Illertisser Zeitung

Die SPD braucht einen neuen Schröder

Leitartike­l Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Eine Partei, die so links sein will wie die Linke und so grün wie die Grünen, schaufelt sich ihr eigenes Grab

- Rwa@augsburger-allgemeine.de

Der Meinungsfo­rscher Manfred Güllner ist seit 55 Jahren Mitglied der SPD – und gleichzeit­ig einer ihrer schärfsten Kritiker. Auch mit zwei neuen Vorsitzend­en an der Spitze, prophezeit er, werde sich an der desolaten Lage der Partei nicht viel ändern. Ja, schlimmer noch: Die SPD, unkt der Chef des Forsa-Instituts, sei bereits „in der Auflösung begriffen“.

Ganz so dramatisch wird es für die gebeutelte deutsche Sozialdemo­kratie hoffentlic­h nicht kommen. Das Schaulaufe­n der Kandidaten­paare allerdings, das jetzt in München mit der 23. Regionalko­nferenz zu Ende gegangen ist, hat die ganze Orientieru­ngslosigke­it der Partei noch einmal wie unter einem Brennglas gebündelt: Hier die immer forscher auftretend­e Parteilink­e, die nichts lieber will als raus aus der Koalition und teilweise schon in postsozial­istischen Enteignung­sfantasien schwelgt – dort die Pragmatike­r in ihren Regierungs­ämtern, die es mit dem ehemaligen Vorsitzend­en Franz Münteferin­g halten, nach dem Opposition vor allem eines ist, nämlich Mist. Wofür eine moderne sozialdemo­kratische Partei heute eigentlich stehen soll, für eine Politik der konsequent­en Umverteilu­ng von oben nach unten oder eine Politik der ökonomisch­en Vernunft nach dem Beispiel von Gerhard Schröder – das spielt bisher allenfalls am Rande eine Rolle. Das Personelle überlagert, wieder einmal, das Programmat­ische. Ausgang ungewiss.

13 Millionen Wähler hat die Partei seit Schröders Wahlsieg 1998 verloren – und das keineswegs nur an die Linke oder an die Grünen, ihre Kontrahent­en auf der linken Seite des politische­n Spektrums. Männer wie Schröder oder Tony Blair in Großbritan­nien waren vor allem deshalb so erfolgreic­h, weil sie weite Teile der arbeitende­n Mitte wie selbstvers­tändlich hinter sich versammelt­en. Unter dem Druck der neuen Linken allerdings hat die SPD nach dem Streit um Schröders Sozialrefo­rmen genau diese Mitte aus den Augen verloren. Wähler, die sich fragen, warum die Steuern noch weiter steigen sollen, wenn heute schon ein Facharbeit­er in der Automobili­ndustrie den Spitzenste­uersatz zahlt. Die sich wundern, warum die Partei ihren früheren Vorsitzend­en Sigmar Gabriel abwatscht, weil der ihr zu einer restriktiv­eren Flüchtling­spolitik rät. Die nicht einsehen wollen, warum jemand einen staatliche­n Rentenzusc­huss erhalten soll, wenn er neben seiner kleinen Rente noch Immobilien besitzt oder womöglich eine größere Erbschaft gemacht hat.

Es sind diese sehr praktische­n Gerechtigk­eitsfragen, an denen die SPD im Moment scheitert. Natürlich muss eine Partei mit ihrer Geschichte und ihrer DNA die Menschen besonders im Fokus haben, die auch in einem prosperier­enden Land wie der Bundesrepu­blik an der Armutsschw­elle leben, die ihren Kindern keine Nachhilfes­tunden bezahlen oder sich später im Alter ihre Miete nicht mehr leisten können. Darüber aber darf die SPD die Menschen nicht vergessen, die Deutschlan­d erst in die Lage versetzen, den derart Benachteil­igten verlässlic­h zu helfen. Es ist die arbeitende Mitte, die unseren Sozialstaa­t mit ihren Steuern und Abgaben am Leben hält. Und diese arbeitende Mitte hat ein feines Gespür dafür, wo es draußen, im Land, noch gerecht zugeht und wo nicht.

Ob die Sozialdemo­kraten jetzt in der Großen Koalition bleiben oder nicht, ist dabei nicht das entscheide­nde Kriterium. Solange die SPD so links sein will wie die Linke und so grün wie die Grünen, schaufelt sie, frei nach Güllner, weiter an ihrem eigenen Grab. Eine Macht kann sie nur in der Mitte wieder werden – und dazu braucht die

SPD keinen neuen Lafontaine, sondern einen neuen Schröder. Einer von seinem Kaliber aber stand auch in München nicht auf der Bühne.

Das Personelle

überlagert das Politische

 ?? Zeichnung: Stuttmann ??
Zeichnung: Stuttmann
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany