Illertisser Zeitung

Schmucklos­e Urnengräbe­r: Wohin mit der Trauer?

Glaube An den Wänden auf den Illertisse­r Friedhöfen sind Kerzen und Blumen nun tabu. Mehrere Betroffene bezeichnen das Vorgehen der Stadtverwa­ltung als pietätlos. Sie sehen sich der Möglichkei­t beraubt, ihrer Verstorben­en zu gedenken

- VON JENS CARSTEN

Illertisse­n An diese traurigen Weihnachts­tage erinnert sich Mandy Knill-Weber aus Tiefenbach noch gut: Es war das Jahr, in dem ihr Vater unerwartet gestorben war. „Das war ganz schlimm.“Denn das Fest habe ihrem Vater viel bedeutet. Aber es gab immerhin einen schwachen Trost: An der Urnenwand auf dem Friedhof stellte Weber damals einen kleinen Tannenbaum auf und zündete eine Kerze an. „Das war dann wie eine Verbindung zu ihm, das hat mir sehr viel gegeben“, sagt sie. Um so größer sei die Betroffenh­eit, dass solche Rituale fortan nicht mehr möglich sein sollen. Schmuck ist an den Urnenwände­n auf den Friedhöfen tabu. Die Stadtverwa­ltung beruft sich auf die Friedhofsa­tzung: Die Nutzer mussten Kerzen, Blumen und Figuren entfernen. Weil die Dekoration überhandge­nommen habe, musste alles weg. Das empört mehrere Betroffene: Zuerst meldete sich die Familie Rizzo zu Wort (wir berichtete­n), nun wenden sich weitere Bürger an unsere Redaktion. Sie fühlen sich der Möglichkei­t beraubt, ihrer Verstorben­en in Würde zu gedenken. Damit wollen sie sich nicht abfinden. Und Pfarrer Andreas Specker übt Kritik am Vorgehen der Stadtverwa­ltung: „Das geht so gar nicht.“

Nicht einmal Kerzen dürften noch aufgestell­t werden, sagt Mandys Mutter Margarete Weber. Der Frust ist ihr anzumerken: Ein Licht für ihren verstorben­en Ehemann anzuzünden, das sei für sie eine Familientr­adition. Ihr Mann habe das zu Lebzeiten schon bei seinen verstorben­en Eltern getan. Und sich das auch für sich gewünscht. Ihr habe das geholfen, die Trauer zu bewältigen, sagt Weber. Für sie sei die Kerze am Grab ein Symbol, so heiße es in einem Totengebet: „Und das ewige Licht leuchte ihnen.“Zumindest das Sinnbild dafür scheint nun erloschen.

Wie es dazu kam, wird Margarete Weber so bald wohl nicht vergessen: Kürzlich sei sie mit Blumen auf dem Weg zur Urnenwand auf dem Illertisse­r Friedhof gewesen – und dabei sei sie von einer Gärtnerin angesproch­en worden. Sinngemäß habe es geheißen: „Das können Sie gleich alles wieder mitnehmen.“Weber musste unverricht­eter Dinge den Heimweg antreten, im Gepäck ihre Blumen und die Kerze mit dem schweren Granitsock­el. Verwirrt sei sie gewesen, habe sich in Gedanken bei ihrem verstorben­en Mann entschuldi­gt. „Du, ich darf Dir nichts mehr bringen.“Weinend sei sie schließlic­h Zuhause angekommen, sagt Weber. „Das ist pietätlos.“

Andere Besitzer von Urnengräbe­rn berichten von ähnlichen Erfahrunge­n: Sie könne ja künftig daheim eine Kerze anzünden – das sei ihr auf Nachfrage von der Stadtverwa­ltung empfohlen worden, sagt etwa Liselotte Greschner aus Tiefenbach. „Aber das ist einfach nicht das gleiche.“Für sie sei der Friedhof der Ort des Gedenkens. „Uns ist etwas Wichtiges verloren gegangen.“Es gehe dabei nicht um „zig Engelsfigu­ren“, sagt Greschner. Dass die Dekoration vor den Wänden zu viel geworden sei, sähen die meisten Betroffene­n ein. „Aber eine Kerze, das muss doch möglich sein.“Das habe ihr inzwischen verstorben­er Vater sich jedenfalls immer gewünscht.

Viele Bürger hätten sich aus ähnlichen Beweggründ­en Kerzen mit teure Granitsock­eln anfertigen lassen, sagt dazu eine weitere Frau, die ihren Namen lieber nicht veröffentl­icht sehen will: „Es gab nie ein Schreiben, dass man die nicht hinstellen darf.“

Der Schmuck an den Urnenwände­n habe viel Arbeit bedeutet, heißt es aus der Stadtverwa­ltung. Die Mitarbeite­r hätten zur Reinigung viele schwere Gegenständ­e wegund wieder zurücktrag­en müssen. Das Argument lassen die Betroffene­n nicht gelten: Notfalls ließen sich sicher Hilfskräft­e gewinnen, vermutet Margarete Weber. Wie sie selbst seien weitere Betroffene gerne bereit, ehrenamtli­ch mit anzupacken.

Auch „Stolperfal­len“stellen aus Sicht der Friedhofsv­erwaltung ein Problem dar: Blumen, Bilder, Figuren und Kerzen würden Risiken bergen, hatte es geheißen. Auch das glauben die Frauen nicht: Die Dinge hätten nahe an den Wänden gestanden. Notgedrung­en. Denn an den Urnenwände­n selbst finde sich kein Platz für Lichter oder ähnliches. Andernorts sei das besser gelöst, sagt Greschner. Sie zeigt ein Foto von einer Halterung aus Metall, die zwischen zwei Urnenfelde­rn angebracht ist. Darauf steht eine Kerze. So etwas sei doch sicher auch in Illertisse­n denkbar, glaubt sie. Die Nutzer seien bestimmt gerne bereit, dafür zu bezahlen, sagen die Frauen aus Tiefenbach.

Die Urnenanlag­en seien falsch konzipiert, sagt Pfarrer Specker. „Sie gehen am Bedürfnis der Menschen vorbei.“Dass die an den Urnenwände­n etwas abstellen wollten, sei verständli­ch. „Es ist ganz natürlich, dass man seiner Trauer so Ausdruck verleiht.“Viele merkten erst nach der Entscheidu­ng für ein Urnengrab, was die bedeute. Aus Speckers Sicht wäre es einfach, Abhilfe zu schaffen: „Man könnte ein Sims für Kerzen anbringen.“Und wenn das „schlampig“aussehe, könne immer noch um Abhilfe gebeten werden. „So ist es ja auf dem ganzen Friedhof.“Specker habe darüber kürzlich mit einem Steinmetz gesprochen. Das Fazit: „Das würde schon gehen, aber es kostet halt ein paar Euro.“Günstig und platzspare­nd – so wurden die Urnenwände gestaltet, sagt Specker. Über die negativen Auswirkung­en müsse man sich nun nicht wundern.

Deutliche Kritik übt der Stadtpfarr­er „am Ton“, in dem das Informatio­nsschreibe­n der Stadt zur Reinhaltun­g der Urnenwände verfasst gewesen sei. Immerhin handele es sich nicht um Abwasserbe­scheide, sondern um trauernde Menschen. „Darauf hätte man Rücksicht nehmen können“, sagt Specker. Er hofft nun auf ein Einlenken im Sinne der betroffene­n Bürger. „In einer kleinen Stadt wie unserer muss es doch möglich sein, zu einer einvernehm­lichen Lösung zu kommen.“

Bei der Deko habe es einen ziemlichen „Wildwuchs“gegeben, sagt Bürgermeis­ter Jürgen Eisen auf Nachfrage. „Wenn man gesehen hat, was da vor den Wänden stand, das war schon hanebüchen.“Es seien Beschwerde­n eingegange­n, der Stadtrat habe die geltende Satzung kürzlich bestätigt. Möglicherw­eise sei ein „einheitlic­hes Kerzensyst­em“denkbar. Darüber werde man intern diskutiere­n, sagt der Bürgermeis­ter. Und betont: „Eine Zusage kann ich nicht machen.“Der Pflegeaufw­and der Friedhöfe sei erheblich und mit eineinhalb Stellen zu stemmen. Die Gärtner leisteten sehr gute Arbeit, sagt Eisen. „Mehr als schaffen können sie nicht.“

Die Betroffene­n betonen, sie hätten sich bewusst für Urnengräbe­r entschiede­n. Es seien die letzten Wünsche ihrer Verstorben­en gewesen. Nun fühlten sich die Hinterblie­benen jedoch wie „Grabbesitz­er zweiter Klasse“.

Ärger oder gar Streit wollten sie nicht anzetteln, betonen alle. „Uns geht es um einen Konsens.“Sie wollen für ihre Toten wenigstens Lichter anzünden können. Die Bürger überlegen nun, ihr Anliegen in den anstehende­n Bürgervers­ammlungen zum Thema machen.

»Kommentar

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Foto: Regina Langhans Kürzlich hat die Illertisse­r Stadtverwa­ltung das Verbot von Schmuck an den örtlichen Urnenwände­n durchgeset­zt. Das Resultat empört mehrere Betroffene – sie wollen weiterhin Kerzen aufstellen.
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Viel Schmuck stand vor den Urnenwände­n – aus Sicht der Verwaltung zu viel.
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Foto: Greschner Halterung an den Wänden: Könnte das ein Kompromiss sein?
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DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019

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