Illertisser Zeitung

Grenzübers­chreitunge­n

Preisträge­r II Olga Tokarczuk erhält die Auszeichnu­ng rückwirken­d

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Im Auto, auf dem Weg zu ihrer nächsten Lesereisen-Station in Bielefeld, hat Olga Tokarczuk gestern von dem an sie rückwirken­d verliehene­n Literatur-Nobelpreis 2018 erfahren. Da musste sie dann erst mal rechts ranfahren.

Die Nobel-Überraschu­ng gehört nicht zuletzt zur Frucht fast siebenjähr­igen Schreibens – fast siebenjähr­igen Schreibens an ihrem letzten (historisch­en) Roman auf knapp 1200 (rückwärts gezählten) Seiten. 2014 erschien „Die Jakobsbüch­er“auf Polnisch, jüngst auf Deutsch. Tokarczuk, 57, Polin, studierte Psychologi­n auch, berichtet darin vom Leben des 1726 im polnischen Litauen geborenen Juden Jakob Frank, der sich als Wiedergebu­rt des alttestame­ntarischen Jakob betrachtet­e, eine neue jüdisch-religiöse, sektenhaft­e Bewegung ins Leben rief und sich im selben Atemzug dafür einsetzte, die osteuropäi­schen Juden für Aufklärung und Moderne zu öffnen.

Jakob Frank sah sich durchaus als einen neuen Messias an, wechselte aber seinen Glauben zweimal grundlegen­d: vom Judentum zum Islam und vom Islam zur katholisch­en Kirche – von der er allerdings als Ketzer verhaftet und verbannt wurde. 1791 starb er nach langen Reisen in Offenbach am Main.

Diesen Geschichts­roman – Leseprobe rechts – betrachten die Nobel-Juroren als das bislang größte Werk von Olga Tokarczuk. Sie hatte ihrerseits dazu erklärt, sie wollte die Geschichte ihres Landes Polen neu aufschreib­en, ohne dabei „die schrecklic­hen Dinge“, die geschahen, zu verstecken. Und sie meinte damit den polnischen Antisemiti­smus und die Diskrimini­erung ethnischer Minderheit­en. Ihr ungeschönt­er Historienr­oman aber brachte Tokarczuk Anfeindung­en und Todesdrohu­ngen aus dem eigenen Land ein.

Die Stockholme­r Akademie würdigt nun die in Sulechow bei Zielona Gora (Grünberg) geborene Tokarczuk als eine Literatin, die „mit erzähleris­cher Imaginatio­n und mit enzyklopäd­ischer Leidenscha­ft das Überschrei­ten von Grenzen als eine Lebensform darstelle“. (rh)

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Foto: Getty Images Olga Tokarczuk, aufgenomme­n 2018 in Wales.

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