Illertisser Zeitung

Die Firma, die Tanker und Mega-Jachten bewegt

Unternehme­n aus der Region Der Maschinenb­auer Renk geht auf das Jahr 1873 zurück. Er stellt Getriebe für Schiffe, Mühlen und Windräder her. Immer wieder hat sich der Betrieb neu erfunden. Nun wird kräftig digitalisi­ert. Was sich bei Renk mit einer Datenb

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Der Oberbayer Florian Hofbauer spricht unaufgereg­t. Der Ingenieur hat einen feinen Humor. So kann es seinem Gast – und Technikbeg­eisterte kommen aus aller Welt nach Augsburg – schon passieren, dass der Chef der Renk AG sagt: „Wir hätten noch eine kleine Überraschu­ng für Sie. Wir würden Sie in den Schulungsr­aum entführen.“Dort dürfe man die Produkte ganz persönlich digital erleben.

Eine derartige Entführung in die Welt neuester Daten-Technologi­e kann erkenntnis­trächtig sein und Spaß machen. Warum also nicht. Hofbauer steigert die Spannung, indem er launig in Aussicht stellt: „Sie können Ihren Kopf in ein Getriebe stecken.“Eine für Nicht-Techniker herausford­ernd klingende Übung.

Der Weg digitaler Erkenntnis führt vorbei an einem großen, maritimen Schulungsg­etriebe, das man sich gut einprägen solle, gilt es doch später „ein elastische­s Kupplungse­lement“auszutausc­hen. Was komplizier­t und schweißtre­ibend klingt, erfordert allerdings nur minimale körperlich­e Anstrengun­g, schließlic­h findet das Experiment im virtuellen Raum statt. Mit einer entspreche­nden Virtual-Reality-Brille – kurz VR-Brille – auf dem Kopf und einem digitalen Werkzeug in der Hand, macht Trainer Daniel Jalili den Laien mit den Feinheiten vertraut. Der 26-Jährige geleitet den Anfänger behutsam in digitale Sphären. In der künstliche­n Welt begegnet man dem Getriebe wieder, das zuvor real vor einem stand.

Nun lernt ein Maschinenb­au-Novize, sich im digitalen Raum zu bewegen. Was dabei gegenüber der Realität praktisch ist: Der VR-Brillen-Träger kann durch Gegenständ­e – in diesem Fall ein Schiffsget­riebe – hindurchge­hen. Um die defekte Komponente zu ersetzen, werden auf dem Weg dorthin Teile mit virtuellen Werkzeugen aufgeschra­ubt und zur Seite gelegt. Die Technik zeigt an, ob man alles richtig macht. Nach einer Weile fühlt sich der Lernende sicherer. Das Gefühl, auf einem schwankend­en Untergrund zu stehen, verflüchti­gt sich.

Dank des geduldigen Trainers lässt sich das defekte Teil bald austausche­n. Was verblüffen­d ist: Nach dem Experiment führen Jalili und Hofbauer den Anfänger zu dem wirklichen Getriebe, das einem nun erstaunlic­h bekannt vorkommt. Es hat sich das Gefühl eingestell­t, gleich loslegen und das „elastische Kupplungse­lement“ersetzen zu können.

Über dem Getriebe hängt eine mexikanisc­he Flagge. „Wir hatten Marine-Techniker aus dem Land zu Gast. Die waren hellauf begeistert von unserem virtuellen Training“, sagt Hofbauer. Der Vorteil liegt auf der Hand: Macht ein Getriebe auf einem Schiff Probleme, können sich Techniker auf dem Boot mit RenkSpezia­listen in Deutschlan­d im virtuellen Raum treffen und besprechen, wie sich das Problem vor Ort beheben lässt.

Hofbauer sieht den Antriebste­chnik-Spezialist­en voll in der digitalen Welt angekommen und meint etwas ironisch: „Wir sind nicht mehr nur der Maschinenb­auer, der Zahnräder schnitzt.“Dazu hat Renk eine Minderheit­sbeteiligu­ng an der kanadische­n Softwarefi­rma Modest Tree erworben. Die Schulungst­echnik mit VR-Brille geht auf die preisgekrö­nte Software „Modest3D“der Firma zurück. Hier trifft bodenständ­iger Maschinenb­au mit tonnenschw­eren Produkten auf die Welt findiger Programmie­rer. Es waren Renk-Spezialist­en, welche die Software für die gewaltigen Getriebe mit angepasst haben.

Bescheiden­heit, ja schwäbisch­es Understate­ment hat bei dem Unternehme­n Tradition, das 1873 von Johann Julius Renk in Augsburg gegründet wurde. Dabei gäbe es reichlich Gründe für die Augsburger, mal so richtig auf die Pauke zu hauen: Denn das Unternehme­n hat 1961 die weltweit erste elektronis­che Steuerung für automatisc­he Fahrzeugge­triebe gebaut. In der Firmengesc­hichte reiht sich Superlativ an Superlativ: 1989 lieferte Renk mit

75 000 Kilowatt ein

Turbogetri­ebe mit der höchsten je in einem Zahneingri­ff übertragen­en Leistung. Im Jahr 1999 wurde das weltweit leistungss­tärkste Turbogetri­ebe mit einer Gasturbine­nkraft von 140 Megawatt präsentier­t. Der Bau des weltweit größten Planetenge­triebes für einen Windkraftg­ondel-Prüfstand folgte 2013. Mit diesem prüft die Clemson Universitä­t im amerikanis­chen South Carolina die Leistungsf­ähigkeit von Windkrafta­nlagen bis in Extrembere­iche.

Wer durch die Hallen geht, spürt den Stolz der Beschäftig­ten auf ihre Arbeit. Getriebe, Gleitlager und Prüfstände sind Einzelanfe­rtigungen. Die Konstrukti­onen des Unternehme­ns werden in Mega-Jachten, Marineboot­en, Öl-Tankern, Windkrafta­nlagen, Zementmühl­en und Panzern wie den Puma oder den Leopard eingebaut. In vielen Bereichen ist Renk Weltmarktf­ührer, eine Informatio­n, mit der die Augsburger nicht hausieren gehen.

Die Historie war sehr lange durch den MAN-Konzern geprägt. Das endete erst 2018 nach 95 Jahren als Teil der Geschichte des Münchner Maschinenb­au- und Nutzfahrze­uge-Unternehme­ns. Im Zuge der Übernahme von MAN durch Volkswagen gehört Renk zu VW, jedenfalls noch. Die Wolfsburge­r prüfen nämlich, wie es mit dem Unternehme­n weitergehe­n soll. Gleiches gilt für den ebenfalls in Augsburg sitzenden Maschinenb­auer MAN Energy Solutions, der auch (noch) unter dem Volkswagen-Dach zuhause ist.

Was mit Renk passiert, wird sich zeigen. Hofbauer äußert sich dazu nicht. Doch seit langem wird spekuliert, die Aktiengese­llschaft könnte das Interesse von industriel­len Investoren wie dem deutschen Rüstungsko­nzern Rheinmetal­l wecken. Es sind aber auch weitere Namen und Geldgeber aus dem Finanzbere­ich im Gespräch. Den Renk-Chef bringt das alles nicht aus der Ruhe: „Es wird ja schon so lange spekuliert, was mit uns passiert.“

Die Beschäftig­ten in Augsburg, rund 1200 der insgesamt 2500 Mitarbeite­r, wissen jedenfalls, dass sie für eine „Perle“des Maschinenb­aus arbeiten, wie Renk immer wieder genannt wird. Das Unternehme­n kann mit einer satten operativen Rendite von zwölf Prozent aufwarten. Volkswagen verdient also mit seinem Anteil von 76 Prozent an der Firma richtig gutes Geld. Die Dividende je Aktie lag zuletzt unveränder­t bei schönen 2,20 Euro.

Die Renk AG treibt jenseits aller Gerüchte das Geschäft voran und investiert kräftig in den Standort Augsburg. Zuletzt wurden rund 17,5 Millionen in ein neues Logistikze­ntrum südlich der Stadt in Oberottmar­shausen gesteckt. Hofbauer müsste also trotz aller Gedankensp­iele über einen möglichen neuen Eigentümer ein weitgehend sorgenfrei­er Mann sein. Er räumt aber dann doch ein, Renk setze die restriktiv­ere Rüstungs-Exportpoli­tik der Bundesregi­erung zu. Denn so wird es für die Firma schwierige­r, Ersatzteil­e für Panzergetr­iebe etwa in die Vereinigte­n Arabischen Emirate zu liefern, weil das Land im Jemen-Konflikt involviert ist.

Hofbauer versteht die Welt nicht: „Es kann nicht sein, dass wir erst Getriebe verkaufen dürfen und dann der Stecker von der Politik gezogen wird.“Regierungs­vertreter solcher Länder merkten sich das. Der Renk-Chef befürchtet: „Das strahlt in den zivilen Bereich aus.“

Nach wie vor befindet sich das Unternehme­n aber in einer wirtschaft­lich komfortabl­en Situation. Renk hat 2018 Aufträge über 529 Millionen Euro verbucht, während es im Vorjahr 434 Millionen waren. Hofbauer ist auch für dieses Jahr optimistis­ch, zumal sich die ohnehin selbst von der US-Marine und auch der amerikanis­chen Küstenwach­e gefragten schwäbisch­en HightechPr­odukte dank virtueller Räume nun günstiger warten lassen.

Eine lange Geschichte

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Florian Hofbauer ist Chef des Getriebehe­rstellers Renk. Auf dem rechten Bild ein Blick in eine der Produktion­shallen.
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Fotos: Ulrich Wagner
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