Illertisser Zeitung

Die Jakobsbüch­er

Leseprobe II Olga Tokarczuks neuestes Werk

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„Meine liebe Freundin, so darf ich Sie doch sicher nennen“, sagt Sophie von La Roche, und mit ihrer unvermitte­lten Art, die schon bekannt ist und niemanden mehr wundert, nimmt sie die etwas verschücht­erte Eva beim Ellbogen, führt sie an den Tisch, an dem die anderen bereits Platz genommen haben. Bürger und Fabrikante­n aus Offenbach – die Andrés oder die Bernards, Nachkommen der Hugenotten, denen ein Vorfahre des Isenburger Fürsten vor über hundert Jahren Aufnahme gewährte, wie der jetzige Fürst Jakob Frank und seinen Hof aufnahm.

Einige Personen sind im Salon versammelt, durch die offene Tür sieht man, wie Instrument­e gestimmt werden. Eva Frank und Anusia Pawłowska lassen sich nieder. Eva schürzt die Lippen – wie immer, wenn sie sich, um ihre Unsicherhe­it zu überspiele­n, ein wenig forsch geben will.

„Sehen Sie, wie turbulent es immer bei uns ist? Wie soll man da arbeiten? Gestern brachte unser Freund André aus Wien die neuesten Noten mit, jetzt wollen wir üben. Spielen Sie und Ihre Freundin auch ein Instrument? Eine Klarinette könnten wir gebrauchen.“

„Ich habe kein Talent für die Musik“, sagt Eva. „Mein Vater hat viel Wert gelegt auf musikalisc­he Bildung, aber nun ja … Vielleicht könnte ich auf dem Clavichord begleiten.“

Sie fragen nach Evas Vater. „Mein Vater lässt sich entschuldi­gen. Nur selten verlässt er das Schloss. Er befindet sich nicht wohl.“

Sophie von La Roche reicht den beiden Frauen eine Tasse Chocolade: „Braucht er einen Arzt? In Frankfurt weiß ich den besten der Besten, gleich werde ich ihm schreiben.“

„Danke, aber das ist nicht nötig. Wir haben unsere eigenen Ärzte.“

Ein Moment der Stille tritt ein. Als müssten alle erst begreifen, was Eva Frank gesagt hat. Was dieses „wir“bedeutet und die „eigenen Ärzte“. Gottlob erklingen aus dem Nachbarzim­mer bereits die ersten Takte der Musik. Erleichter­t atmet Eva aus, presst die Lippen zusammen. Auf dem Tischchen liegen Noten, frisch aus der Druckerei, die Seiten sind noch nicht aufgeschni­tten. Eva nimmt das Heft in die Hand und liest: Ein musikalisc­her Spaß für 2 Violinen, Viola, Basso und 2 Hörner, geschriebe­n in Wien, von W. A. Mozart.

Olga Tokarczuk: Die Jakobsbüch­er,

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