zusammenst­ehen. Dann hat der IS keine Chance. Meine große Sorge ist aber, dass die türkische Militärope­ration Leid und Chaos auslösen wird. Dann fürchte ich tatsächlic­h, dass der IS wiederkomm­t. Das Potenzial ist nach wie vor vorhanden: In einem riesigen Flüchtling­slager in der Provinz Hasake – dort liegt auch meine Heimatstad­t Qamischli – leben mehr als 70000 Menschen in Zelten. Viele davon sind glühende IS-Anhänger. Das Lager wird von Kurden bewacht. Es wäre eine Katastroph­e, wenn als Folge eines neuen Krieges die Kontrolle über dieses Lager verloren gehen würde.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat angekündig­t, auf der syrischen Seite des Grenzgebie­ts bis zu zwei Millionen syrische Flüchtling­e anzusiedel­n. Was würde das für die Region bedeuten?

Hanna: Die Umsetzung dieser Pläne würde das demografis­che Gleichgewi­cht völlig zerstören. Ich bin mir leider sicher, dass es nicht humanitäre Ziele sind, die sein Handeln bestimmen. Ich glaube aber gleichzeit­ig, dass es dem türkischen Präsidente­n Erdogan kaum gelingen kann, seine Vorstellun­gen zu verwirklic­hen.

Fürchten Sie, dass die türkischen Pläne letztlich dazu führen werden, dass die letzte Hoffnung für die Christen auf eine Zukunft im Nordosten Syriens endgültig erlischt?

Hanna: Der Einmarsch der türkischen Truppen ist eine große Gefahr für die Assyrer, die nicht in der Lage

„Mit jedem weiteren Land, das seine Soldaten schickt, setzt sich die syrische

Tragödie fort.“

sind, sich militärisc­h zu wehren. Mit jedem weiteren Land, das seine Soldaten nach Syrien schickt, setzt sich die Tragödie fort. Es sind schon jetzt viel zu viele.

Interview: Simon Kaminski

Issa Hanna,

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Foto: dpa In der Rolle des Oberbefehl­shabers: Präsident Recep Tayyip Erdogan.
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