Ein Randständiger im Rampenlicht
Preisträger I Jahrelang war er einer der Favoriten auf die höchste Literatenweihe. Jetzt hat er sie tatsächlich erhalten. Die Auszeichnung von Peter Handke würdigt nicht nur ihn, sondern ist auch eine Ehrenrettung des Vergabekomitees
Ich habe von Beginn an und werde bis zu meinem Ende mit jedem Wort, jedem Satz, jedem Absatz und jedem Buch und Stück die heutzutage beinahe letzte Ernsthaftigkeit und Würde des Schreibenden wahren.
Wer, wenn nicht Peter Handke, könnte dem ramponierten Literaturnobelpreis wieder das verleihen, was ihn auszeichnen sollte: Würde, Ernsthaftigkeit, Gewicht – und „das Herausragendste in idealistischer Richtung“, wie Stifter Alfred Nobel es gewünscht hat. Handke, der im Dezember 77 Jahre alt wird, lebt seit über einem halben Jahrhundert eine autonome Künstlerexistenz. Er ist einer, der dem Schreiben alles untergeordnet hat, der nur schreibend in der Welt sein konnte. „Lebensgefühl, das mir in der Regel genügt, ja – fast – das Höchste ist: Das schlichte In-der-Welt-Sein“, notiert er in „Gestern unterwegs“.
Peter Handke ist ein literarischer Einzelgänger, ein sensibler Sturkopf, ein unbeirrbar Randständiger, dessen innere Mitte die Sprache ist. Nicht nur als Schriftsteller ist Handke ein Großer – auch als Leser, Fürsprecher, Entdecker und Übersetzer. Er war es, der Hermann Lenz zu Beachtung verhalf. Handkes Übersetzungen machten den vergessenen Franzosen Emmanuel Bove hierzulande bekannt. Einen „einsamen Weltenwanderer auf der langen Reise zu sich selbst“, nannte ihn die Neue Zürcher Zeitung.
Peter Handkes Elfenbeinturm ist die Welt. Und dass er darin ein Außenseiter ist, sein muss, das wusste er immer. In seinem letzten Erzählwerk „Die Obstdiebin“reflektiert er dieses Außenseitertum, mal launisch („,Stümper!‘ war die am häufigsten mir in den Sinn kommende Selbstanrede“), mal existenziell: „Jemand ,Ungesetzlicher‘, ein Verbotener zu sein bestimmt meine gesamte Existenz.“Der in Kärnten geborene Autor ist ein Dichter der Betrachtung und der Bewegung – einer, der sich schreibend immer selbst infrage stellt. „Ich bräuchte einen kritischen Freund; und da ich keinen habe, bin ich mir das selber“, hat er einmal geäußert. Der Literaturnobelpreis krönt ein einzigartiges, episches Lebenswerk. Und es ist nicht ohne Ironie, dass Handke vor fünf Jahren zu diesem Preis, für den er oft als Buchmacher-Mitfavorit infrage kam, sagte: „Man sollte ihn endlich abschaffen.“Denn der Preis bringe lediglich einen Moment der Aufmerksamkeit, der Literatur helfe er jedoch nicht.
Handke hat mit seinen Büchern (sein Verlag Suhrkamp widmete ihm zum 75. eine 14-bändige Ausgabe des Gesamtwerks, 11424 Seiten!) immer ein geteiltes Echo ausgelöst. Er traf auf Ablehnung, ja fast höhnische Verachtung ebenso wie auf größte Wertschätzung. In seiner Parteinahme für Serbien im Jugoslawienkrieg hat er sich verrannt und verstolpert im Minenfeld zwischen Politik und Poesie. Das Unzeitgemäße hat in Handke einen wortmächtigen, mitunter zornigen Zeitgenossen. Einer, der mit der Hand schreibt, mit Bleistift. Maulwürfe zeichnet. Einer, der der Jukebox, der Müdigkeit, dem „Stillen Ort“Bücher widmete, einer, der zur toten Biene am Morgen sagt: „Ach, dich habe ich nicht gerettet.“Einer, der sich „dem umfassenden Atem der Anschauung“verschrieben hat. Er wird mal als linkisch und dann wieder als unnahbar wahrgenommen; in den letzten Jahren gelang ihm auch Selbstironie. Das Gegenteil eines Plauderers ist er sowieso.
Peter Handke gilt seit seinem frühen Erzählungserfolg „Die Hornissen“und den Stücken „Publikumsbeschimpfung“und „Kaspar“als Rebell. Er war gerade mal 23, als er bei einem Treffen der Gruppe 47 in den USA mutig für Furore sorgte, indem er die „Beschreibungsimpotenz“der gesetzten Nachkriegsautoren anprangerte. Handke, der Van Morrison und das Kino liebt, ist mehr Erzähler als Romancier, sein vielschichtiges Werk ist fast immer autobiografisch grundiert. Vor allem seine Familiengeschichte und das Schicksal des slowenischen Zweigs prägen viele seiner Bücher – von der Erzählung „Wunschloses Unglück“, in der er seiner Mutter ein literarisches Denkmal setzt bis hin zum Theaterstück „Immer noch Sturm“. Handkes Buchtitel sind mehr Allgemeingut als ihr Inhalt. „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Die linkshändige Frau“, „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“.
Die Suchbewegung, das Herantasten, das Verwerfen und der formulierte Zweifel, das Ringen um das richtige Wort sind Ausdruck von Handkes Zutrauen wie seiner Skepsis der Sprache gegenüber. Seit über einem Vierteljahrhundert lebt er in seiner „Niemandsbucht“in Chaville, einem Vorort von Paris. Dort hortet er zwischen Bücherstapeln ein Sammelsurium von Fundstücken aus den nahen Wäldern – Apfel, Pilz, Stein, Erdklumpen.
Weltfremdheit, Kauzigkeit, Entrücktheit werden Peter Handke oft vorgeworfen. Doch Handke ist kein zivilisationsscheuer Höhlenmensch, der sich in seinen Dichterbau zurückzieht – auch wenn er die Stille als Resonanzraum wie nichts anderes braucht. Seine Auffassung von „Hiesigkeit“ist wirklichkeitsgesättigt, der Gegenwart zugewandt. Mit seinen zwei erwachsenen Töchtern kommuniziert der Schriftsteller per SMS. Mehr als einmal empfiehlt er seinen Lesern, Details „nachzuschauen im Internet“. Da steht seit gestern, 13.05 Uhr: Nobelpreis für Literatur 2019.