Illertisser Zeitung

Von der Leyens Fehlstart

Europäisch­e Union Präsident Macron äußert Zweifel an den Führungsqu­alitäten der künftigen deutschen Kommission­spräsident­in. Steckt hinter der Ablehnung der französisc­hen Kandidatin doch ein Rachefeldz­ug Webers?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Für Ursula von der Leyen, die künftige Präsidenti­n der EUKommissi­on, war es ein rabenschwa­rzer Tag. Noch bis zum Donnerstag­mittag gab es in Brüssel kaum Zweifel daran, dass die französisc­he Kandidatin für die nächste EU-Kommission, Sylvie Goulard, die Anhörungen vor dem EU-Parlament schaffen würde. Die 54-Jährige galt als „Über-Europäerin“. Im „Team Ursula“sollte sie das Mammutress­ort Binnenmark­t und Verteidigu­ng übernehmen.

Und außerdem war sie als Kandidatin des französisc­hen Staatspräs­identen eigentlich unangreifb­ar. Doch das Parlament tat, was einige als „Majestätsb­eleidigung“bezeichnet­en: Es ließ Goulard am Donnerstag zum zweiten Mal durchfalle­n. Wenige Stunden später zeigte sich Macron vor laufenden Kameras so wütend, wie ihn selbst langjährig­e Beobachter nach eigenen Aussagen noch nicht erlebt hatten. Er habe doch „alles mit von der Leyen“abgesproch­en, echauffier­te er sich. Und die habe ihm versichert, dass sie mit den Chefs der großen Fraktionen Christ- und Sozialdemo­kraten sowie Renew Europe, den einstigen Liberalen, in deren Reihen auch Macrons LREM-Abgeordnet­e sitzen, reden würde. Das tat die designiert­e deutsche Kommission­spräsident­in zwar auch – offenbar sogar dermaßen deutlich, dass einige Europa-Parlamenta­rier in der Anhörung von „massivem Druck“sprachen. Was war passiert?

Goulard saß lange im Europäisch­en Parlament, wurde französisc­he Verteidigu­ngsministe­rin, wo sie auch von der Leyen kennenlern­te. 2017 trat sie zurück, nachdem Vorwürfe gegen sie laut geworden waren. Zum einen soll sie einen Mitarbeite­r als Scheinselb­stständige­n beschäftig­t haben. Zum anderen war sie in der privaten Berggrün-Stiftung tätig und bezog dafür rund zwei Jahre lang ein monatliche­s Gehalt, das mit über 10 000 Euro angegeben wird. Während sie den ersten Fall durch Erstattung von 45000 Euro beizulegen versuchte (die EUAnti-Korruption­sbehörde Olaf ermittelt aber immer noch), wurde ihr der zweite Fall in Brüssel zum Verhängnis. Denn sie konnte die eigentlich naheliegen­de Frage der Volksvertr­eter nicht beantworte­n: „Wieso kann jemand, der in Frankreich als Verteidigu­ngsministe­rin zurücktret­en musste, in Brüssel EU-Kommissari­n werden?“

Goulard versuchte Antworten, drang aber nicht durch. So entstand schnell der Verdacht, sie könnte ein Bauernopfe­r der Abgeordnet­en sein. Hatte am Ende Manfred Weber die Finger im Spiel – jener Chef der mächtigen christdemo­kratischen EVP-Fraktion, der als Spitzenkan­didat seiner Parteienfa­milie zwar in die Europawahl ging, am Ende auch siegte, aber trotzdem nicht Kommission­spräsident werden durfte? Schließlic­h war es Macron, der Weber wegen dessen fehlender Regierungs­erfahrung als „ungeeignet“abgelehnt haben soll. Eben jener französisc­he Staatspräs­ident, von dem es sogar heißt, er habe immer noch seine Finger im Spiel gehabt, als Weber vor wenigen Wochen überlegte, sich als Parteichef der EVP zur Wahl zu stellen, aber ebenfalls nicht zum Zug kommen durfte. „Blanker Unsinn“, heißt es im Umfeld Webers. Der Niederbaye­r selbst schweigt.

Intern aber wird gestreut, die EVP sei von dem Widerstand gegen Goulard völlig überrollt worden. „Niemand hat damit gerechnet, dass die durchfalle­n könnte.“Tatsächlic­h bescheinig­en Fraktionsk­ollegen Weber, dass er keineswegs gegen Goulard agiert habe. Das seien andere gewesen – wie die Chefin der CSUGruppe im Europäisch­en Parlament, Angelika Niebler, oder der brandenbur­gische CDU-Europaabge­ordnete Christian Ehler. Sogar bei den Grünen, in deren Reihen seit Beginn der Legislatur­periode der einstige Korruption­sexperte von Transparen­cy Internatio­nal, Daniel Freund, als Parlamenta­rier sitzt, ging niemand davon aus, dass die Französin trotz der beiden Affären durchfalle­n würde. Dass sie trotzdem scheiterte, habe – so wird fraktionsü­bergreifen­d betont – an ihr selbst gelegen. Beide Auftritte vor den Abgeordnet­en wurden als „arrogant“und „überheblic­h“, als „fachlich unqualifiz­iert“und „nicht ausreichen­d“empfunden. Am Ende stimmten 82 Ausschussa­bgeordnete gegen sie, nur 29 Ja-Stimmen verzeichne­te das Protokoll. Die Theorie von einem Racheakt Webers scheint in die falsche Richtung zu gehen.

Tatsächlic­h attackiert­e Macron dann auch nicht den CSU-Politiker, sondern Ursula von der Leyen, der er vorhielt, keine Mehrheiten im Europäisch­en Parlament organisier­en zu können. Ein schwerer Vorwurf, schließlic­h hatte Macron selbst die ehemalige deutsche Verteidigu­ngsministe­rin im Kreis der Staats- und Regierungs­chefs aufs Schild gehoben. Für von der Leyen ist der Vorgang eine Blamage. Noch nie wurden drei Kommission­s-Kandidaten vom Parlament abgelehnt: Neben Goulard schickten die Volksvertr­eter auch die rumänische Bewerberin sowie den ungarische­n Vertreter wieder nach Hause.

Die designiert­e Präsidenti­n der wichtigste­n europäisch­en Behörde ist damit angeschlag­en – und muss hinnehmen, dass schon ihr erster Plan nicht aufgeht: In Brüssel glaubt niemand mehr daran, dass ihre Kommission wie vorgesehen am 1. November ins Amt kommt. Denn die Zeit für die Anhörungen dreier neuer Bewerber plus Abstimmung im Plenum des EU-Parlamente­s reicht definitiv nicht mehr. Für die mit vielen Vorschussl­orbeeren ausgestatt­ete Ursula von der Leyen bedeutet das nichts weniger als einen fulminante­n Fehlstart.

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Foto: dpa Ein bisschen mehr Fortune? Holpriger Start für Ursula von der Leyen.

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