Der Scherz und die Ironie sitzen im Detail
Ausstellung Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt die Vielseitigkeit des venezianischen Malerstars Giovanni Battista Tiepolo. Und dazu seinen eigenwilligen Sinn für anarchische Bild-Zutaten – bis hin zum unauflösbaren Rätsel
Stuttgart Diese Ansage ist ziemlich kühn: Als „der beste Maler Venedigs“wird Giovanni Battista Tiepolo in Stuttgart prominent aufs Schild gehoben. Während sich Franzosen und Italiener noch um Leonardo balgen, setzt man in der Staatsgalerie bereits aufs nächste Jubiläum: Im März 2020 jährt sich der Todestag des Barockkünstlers zum 250. Mal, 1770 starb er fern der Heimat in Madrid.
Und um den Übermut gleich aufzuklären: Es sind Tiepolos Zeitgenossen, die ihn mit den schönsten Superlativen überhäufen und quer durch Europa empfehlen. Mit einem Ranking über die Jahrhunderte hinweg hat das natürlich nichts zu tun, zumal der 1696 geborene Maler ohne die rund 200 Jahre älteren Vorfahren wie Veronese oder Tizian nicht denkbar wäre – auch das vermittelt die Schau mit ihren 120 Werken ganz nonchalant.
Doch Giovanni Battista Tiepolo ist vor allem ein Künstler, der die Gegenwart kritisch beäugt und mit seinen individuellen, oft genug humorvoll ironischen Lösungen weit in die Zukunft vordringt. Die Aufklärung steht in der Warteschleife, das übersieht man gerne vor der Fulminanz seiner Ausstattungen, egal ob in Kirchen, Veneto-Villen oder Palästen. Da öffnet sich einfach ein Himmel, Olymp, Elysium, was immer man erkennen will, und die zu Beginn der 1750er Jahre entstandenen Fresken der Würzburger Residenz sind in dieser Vita sicher das Opus magnum. Tiepolo bietet alles auf, um seinen fürstbischöflichen Auftraggeber Carl Philipp von Greiffenclau in eine hochherrschaftliche Chronologie zu setzen, in der gerade noch der Papst als Untertan fehlt.
Was man vor Ort aus der Ferne dann aber kaum wahrnimmt, sind die anarchischen Zutaten. Wenn eine Nymphe in einem – in Stuttgart ausgestellten – Präsentationsmodell für den Kaisersaal noch harmlos einen Fisch in der Hand hält, greift sie der Umsetzung dem verzückten Flussgott Main unmissverständlich zwischen die Oberschenkel. Den profan-geistlichen Greiffenclau schien’s nicht zu stören. Dass der wenig diplomatische Tiepolo lieber mit den Handwerkern die Brotzeit einnahm, anstatt sich an einer pompösen Tafel zu delektieren, dürfte den kunstsinnigen Mäzen viel mehr irritiert haben.
Wobei der Maler seinen Berufsstand von Anfang an schonungslos reflektiert. Zwischen 1725 und 1730 setzt er sich mit dem antiken Apelles auseinander, der die Mätresse Alexanders des Großen porträtieren soll und sich prompt in die schöne Campaspe verliebt. Auch sie ist nicht abgeneigt, deshalb gibt sich der Feldherr generös und tritt voller Hochachtung für Apelles die Gespielin ab. Für unzählige Künstler war diese Anekdote ein willkommener Anlass, den eigenen Status zu heben. Tiepolo dagegen verkehrt die Episode zum bitterbösen Scherz: Sein Apelles sitzt eine gute Stufe tiefer mit dem Rücken zur höfischen Gesellschaft. Will er Campaspe überhaupt sehen, muss er sich den Hals schmerzhaft verrenken. Entsprechend hilflos fällt der Blick des Malers aus, und was er auf die Leinwand bringt, ist mehr Karikatur als Aushängeschild.
Ein Hofkünstler hatte auch nicht viel zu lachen. Dabei gehörte Tiepolo zu den Spitzenverdienern, sein Salär in Würzburg war um ein Vielfaches höher als das des Baumeisters Balthasar Neumann. Dennoch ließ er sich nicht korrumpieren und blieb ein eigensinniger Kopf – bei aller farbintensiven Pracht, mit der er die Kunst der wirtschaftlich dain hinsiechenden Serenissima noch einmal grandios zum Leuchten bringt. Über alle geografischen Grenzen hinweg.
Das lässt sich in einer Galerie nur bedingt aufzeigen – Fresken sitzen nun mal fest im Mauerwerk, und riesige Altargemälde, wie die über vier Meter hohe „Anbetung der Könige“aus der Alten Pinakothek, sind kaum zu transportieren. Dafür ist das OEuvre Tiepolos in Deutschland erstmals in dieser Vielfalt und über sein gesamtes Schaffen hinweg zu erleben. Die letzte große Ausstellung vor 23 Jahren in Würzburg bezog sich naheliegend auf den Maler der Residenz. Um sich davon wenigstens eine Vorstellung machen zu können, ist in der Staatsgalerie immerhin das Deckenfresko aus dem Treppenhaus nachempfunden. Und nun hat man den Vergleich zu den Vorstudien, Ölskizzen und den dokumentierenden Zeichnungen von Tiepolos Sohn Domenico.
Interessanter als die brillante Inszenierungsgabe des Meisters ist allerdings das Unterlaufen der Konventionen. Etwa beim Heiligen Jakobus (um 1750) aus dem Budapester Szépmüvészeti Museum. Der reitet nicht als triumphierender „Maurentöter“daher, wie es sich die Spanier gewünscht hatten, sondern schlägt mit seinem Schwert einen dunkelhäutigen Heerführer vermutlich zum Ritter. Und wenn der domestizierte Stier Jupiter unter der pomadigen Europa zusammenbricht und über allem ein Putto auf das Blitzbündel des Chefgotts pinkelt, ist das eine herrlich respektlose Persiflage auf den pathosangereicherten Mythenjubel der Zeit.
Giovanni Battista Tiepolos Erfindungsgabe dreht schließlich wilde Pirouetten, wenn er in den Radierungsfolgen der „Vari Capricci“und der „Scherzi di Fantasia“(1740-1757) ein kurioses Personal aus Soldaten und Orientalen, jungen Frauen und neugierigen Knaben auf Affen, brennenden Schlangen oder Eulen treffen lässt und dazu noch Eigentümlichkeiten wie Knochen und Urnen kombiniert. Im Gegensatz zu den gut zu entschlüsselnden Fresken Tiepolos kommt man hier zu keinem Ergebnis, die Unlösbarkeit des Rätsels hat Methode.
Leicht möglich, dass sich in diesen albtraumhaften Szenen so etwas wie künstlerische Freiheit manifestiert. Und nicht nur wegen der Eulen rückt plötzlich Francisco de Goya ganz nahe. Der kannte und schätzte das Werk des Italieners – dies machen die anklagenden Blätter aus „Los Caprichos“(1799) überdeutlich. Die lichte Fülle des venezianischen Rokokos hat damit auch eine düster-bizarre, auffallend moderne Seite.
„Tiepolo. Der beste Maler Venedigs“,