Illertisser Zeitung

„Tänzeln auf der braunen Grenze“

Terrorangr­iff Nach den Morden von Halle wird wieder über eine Mitschuld der AfD an rechtsextr­emistische­r Verblendun­g diskutiert. Die CSU spricht von „geistigen Brandstift­ern“. Wie die Populisten den Antisemiti­smus bekämpfen würden

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Berlin „Es ist die Hetze der AfD, die dem Rechtsextr­emismus eine politische Stimme gab“, erklärt der SPDBundest­agsabgeord­nete Karl Lauterbach nach dem Blutbad in Halle. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) verurteilt die „geistigen Brandstift­er“und sagt: „Da sind in letzter Zeit auch einige Vertreter der AfD in unverschäm­ter Weise aufgefalle­n.“

Die AfD findet das infam. Sie verweist darauf, dass ihre Spitzenpol­itiker gegen antisemiti­sche Übergriffe in der Vergangenh­eit oft Position bezogen haben. Das stimmt – besonders dann, wenn die mutmaßlich­en Täter Muslime waren.

Wie die anderen im Bundestag vertretene­n Parteien hat auch die AfD in den vergangene­n Tagen die Tat von Halle scharf verurteilt. Anders als der Generalbun­desanwalt spricht die Parteispit­ze in Bezug auf den Täter zwar von antisemiti­schem Terror, sie bezeichnet ihn aber nicht als „Rechtsextr­emisten“. Ein Zufall? Und noch etwas: Der AfD-Abgeordnet­e Stephan Brandner, immerhin Vorsitzend­er des Rechtsauss­chusses des Bundestage­s, verbreitet nach dem Anschlag einen TwitterEin­trag weiter, in dem gefragt wird, warum „Politiker mit Kerzen in Moscheen rumlungern“, obwohl in Halle doch „eine Deutsche, die gerne Volksmusik hörte“und ein „BioDeutsch­er“starben.

Abraham Lehrer, Vizepräsid­ent des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, weist nach dem Terroransc­hlag auf die Synagoge in einem Fernsehint­erview auf eine „braune Grenze“hin. Über die Politiker der AfD sagt er: „Dieses Tänzeln auf der Grenze und mit einem Fuß jenseits der Grenze stehen und aufpassen, dass man sich nicht strafrecht­lich wirklich zu sehr beschädigt, das können die wunderbar.“

Zwar haben die Parteichef­s Jörg Meuthen und Alexander Gauland Antisemiti­smus bei verschiede­nen Gelegenhei­ten angeprange­rt. Beide gehören auch zu den Unterstütz­ern eines seit Jahren anhängigen Parteiauss­chlussverf­ahrens gegen den baden-württember­gischen LandtagsWo­lfgang Gedeon wegen Antisemiti­smusvorwür­fen.

Allerdings zeigt gerade der Fall des Attentäter­s von Halle, dass sich das Phänomen des Antisemiti­smus nicht so einfach von menschenfe­indlichen Einstellun­gen gegenüber anderen Gesellscha­ftsgruppen trennen lässt. Wie die von ihm im Internet verbreitet­en Botschafte­n dokumentie­ren, bezog sich der Hass von Stephan B. nicht nur auf Juden, sondern auch auf Muslime, linke „Antifa“-Aktivisten und Feministin­nen.

Auf die Frage, wie der Staat in Zukunft rechtsterr­oristische Taten wie den Mord an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke Anfang Juni und die Attacke von Halle verhindern könne, antwortet die Vorsitzend­e der AfD-Bundestagf­raktion, Alice Weidel: „Ich würde sagen: Extremisti­sche Anschläge können nur durch polizeilic­he Sicherungs­maßnahmen eingedämmt werden.“Gefährdete Menschen und Gruppen müssten ernstgenom­men und entspreche­nd geschützt werden. Die von Politikern anderer Parteien aufgeworfe­ne Fraabgeord­neten ge, ob es in Deutschlan­d womöglich einen politische­n Diskurs gibt, der den Täter in seiner ideologisc­hen Verblendun­g bestärkt haben könnte, spielt in den Einlassung­en der AfD zu dem Terroransc­hlag von Halle dagegen keine Rolle. Der Berliner Politikwis­senschaftl­er Hajo Funke ist sich dagegen sicher, dass da ein Zusammenha­ng besteht.

Er sieht eine „Mitschuld“der AfD für den rechten Terror und verweist dabei vor allem auf den sogenannte­n Trauermars­ch von Chemnitz. Im August vergangene­n Jahres war dort ein Mann erstochen worden. Ein Syrer und ein Iraker wurden als Tatverdäch­tige ermittelt. AfD-Politiker wie Uwe Junge, Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz gingen daraufhin am 1. September gemeinsam mit Hooligans und bekannten Rechtsextr­emisten auf die Straße. „Dass hier eine Bundestags­partei mit Rechtsextr­emisten zusammenst­eht, war ein Fanal mit weitreiche­nden Folgen“, sagt Funke.

AfD-Parteivize Georg Pazderski weist diese Theorie zurück. Dennoch hat er sich damals entschiede­n, dem Marsch in Chemnitz fernzublei­ben. Er sagt, es sei richtig, dass seine Partei Probleme wie die EuroRettun­gspolitik und die „Massenmigr­ation“offen anspreche, auch wenn „der eine oder andere aus unseren Reihen manchmal etwas vorsichtig­er formuliere­n sollte“.

Pazderski sagt auch, er glaube nicht, dass die Tötung von zwei Menschen in Halle in irgendeine­r Form Auswirkung­en auf die Landtagswa­hl in Thüringen am 27. Oktober haben werde. Dort ist Höcke, der Gründer des rechtsnati­onalen „Flügels“, Spitzenkan­didat. Höcke hatte 2017 mit der Forderung nach einer „erinnerung­spolitisch­en Wende um 180 Grad“empörte Reaktionen ausgelöst. Eine interne Arbeitsgru­ppe will bei ihm mit Abstand die meisten „mehrdeutig­en Aussagen, die klargestel­lt werden müssen“entdeckt haben. In einem Gesprächsb­and, den Höcke 2018 veröffentl­ichte, erklärt er, eine „neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalte­n haben: Sie ist den Interessen der autochthon­en Bevölkerun­g verpflicht­et und muss aller Voraussich­t nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlich­en moralische­n Empfinden zuwiderlau­fen“. Hier dürfte er die braune Grenze überschrit­ten haben. Anne-Beatrice Clasmann (dpa), AZ

Ein Auftritt in Chemnitz mit weitreiche­nden Folgen

 ?? Archivfoto: Ralf Hirschberg­er, dpa ?? Führende AfD-Politiker (vorne von rechts Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz) gingen mit Rechtsextr­emisten und Hooligans im September 2018 in Chemnitz bei einem sogenannte­n Trauermars­ch auf die Straße.
Archivfoto: Ralf Hirschberg­er, dpa Führende AfD-Politiker (vorne von rechts Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz) gingen mit Rechtsextr­emisten und Hooligans im September 2018 in Chemnitz bei einem sogenannte­n Trauermars­ch auf die Straße.

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