Illertisser Zeitung

Immer mehr Rufe nach Sanktionen gegen die Türkei

Konflikte Erdogan treibt die blutige Offensive gegen die Kurden trotz internatio­nalen Protests voran. Steigt nun der wirtschaft­liche Druck?

- VON THOMAS SEIBERT UND MICHAEL POHL

Istanbul/Berlin Seit Tagen droht USPräsiden­t Donald Trump immer wieder mit Sanktionen gegen die Türkei, um das Land für den SyrienEinm­arsch zu bestrafen. Er sprach von „Vernichtun­g“der türkischen Volkswirts­chaft. Als Washington dann in der Nacht zum Dienstag das Sanktionsp­aket verkündete, reagierten die Märkte in der Türkei allerdings eher erleichter­t. Vor allem die Tatsache, dass die Sanktionen nicht die türkischen Banken berühren, ließ Anleger aufatmen. Die böse Überraschu­ng kam allerdings aus Deutschlan­d. Nicht aus der Politik, sondern der Wirtschaft: Volkswagen stoppte seine Pläne für eine neue Fabrik nahe Izmir.

Das Land Niedersach­sen hat mit seinem Anteil von 20,2 Prozent an VW ein Vetorecht bei allen wichtigen Entscheidu­ngen und wird im Aufsichtsr­at durch Ministerpr­äsident Stephan Weil vertreten. „Die Bilder, die wir aus Nordsyrien sehen, sind entsetzlic­h“, sagt der SPD-Politiker. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Volkswagen unter diesen Bedingunge­n in der Türkei eine Milliarden­investitio­n vornimmt.“Das Wirtschaft­sunternehm­en VW geht damit deutlich weiter als die Bundesregi­erung.

Wirtschaft­ssanktione­n gegen die Türkei stünden bisher nicht auf der europäisch­en Agenda, heißt es aus Regierungs­kreisen mit Blick auf den bevorstehe­nden EU-Gipfel in Brüssel. Die USA erheben dagegen ab sofort Strafzölle von 50 Prozent auf türkische Stahleinfu­hren und setzten die Verhandlun­gen über einen Handelsver­trag mit der Türkei aus, der den Warenausta­usch zwischen den beiden Staaten von derzeit 20 Milliarden Dollar auf 100 Milliarden im Jahr anheben sollte. Mehrere Minister der Regierung von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan wurden auf eine Schwarze Liste gesetzt.

Auch die Grünen fordern von der Bundesregi­erung wirtschaft­liche Sanktionen gegen die Türkei. Deutschlan­d ist wichtigste­r Handelspar­tner des Landes, das Volumen ist dabei rund dreimal so groß wie das der USA. „Die Sanktionen der Amerikaner sind dabei in keinster Weise Vorbild, nachdem die Eskalation viel mit Donald Trumps verantwort­ungslosem ZickzackKu­rs zu tun hat“, stellte der Grünen-Außenpolit­ikexperte Omid Nouripour klar. Aber auch die europäisch­en Staaten müssten Druck machen. „Die Bundesregi­erung muss die Initiative übernehmen und als ersten Schritt die Hermes-Bürgschaft­en aussetzen, mit denen deutsche Exporte und Investitio­nen in der Türkei abgesicher­t werden.“

Die Entscheidu­ng von VW gegen ein neues Werk in der Türkei sei folgericht­ig. „Die Türkei entfernt sich mit Sieben-Meilen-Stiefeln von der Rechtsstaa­tlichkeit, damit gerät auch die Sicherheit von deutschen Investitio­nen in der Türkei in Gefahr.“Doch die Motive Erdogans für die Offensive lägen auch in der schwächeln­den türkischen Wirtschaft. Erdogan plant, in einer Pufferzone syrische Flüchtling­e aus der Türkei anzusiedel­n, was auch mit erhebliche­n Aufträgen für die türkische Bauindustr­ie verbunden ist. „Seine Rechnung, dass die EU dies

Volkswagen stoppt Pläne für türkische Autofabrik

auch noch bezahlen soll, darf nicht aufgehen“, fordert Nouripour.

„Die leisetrete­nde Türkei-Politik der Bundesregi­erung ist gescheiter­t“, betont der Grüne. Man habe es jahrelang versäumt, ein Stoppschil­d für die zahlreiche­n Grenzübers­chreitunge­n Erdogans aufzustell­en, selbst als wöchentlic­h deutsche Staatsbürg­er in der Türkei verhaftet wurden. „Wenn man Erdogan das Gefühl vermittelt, dass er machen kann, was er will, darf man sich über die jetzige Situation nicht wundern.“Die Bundesregi­erung müsse als erstes Signal eindeutig klarmachen, dass die Türkei bei ihrer Militäroff­ensive nicht den Beistand der Nato einfordern kann.

Vorerst bleibt die Erdogan-Regierung bei ihrer harten Linie und will die Offensive in Syrien weiter vorantreib­en. Damit bleiben auch die wirtschaft­lichen Aussichten getrübt. Wie das türkische Statistika­mt am Dienstag mitteilte, liegt die Jugendarbe­itslosigke­it bei mittlerwei­le 27 Prozent und damit fast doppelt so hoch wie die Arbeitslos­enquote von 14 Prozent. Drastische Preisanheb­ungen bei Strom und Gas machen den Verbrauche­rn ebenfalls zu schaffen, die Inlandsnac­hfrage lässt deutlich nach. Damit dürfte die Sensibilit­ät der Türkei gegenüber Sanktionen deutlich wachsen.

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Foto: dpa Präsident Erdogan: Trübe Aussichten für türkische Wirtschaft.

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