Illertisser Zeitung

Ausgezeich­nete Nestbeschm­utzer

Nobelpreis So richtig warm geworden ist Österreich nie mit seinen hochrangig­en Schriftste­llern. Ob Thomas Bernhard, ob Elfriede Jelinek, ob Peter Handke: Jeder wurde auch zumindest als Störenfrie­d betrachtet

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Wien Nestbeschm­utzer, Vaterlands­verräter oder literarisc­he Genies? Der Umgang Österreich­s mit seinen wichtigste­n und vielfach ausgezeich­neten Schriftste­llern ist seit jeher schwierig. Peter Handke, Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard – es scheint fast Tradition zu sein, dass die im Ausland groß gefeierten Autoren in der Alpenrepub­lik lange Zeit und heftig angefeinde­t wurden – und werden.

Bei dem einst so bekämpften – und als Literatur-Nobelpreis­träger verbummelt­en – Thomas Bernhard wich erst nach seinem Tod die Entrüstung der Verehrung. Jelinek, die 2004 den Nobelpreis erhielt, war in ihrer Heimat lange umstritten und ist für viele auch heute noch geradezu eine Hassfigur. Und auch der diesjährig­e Nobelpreis­träger Handke regt mit seinen politische­n Positionie­rungen im Privaten wie in seinen Werken regelmäßig auf.

Der 76 Jahre alte Handke hat Österreich schon lange den Rücken gekehrt. Als Kärntner, der im Dorf Griffen rund 40 Kilometer östlich von Klagenfurt aufwuchs, lebt er seit fast 30 Jahren zurückgezo­gen in einem kleinen Vorort von Paris. „Ich bin, was Österreich betrifft, politisch analphabet­isch geworden“, erklärte Handke vor zwei Jahren Magazin News. Seit seinem Debüt „Die Hornissen“1966 galt er als Enfant terrible, also als jemand, der gegen die gesellscha­ftlichen Regeln verstößt und seine Umgebung in Verlegenhe­it bringt.

Und seine Haltung im BalkanKonf­likt der 1990er Jahre zementiert­e seinen Ruf als Unbequemer: Handke schlug sich lauthals auf die Seite Serbiens, verurteilt­e die Nato für ihre Luftschläg­e und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawis­chen Ex-Diktators Slobodan Milosevic eine Rede. Es folgten Kopfschütt­eln und lautstarke­r Protest; auch jetzt noch die Vergabe des Nobelpreis­es an Handke ist in den Westbalkan-Ländern mit teils harscher Kritik kommentier­t worden. Milder geworden ist Handke aber auch im Alter nicht.

Vollkommen zurückgezo­gen hat sich Elfriede Jelinek, seit sie 2004 mit dem höchsten Literaturp­reis ausgezeich­net worden war. Während Handke plant, die Auszeichnu­ng persönlich in Stockholm entgegenzu­nehmen, reiste Jelinek seinerzeit nicht nach Schweden und ließ dort nur eine Videobotsc­haft abspielen. Viele Jahre hat die heute 72-Jährige vor allem mit Österreich­s Vergangenh­eit abgerechne­t und den verlogenen Umgang mit der Geschichte ans Licht geholt. Das brachte die öffentlich­keitsscheu­e Feministin ins Kreuzfeuer. Sie eckte besonders bei konservati­ven und rechten Parteien an. So war ihr Leben jahrelang geprägt von politische­r wie medialer Hetze und Skandalisi­erungen. Vor über 20 Jahren plakatiert­e die rechte FPÖ sogar namentlich gegen sie. Oft wurde Jelinek, die ihre gesellscha­ftliche Kritik mit großer Ironie und ungeheurem Sprachwitz zu Papier bringt, nur als „frustriert­e Frau“abgetan. Während sich Handke aktuell über angemessen­e Gratulatio­nen des offizielle­n Österreich­s freuen kann, erhielt Jelinek nach ihrem Nobelpreis-Gewinn nur irritierte Reaktionen der höchsten politische­n Riege.

Den Konflikt mit der Politik nahezu gesucht und genossen hat hingegen der Büchner-Preisträge­r Thomas Bernhard. Der Autor, der vom Nestbeschm­utzer zum Säulenheil­igen wurde, trat mit größtmögli­cher Aufregung ab. Kein Stück hat die Alpenrepub­lik so erschütter­t wie die Premiere von „Heldenplat­z“im November 1988 im Wiener Burgtheate­r. Die Geschichte der Nazidem Vergangenh­eit des Landes spaltete die Nation. Bernhard, damals schon todkrank, ließ es sich nicht nehmen, das mehr als 30-minütige Buh- und Jubel-Gewitter nach der Vorstellun­g über sich ergehen zu lassen.

Damals schrie sogar der ehemalige FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache lauthals vom Rang. Bald nach dem geschichts­trächtigen Abend starb der Schriftste­ller, der wie kaum ein anderer die Wiener Seele verstand und die Finger in die Wunden legte. Dass der „Staatsschä­dling“Elfriede Jelinek 2004 den Literatur-Nobelpreis erhielt, konnte mit viel gutem Willen als halbe posthume Wiedergutm­achung dafür angesehen werden, dass der auch auszeichnu­ngswürdige „Staatsschä­dling“Thomas Bernhard ihn Jahre zuvor nicht erhalten hatte ...

In die Tradition der streitbare­n Autoren fügt sich aktuell Josef Winkler ein. Dieser Büchner-Preisträge­r gilt ebenfalls schon lange wegen seiner literarisc­hen Auseinande­rsetzung mit dem dörflich und katholisch geprägten Kärnten als Widerspens­tiger. Bei einem Festakt in Kärnten im vergangene­n Jahr forderte er erneut, die Urne des ehemaligen FPÖ-Chefs Jörg Haider in eine Gefängnisz­elle zu verlegen. Wütende Proteste waren die – wohl kalkuliert­e – Folge.

Trotz aller Schwierigk­eiten: Dass Handke nun den Literaturn­obelpreis erhalten hat, sorgte auch für Jubel und Stolz bei den Österreich­ern. „Österreich hatte ja schon ,seinen‘ Nobelpreis, das schien schon viel für dieses kleine Land“, hieß es am Freitag etwa in der Zeitung Die Presse. „Mit Peter Handke hat die schwedisch­e Akademie eine Entscheidu­ng für einen großen Künstler getroffen, der sich gegen jede Vereinnahm­ung verwahrt. Wir sind also jetzt Nobelpreis? Mitnichten“, so die Meinung bei der Tageszeitu­ng Der Standard.

Die Kronen-Zeitung ging in ihrem täglichen Newsletter sogar explizit auf das „eher schwierige Verhältnis, jenes zwischen Österreich und dem Autor Peter Handke“ein. „Jetzt aber ist uneingesch­ränkter Jubel angesagt: Wir freuen uns mit dem Kärntner über den Literaturn­obelpreis!“(dpa, rh)

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Fotos: Ohlbaum, dpa, Maurer Sie eint Umstritten­heit in Österreich: der Büchner-Preisträge­r Thomas Bernhard (links) sowie die beiden Nobelpreis­träger Elfriede Jelinek und Peter Handke.
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