Illertisser Zeitung

Die Angst vor dem Siegen

Fußball Wieder bringt die deutsche Nationalel­f einen Vorsprung nicht über die Zeit. Dennoch ist Joachim Löw mit dem 2:2 gegen Argentinie­n zufrieden – auch wegen der Personalpr­obleme

- VON TILMANN MEHL

Dortmund Am Ende eines ereignisre­ichen Abends war Joachim Löw erleichter­t. Der Bundestrai­ner hob hervor, dass er „viele positive Erkenntnis­se gesammelt habe“. Er müsse seiner Mannschaft ein Kompliment machen, wie sie mit „Mut und Herz“gespielt und seine Anweisunge­n umgesetzt habe. Es hätte ja auch alles ganz anders laufen können. Wegen eines Dutzend an verletzung­sund krankheits­bedingten Absagen stand eine Mannschaft auf dem Feld, die es in dieser Konstellat­ion nie wieder geben wird. Eine Ausgangssi­tuation, die auch zu einer herben Pleite hätte führen können.

Am Ende stand allerdings ein 2:2 gegen Argentinie­n. Ein Ergebnis, das den Leistungen der beiden Mannschaft­en entspricht und den Trainern der Teams einige Fragen hinterläss­t. Argentinie­ns Coach Lionel Scaloni muss beantworte­n, warum seine Auswahl lange Zeit keine Gegenmitte­l für die schnellen Angriffe der Deutschen fand und ob sein Team wirklich so weit ist, auf Könner wie Sergio Agüero und Ángel di María zu verzichten.

wiederum steht nun schon seit längerer Zeit vor der Herausford­erung, seiner Mannschaft die Angst vor dem Siegen auszutreib­en. Das Verspielen von Führungen gerät zum sich wiederhole­nden Motiv. Im vergangene­n November gab die Mannschaft gegen Holland in den Schlussmin­uten ein 2:0 aus der Hand. Man trennte sich schließlic­h 2:2. Vier Monate später kamen die Niederländ­er in Amsterdam nach einem 0:2 abermals zum Ausgleich, Nico Schulz allerdings gelang so spät die abermalige Führung, dass der Gegner nicht mehr kontern konnte. Zuletzt führten die Deutschen (erneut gegen Holland) 1:0 in Hamburg – verloren am Ende aber 2:4. Nun also Argentinie­n.

„Da hat uns ein wenig der Mut verlassen, weiter nach vorne zu spielen“, umriss Löw den Grund, die Führung nicht bis zum Abpfiff gehalten zu haben. Möglicherw­eise aber trifft den Bundestrai­ner auch eine Teilschuld. Zum wiederholt­en Mal bot er im zentralen Mittelfeld lediglich zwei Spieler auf. Während sich Joshua Kimmich um die Organisati­on defensiver und offensiver Abläufe kümmerte, sorgte sich Kai Havertz um die kreative Komponente. Das gelang eine Stunde ausgezeich­net, Beleg dafür sind die Treffer von Serge Gnabry (15.) und Havertz (22.). Dann aber bekamen die Deutschen wie schon in den Partien gegen Holland die immer größer werdenden Räume nicht mehr verstellt. Der Anschlusst­reffer von Lucas Alario fiel noch eher zufällig nach einer Flanke (66.), der Ausgleich von Lucas Ocampos aber war zwangsläuf­ige Folge der immer fahriger werdenden Deutschen.

Löw scheint sich festgelegt zu haben, gegen vermeintli­ch starke Gegner eine defensive Dreierkett­e aufzubiete­n, die durch die Außenverte­idiger Lukas Klosterman­n und Marcel Halstenber­g zum fünfgliedr­igen Abwehrverb­und wird. Das bringt Sicherheit in letzter Linie, kann aber im weiten Feld davor die Mittelfeld­spieler auch überforder­n.

Diesmal freilich musste Löw auch auf Ilkay Gündogan und Toni Kroos verzichten. Sie hätten das schwankend­e Spiel möglicherw­eise beruhigt. Den etatmäßige­n Mittelfeld­spieler Emre Can beorderte der Trainer an die Seite von Neuling Robin Koch nach hinten. Der TuriLöw ner lieferte eines seiner besten Länderspie­le ab.

Can war einer jener Spieler, weshalb Löw zufrieden auf den Tag zurückblic­kte. Als Trainer sei es „immer das Ziel, auf allen Positionen Konkurrenz­kampf zu haben“. Can meldete sich mit seiner Leistung zurück im Kreise der Herausford­erer. Marcel Halstenber­g ist ein ernsthafte­r Konkurrent für Nico Schulz auf der linken Seite. Lukas Klosterman­n dürfte mittlerwei­le rechts Vorteile gegenüber Thilo Kehrer haben. Und auch wenn Robin Koch möglicherw­eise nicht mehr berufen werden sollte, wenn Antonio Rüdiger, Niklas Stark, Matthias Gintner und Jonathan Tah wieder fit sind, brachte er sich doch als Alternativ­e ins Gespräch.

Die B-Mannschaft hat angedeutet, wettbewerb­sfähig zu sein. Löws Erleichter­ung ist verständli­ch. Auskunft über die Stärke der deutschen A-Nationalma­nnschaft hat die Partie allerdings nicht erbracht. Weil auch am Sonntag gegen Estland (20.45 Uhr, RTL) immer noch etliche Spieler ausfallen, muss mit diesem Erkenntnis­gewinn noch bis zum nächsten Jahr gewartet werden.

 ?? Foto: Tim Groothuis, Witters ?? Joachim Löw musste mit einer wenig eingespiel­ten Mannschaft gegen Argentinie­n antreten. Dafür war die erste Halbzeit recht gut, nach der Pause aber kassierte das deutsche Team noch zwei Gegentore. Damit wurde der fast sicher geglaubte Sieg noch verspielt.
Foto: Tim Groothuis, Witters Joachim Löw musste mit einer wenig eingespiel­ten Mannschaft gegen Argentinie­n antreten. Dafür war die erste Halbzeit recht gut, nach der Pause aber kassierte das deutsche Team noch zwei Gegentore. Damit wurde der fast sicher geglaubte Sieg noch verspielt.

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