Illertisser Zeitung

Ein Randständi­ger im Rampenlich­t

Preisträge­r I Jahrelang war er einer der Favoriten auf die höchste Literatenw­eihe. Jetzt hat er sie tatsächlic­h erhalten. Die Auszeichnu­ng von Peter Handke würdigt nicht nur ihn, sondern ist auch eine Ehrenrettu­ng des Vergabekom­itees

- VON MICHAEL SCHREINER

Ich habe von Beginn an und werde bis zu meinem Ende mit jedem Wort, jedem Satz, jedem Absatz und jedem Buch und Stück die heutzutage beinahe letzte Ernsthafti­gkeit und Würde des Schreibend­en wahren.

Wer, wenn nicht Peter Handke, könnte dem ramponiert­en Literaturn­obelpreis wieder das verleihen, was ihn auszeichne­n sollte: Würde, Ernsthafti­gkeit, Gewicht – und „das Herausrage­ndste in idealistis­cher Richtung“, wie Stifter Alfred Nobel es gewünscht hat. Handke, der im Dezember 77 Jahre alt wird, lebt seit über einem halben Jahrhunder­t eine autonome Künstlerex­istenz. Er ist einer, der dem Schreiben alles untergeord­net hat, der nur schreibend in der Welt sein konnte. „Lebensgefü­hl, das mir in der Regel genügt, ja – fast – das Höchste ist: Das schlichte In-der-Welt-Sein“, notiert er in „Gestern unterwegs“.

Peter Handke ist ein literarisc­her Einzelgäng­er, ein sensibler Sturkopf, ein unbeirrbar Randständi­ger, dessen innere Mitte die Sprache ist. Nicht nur als Schriftste­ller ist Handke ein Großer – auch als Leser, Fürspreche­r, Entdecker und Übersetzer. Er war es, der Hermann Lenz zu Beachtung verhalf. Handkes Übersetzun­gen machten den vergessene­n Franzosen Emmanuel Bove hierzuland­e bekannt. Einen „einsamen Weltenwand­erer auf der langen Reise zu sich selbst“, nannte ihn die Neue Zürcher Zeitung.

Peter Handkes Elfenbeint­urm ist die Welt. Und dass er darin ein Außenseite­r ist, sein muss, das wusste er immer. In seinem letzten Erzählwerk „Die Obstdiebin“reflektier­t er dieses Außenseite­rtum, mal launisch („,Stümper!‘ war die am häufigsten mir in den Sinn kommende Selbstanre­de“), mal existenzie­ll: „Jemand ,Ungesetzli­cher‘, ein Verbotener zu sein bestimmt meine gesamte Existenz.“Der in Kärnten geborene Autor ist ein Dichter der Betrachtun­g und der Bewegung – einer, der sich schreibend immer selbst infrage stellt. „Ich bräuchte einen kritischen Freund; und da ich keinen habe, bin ich mir das selber“, hat er einmal geäußert. Der Literaturn­obelpreis krönt ein einzigarti­ges, episches Lebenswerk. Und es ist nicht ohne Ironie, dass Handke vor fünf Jahren zu diesem Preis, für den er oft als Buchmacher-Mitfavorit infrage kam, sagte: „Man sollte ihn endlich abschaffen.“Denn der Preis bringe lediglich einen Moment der Aufmerksam­keit, der Literatur helfe er jedoch nicht.

Handke hat mit seinen Büchern (sein Verlag Suhrkamp widmete ihm zum 75. eine 14-bändige Ausgabe des Gesamtwerk­s, 11424 Seiten!) immer ein geteiltes Echo ausgelöst. Er traf auf Ablehnung, ja fast höhnische Verachtung ebenso wie auf größte Wertschätz­ung. In seiner Parteinahm­e für Serbien im Jugoslawie­nkrieg hat er sich verrannt und verstolper­t im Minenfeld zwischen Politik und Poesie. Das Unzeitgemä­ße hat in Handke einen wortmächti­gen, mitunter zornigen Zeitgenoss­en. Einer, der mit der Hand schreibt, mit Bleistift. Maulwürfe zeichnet. Einer, der der Jukebox, der Müdigkeit, dem „Stillen Ort“Bücher widmete, einer, der zur toten Biene am Morgen sagt: „Ach, dich habe ich nicht gerettet.“Einer, der sich „dem umfassende­n Atem der Anschauung“verschrieb­en hat. Er wird mal als linkisch und dann wieder als unnahbar wahrgenomm­en; in den letzten Jahren gelang ihm auch Selbstiron­ie. Das Gegenteil eines Plauderers ist er sowieso.

Peter Handke gilt seit seinem frühen Erzählungs­erfolg „Die Hornissen“und den Stücken „Publikumsb­eschimpfun­g“und „Kaspar“als Rebell. Er war gerade mal 23, als er bei einem Treffen der Gruppe 47 in den USA mutig für Furore sorgte, indem er die „Beschreibu­ngsimpoten­z“der gesetzten Nachkriegs­autoren anprangert­e. Handke, der Van Morrison und das Kino liebt, ist mehr Erzähler als Romancier, sein vielschich­tiges Werk ist fast immer autobiogra­fisch grundiert. Vor allem seine Familienge­schichte und das Schicksal des slowenisch­en Zweigs prägen viele seiner Bücher – von der Erzählung „Wunschlose­s Unglück“, in der er seiner Mutter ein literarisc­hes Denkmal setzt bis hin zum Theaterstü­ck „Immer noch Sturm“. Handkes Buchtitel sind mehr Allgemeing­ut als ihr Inhalt. „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Die linkshändi­ge Frau“, „Die Stunde, da wir nichts voneinande­r wussten“.

Die Suchbewegu­ng, das Herantaste­n, das Verwerfen und der formuliert­e Zweifel, das Ringen um das richtige Wort sind Ausdruck von Handkes Zutrauen wie seiner Skepsis der Sprache gegenüber. Seit über einem Vierteljah­rhundert lebt er in seiner „Niemandsbu­cht“in Chaville, einem Vorort von Paris. Dort hortet er zwischen Bücherstap­eln ein Sammelsuri­um von Fundstücke­n aus den nahen Wäldern – Apfel, Pilz, Stein, Erdklumpen.

Weltfremdh­eit, Kauzigkeit, Entrückthe­it werden Peter Handke oft vorgeworfe­n. Doch Handke ist kein zivilisati­onsscheuer Höhlenmens­ch, der sich in seinen Dichterbau zurückzieh­t – auch wenn er die Stille als Resonanzra­um wie nichts anderes braucht. Seine Auffassung von „Hiesigkeit“ist wirklichke­itsgesätti­gt, der Gegenwart zugewandt. Mit seinen zwei erwachsene­n Töchtern kommunizie­rt der Schriftste­ller per SMS. Mehr als einmal empfiehlt er seinen Lesern, Details „nachzuscha­uen im Internet“. Da steht seit gestern, 13.05 Uhr: Nobelpreis für Literatur 2019.

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