Europa quält sich zum letzten Akt im Brexit-Drama
Hintergrund Vor drei Jahren versetzte ein Referendum den Kontinent in Aufruhr: Die Briten wollen raus aus der EU. Jetzt geht das schier endlose Ringen um den Ausstieg in die letzte Runde. Ein Stimmungsbericht kurz vor dem Finale
Sie postieren sich mit fast bewundernswerter Ausdauer Tag für Tag vor dem ehrwürdigen Londoner Westminster-Palast: Hier jene Demonstranten, die ein Meer aus EUFahnen durch die Luft schwenken und Poster in die Höhe strecken, mit denen sie „Stop Brexit“fordern. Dort die Protestler, die sich die England-Flagge ins Gesicht gemalt haben und das Motto ihres europaskeptischen Sprachrohrs Boris Johnson rezitieren: „Get Brexit done!“, „Zieht den Brexit durch!“Mit der Rückkehr der Abgeordneten ins Parlament nach der Pause am Montag kamen auch die Aktivisten zurück. Und so streiten sie wieder sowohl draußen als auch drinnen im Unterhaus. Die Szenerie ist ein Abbild der Gesellschaft, die auch mehr als drei Jahre nach dem Referendum und gut zwei Wochen vor dem offiziellen Austrittstermin am 31. Oktober tief gespalten ist, nervös und genervt dazu.
Dabei wittern im Unterhaus derzeit alle Seiten ihre Chance. Die Hardliner um Johnson hoffen, dass der Premier entweder einen Deal in ihrem Sinne vorlegt oder aber das Land ohne Abkommen aus der EU führt, wie er gebetsmühlenhaft verspricht. Die Brexit-Gegner dagegen verweisen auf das kürzlich verabschiedete Gesetz, nach dem der Regierungschef Deal nicht zu Chaos kommt, will letztlich niemand versprechen. Birgit Holzer (Paris)
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In Berlin schütteln die Politiker wahlweise resigniert oder fatalistisch den Kopf, wenn es um den Brexit geht. Bei den Verhandlungen haben zwar andere den Stab in der Hand. Aber auch im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt wird intensiv an der Zukunft Europas gearbeitet. Wann und wie London aus dem Bündnis ausscheidet, hat beispielsweise planerische Auswirkung auf die deutsche Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020.
Offiziell ist Zweckoptimismus angesagt. „Die Bundesregierung wird sich – und zwar bis zum letzten möglichen Zeitpunkt – um eine Lösung bemühen, damit wir einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der EU schaffen und das Szenario eines No-Deal-Brexits, eines ungeordneten Austritts, vermeiden können, weil das sicherlich für alle Beteiligten das schlechteste Szenario ist“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Und er sagt das so und so ähnlich sehr oft in diesen Tagen.
Für die Regierung müssen zwei Kriterien gewährleistet sein: der Schutz der Integrität des EU-Binnenmarktes sowie die Wahrung des Karfreitagsabkommens für Irland.
Im Unterhaus wittern jetzt alle Seiten ihre Chance Bei Kritik an den Briten sind viele betont zurückhaltend