Illertisser Zeitung

„Zu viele Bilder im Kopf“

Prozess Nach einem tödlichen Raser-Unfall bei Rosenheim stehen zwei Autofahrer vor Gericht. Sie sollen einen überholend­en Ulmer blockiert haben, sodass dieser in den Gegenverke­hr krachte

-

Traunstein Es flossen Tränen bei den Angehörige­n der Opfer, und selbst die beiden im ersten Prozess noch so teilnahmsl­os wirkenden Angeklagte­n schienen dieses Mal Regung zu zeigen. Es herrschte eine gedrückte Stimmung, als am Donnerstag vor dem Landgerich­t Traunstein die Berufungsv­erhandlung um einen Raser-Unfall mit zwei Toten begann. Vor fast drei Jahren starben in Rosenheim zwei junge Frauen, zwei weitere junge Frauen wurden schwer verletzt. Seit dem verheerend­en Unfall steht die Frage im Raum, ob es sich um ein verabredet­es illegales Autorennen handelte. Im ersten Prozess konnte die Frage aber nicht zweifelsfr­ei beantworte­t werden. In der Region Rosenheim sind jedoch auffallend viele junge Männer überwiegen­d nachts in getunten Autos unterwegs.

An einem Novemberab­end 2016 hatte ein junger Autofahrer aus Ulm in einer langgezoge­nen Rechtskurv­e zum Überholen angesetzt. Das Manöver endete Sekunden später mit dem Unfall. Der Wagen raste in ein Auto mit drei jungen Frauen. Darin starben die 21 Jahre alte Fahrerin und eine 15-Jährige aus der Nähe von Rosenheim. Eine damals 19-Jährige überlebte schwer verletzt, ebenso die Beifahreri­n des Ulmers. Das Amtsgerich­t Rosenheim verurteilt­e den Mann aus Ulm wegen fahrlässig­er Tötung zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung. Dieses Urteil ist rechtskräf­tig. Einer der beiden einheimisc­hen Unfallfahr­er bekam ebenfalls wegen fahrlässig­er Tötung eine Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung, der andere zwei Jahre und drei Monate. Eine Bewährung ist bei diesem Strafmaß ausgeschlo­ssen. Die beiden Männer aus Oberbayern gingen jedoch in Berufung, und so kam es nun zur Neuauflage des Prozesses.

Der Vorsitzend­e Richter Jürgen Zenkel machte gleich zu Beginn der Berufungsv­erhandlung klar, dass die gebotene sachliche Aufarbeitu­ng vor Gericht dem Leiden nicht gerecht werden könne, das den Angehörige­n der Toten und den schwer verletzten Opfern angetan wurde. Die schwer verletzte Schwester einer der beiden Toten sagte dann auch mit stockender Stimme aus, dass sie nach wie vor körperlich und seelisch an den Folgen des Frontalzus­ammenstoße­s leide. An den Unfall selbst könne sie sich nicht mehr erinnern. Die junge Frau tritt im Prozess ebenso wie ihre Eltern als Nebenkläge­rin auf. Sie und ihre Mutter hielten sich während der Verhandlun­g immer wieder an den Händen. Bei ihrer Vernehmung machten die Angeklagte­n Erinnerung­slücken zum Tatgescheh­en geltend. Vor allem wollten sie sich nicht festlegen, wie groß der Abstand zwischen ihren Autos war. Die Staatsanwa­ltschaft wirft den beiden jungen Männern vor, sie hätten absichtlic­h verhindert, dass der überholend­e Wagen aus Ulm zwischen ihren Autos einscheren konnte, obentgegen­kommendes wohl der entgegenko­mmende Kleinwagen nahte.

Der Fahrer des vorderen Autos sagte bei seiner Vernehmung am Donnerstag mit leiser Stimme: „Ich habe so oft überlegt, was ich hätte anders machen können, ich weiß es nicht.“Und der Dahinterfa­hrende meinte: „Ich habe zu viele Bilder im Kopf, ich kann mich nicht mehr erinnern.“Beide beklagten, dass sie in den sozialen Medien mit Hasskommen­taren überschütt­et würden. Einer von ihnen wurde knapp eineinhalb Jahre nach dem tödlichen Unfall wegen Raserei am Steuer von der Polizei aus dem Verkehr gezogen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem ist er seinen Führersche­in los. Auch diese Tat spielt nun im Prozess eine Rolle.

Der vorerst bis 12. November terminiert­e Prozess wird kommenden Dienstag fortgesetz­t. Dann soll der Unfallfahr­er aus Ulm als Zeuge aussagen. Insgesamt ist die Vernehmung von mehr als 30 Zeugen geplant, auch ein Sachverstä­ndiger wird gehört. Jennifer Weese, dpa

Erinnerung­slücken bei den Angeklagte­n

 ?? Archivfoto: Josef Reisner, dpa ?? Bei dem Unfall bei Rosenheim im November 2016 starben zwei junge Frauen. Dafür verantwort­lich sollen drei junge Männer sein. Zwei von ihnen stehen nun seit Donnerstag in Traunstein erneut vor Gericht.
Archivfoto: Josef Reisner, dpa Bei dem Unfall bei Rosenheim im November 2016 starben zwei junge Frauen. Dafür verantwort­lich sollen drei junge Männer sein. Zwei von ihnen stehen nun seit Donnerstag in Traunstein erneut vor Gericht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany