Gesagt ist gesagt. Oder auch nicht
Interviews Es scheint ja gerade in Mode zu sein, Interviews nicht (vollständig) abzudrucken. Erst veröffentlichte das Fachmagazin journalist des Deutschen Journalisten-Verbands nur die InterviewFragen eines Interviews mit ExHandelsblatt-Chef Gabor Steingart. Denn dieser habe versucht, seine Antworten umzuschreiben und in die Fragen der Autorin einzugreifen. Später habe er über seinen Anwalt mitgeteilt, dass er seine Aussagen komplett zurückziehe, hieß es in eigener Sache.
Am Montag dann veröffentlichte die Thüringer Allgemeine auf ihrer zweiten Seite viel Weißraum anstelle eines Interviews mit dem Thüringer AfD-Spitzenkandidaten für die bevorstehende Landtagswahl, Björn Höcke (unser Screenshot). Inmitten der weitgehend leeren Seite stand ein Artikel mit der Überschrift: „Kein Interview. AfD-Landeschef Björn Höcke will nicht mit dieser Zeitung sprechen“. Höcke habe einen bereits fest geplanten Termin für das Gespräch und die Aufzeichnung eines Podcasts „ohne Begründung per E-Mail abgesagt“.
Der Chefredakteur erklärte zudem, dass man „allen Parteien und Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien plus der FDP den gleichen Platz für Interviews und die gleiche Aufmerksamkeit“einräume – deshalb bleibe „der für Björn
Höcke eingeplante Raum leer“. Diese Medienseite ist von derlei bislang nicht betroffen gewesen. Glücklicherweise. Das Gespräch mit Tele 5-Chef Kai Blasberg etwa und dessen „Freigabe“war eine Freude, ehrlich! Das Dauer-Thema „Autorisierung eines Zeitungs-Interviews“ist es nicht.
Anders als bei Radiooder Fernsehinterviews bedürfen Zeitungs-Interviews der Bearbeitung. Es ist schlicht nicht möglich, ein beispielsweise anderthalbstündiges Gespräch in eine halbe oder ganze Zeitungsseite zu pressen. In der Zeitung soll freilich kein Kunstprodukt stehen, auch für gedruckte Interviews gilt selbstverständlich: Gesagt ist gesagt. Dennoch muss gekürzt und weggelassen werden. Und damit der Interviewte sich vom Interviewten nicht falsch wiedergegeben fühlt, darf er in der Regel nochmals über das Wortlaut-Interview schauen, bevor es in Druck geht. In Zweifelsfällen suchen Interviewer und Interviewter nach einer Lösung. Grenzen sind dort erreicht, wo der Grundsatz „Gesagt ist gesagt“nicht mehr gilt – weil der Interviewte seine Antworten oder gar die Fragen (stark) umzuschreiben versucht, oder der Interviewer dem Interviewten etwas in den Mund legte. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen wegen des Wortlauts von Wortlaut-Interviews. Die Thüringer Allgemeine will dem mit „einem neuen Format“begegnen und „für noch mehr Transparenz“sorgen, „indem wir die Interviews komplett als Podcasts veröffentlichen. Es gibt keine Autorisierungsschleifen, wie von Parteien, Fraktionen und Pressestellen gewünscht. Es gilt das gesagte Wort“. Es ist eine Praxis, die auch unsere Redaktion bisweilen übt.
Die Norm muss sie allerdings nicht werden, meine ich, und verweise auf den Pressekodex: „Ein Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das Gesagte richtig wiedergibt.“Zeitungsjournalisten bieten ihren Leserinnen und Lesern überdies Journalismus – und nicht Rohmaterial.