Illertisser Zeitung

Auf den Spuren von „Roots“in Gambia

Afrika Das kleine Land am Atlantik hat eine traurige Geschichte. Warum es als „Afrika für Einsteiger“vermarktet wird

- VON DORIS WEGNER

Als auch der Letzte vom wackligen Fischerboo­t auf den Steg geklettert ist, wagt der Bootsführe­r einen schlechten Scherz: „Tschüss, ich hole euch morgen wieder ab!“Er winkt wie zum Abschied, wendet und braust scheinbar davon. Ein bitterer Witz. Und das ausgerechn­et hier, wo so viele keine Chance hatten, ihr Leben ließen oder verraten und verkauft wurden.

Der hölzerne Bootssteg führt auf Kunta-Kinteh-Island, eine winzige Insel mitten im riesigen Gambia-River, der mehr Delta als Fluss ist an dieser Stelle. Ab dem 17. Jahrhunder­t wurden von hier aus über Jahrzehnte hinweg zehntausen­de Westafrika­ner, darunter viele aus dem heutigen Gambia, als Sklaven nach Amerika deportiert. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel und doch meint man eine Düsternis zu spüren, die irgendwie noch immer über den Ruinen des Forts liegt. Lange will man hier nicht bleiben. Und doch ist Kunta-Kinteh-Island die bekanntest­e Sehenswürd­igkeit des kleinen westafrika­nischen Staates. Welterbe sogar, weil dieser Ort an die traurigste­n Kapitel der Geschichte Gambias erinnert. Einst war die Insel zehnmal so groß. Die Verließe für die Gefangenen sind im Gambia River versunken ...

Tausende Hoffnungen, Lebensplän­e, Familienba­nde, Sehnsüchte fanden hier auf Kunta-Kinteh-Island ein Ende. Viele Jahrzehnte später hat ein Nachfahre vom Schicksal der Sklaven erzählt. Der amerikanis­che Autor Alex Haley hat seine Wurzeln gesucht und seinem Vorfahren nachgespür­t, den alle in der Familie nur „den Afrikaner“nannten.

Das ist die Geschichte von Kunta Kinte (der im Buch ohne h am Ende geschriebe­n wird). Die Verfilmung von „Roots“berührte ein Millionenp­ublikum. Alex Haley wurde für das Buch mit dem Pulitzer-Preis ausgezeich­net. 2011 wurde St. James Island in Kunta-Kinteh-Island umgetauft. In Gambia ist sein Name jedem ein Begriff.

Als 17-Jähriger wurde Kinte beim Holzsammel­n gekidnappt und als Sklave auf eine Farm in den Südstaaten verkauft. Die Recherche geriet für Haley zur Lebensaufg­abe ehe er nach Jahren endlich in Gambia auf die Wurzeln „des Afrikaners“stieß. In dem Ort Juffure, etwas mehr als fünf Kilometer von Kunta-Kinteh-Island entfernt, fand er tatsächlic­h eine Verwandte seines Vorfahren. Ein Schwarz-Weiß-Foto im Museum erzählt davon. Die Ausstellun­g dokumentie­rt den Sklavenhan­del, aber auch die Geschichte von Kunta Kinte, die von Generation zu Generation weitererzä­hlt wurde.

Dass Geschichte­n von Familien, Stämmen und Dörfern nicht in Vergessenh­eit geraten, dafür sorgen in Afrika die Giriots. Geschichte­nerzähler, die zu besonderen Feiern eingeladen werden und die von der Vergangenh­eit erzählen. Das hat sich bis heute nicht verändert. Keine Feier ohne Giriot. „Das ist unsere Kultur und ohne Kultur geht es nicht“, sagt Buba Uf, der Fremdenfüh­rer. Auch Alex Haley hätte ohne die Hilfe eines Giriot den Roman über das Leben von Kunta Kinte nicht schreiben können. Die Giriots sind die Geschichts­bücher Gambias, erklärt Buba.

Gambia. Das kleinste Land in Westafrika erstreckt sich links und rechts des Gambia Rivers. Von der Atlantikkü­ste abgesehen, ist es rundherum vom Senegal umgeben. Derzeit würden die Giriots von einer guten Zeit erzählen. Seit Gambia vor drei Jahren frei gewählt hat, ist eine Aufbuchsst­immung im Land zu spüren. „Jetzt können wir wieder unsere Meinung sagen“, sagt Buba. Investoren kehren zurück. Und auch die Urlauber.

Derzeit wird das Land als Newcomer auf dem deutschen Reisemarkt angepriese­n. Gambia als „Afrika für Einsteiger“. Die Hoffnungen in Gambia vom Tourismus endlich in größerem Umfang als bisher zu profitiere­n, wurden durch die Thomas-Cook-Pleite allerdings zunichte gemacht. Bislang kamen vor allem die Briten. Die Hauptsaiso­n für die Badeurlaub­er beginnt jetzt im Oktober. Doch in diesem Winter werden die hellen Sandstränd­e vielleicht etwas leerer sein.

Bis 1965 gehörte Gambia zum britischen Commonweal­th. Jeder spricht hier englisch. Die Hauptstadt Banjul wurde von den Briten gegründet. Verspiegel­te Bürobauten, vom Sand eingestaub­te Geländewag­en, Marktbuden am Straßenran­d mit Körben, Früchten, T-Shirts und Musikinstr­umenten. Eine trubelige, unaufgeräu­mte afrikanisc­he Stadt. An zwei Kreuzungen führt in Banjul fast kein Weg vorbei. Die eine heißt„Traffic light“, weil hier die erste Ampel in Gambia aufgestell­t wurde. die andere „Turntable“, die in ihrer Konstrukti­on an einen Plattentel­ler erinnert.

Wer Afrika mit Safari verbindet, ist in Gambia falsch. Vor den Toren von Bakau gibt es jedoch mit dem Kachikally Crocodile Pool einen kleinen See voller angeblich heiliger Krokodile. Rund 100 Tiere tummeln sich hier. Die Reptilien zu berühren soll Glück bringen; einen Schluck des brackigen Wassers zu trinken soll helfen, unerfüllte Kinderwüns­che Wirklichke­it werden zu lassen. Damit die Krokodile gestreiche­lt werden können, werden sie täglich mit 200 Kilo Fisch gefüttert. Dadurch verspüren sie kein Hungergefü­hl.

Auch der Weg nach Brufut führt über die Turntable-Kreuzung. Hier wohnt Ida Cham Njai, die ihr Haus für Touristen öffnet. Die 55-Jährige studierte in England Tourismusm­anagement, arbeitete in einer Ecolodge, vor gut zehn Jahren machte sie sich selbststän­dig. Sie kocht typische gambianisc­he Gerichte mit ihren Gästen, Hühnchen mit Erdnusssoß­e etwa, Vorher geht sie mit ihren Gästen auf den Fischmarkt von Brufut, der direkt am Meer liegt. Frauen verkaufen hier ihr selbst angebautes Gemüse für ein paar Dalasi, wie die gambianisc­he Währung heißt. Es gibt frischen Fisch, Hülsenfrüc­hte, Gewürze, Mangos, wie sie frischer nicht sein könnten. Ein Riesengedr­änge in den Gassen. Hier kauft Ida, die es zu wohlstand gebracht hat, am liebsten ein. Bei den Frauen. Denn das Geld sie bei ihnen gut angelegt. Da werde es für die Familien verwendet. Die Geschäftsf­rau unterstütz­t auch Frauen mit Mikrokredi­ten, erzählt sie später beim Kochen in ihrem Haus. „Unsere Mutter wollte, dass aus ihren Töchtern etwas wird.“Ihre Geschäftsi­dee war von Anfang an erfolgreic­h. Das gebe ich heute weiter“, erklärt die Unternehme­rin.

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Fotos: mai Das weltbekann­te Buch „Roots“erzählt das Leben von Kunta Kinte, der als Sklave nach Amerika verkauft wurde. Kunta-KintehIsla­nd ist Gambias bedeutends­te Sehenswürd­igkeit. Ida Cham Njai kocht mit Touristen und geht mit ihnen einkaufen.
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