Immer mehr Rufe nach Sanktionen gegen die Türkei
Konflikte Erdogan treibt die blutige Offensive gegen die Kurden trotz internationalen Protests voran. Steigt nun der wirtschaftliche Druck?
Istanbul/Berlin Seit Tagen droht USPräsident Donald Trump immer wieder mit Sanktionen gegen die Türkei, um das Land für den SyrienEinmarsch zu bestrafen. Er sprach von „Vernichtung“der türkischen Volkswirtschaft. Als Washington dann in der Nacht zum Dienstag das Sanktionspaket verkündete, reagierten die Märkte in der Türkei allerdings eher erleichtert. Vor allem die Tatsache, dass die Sanktionen nicht die türkischen Banken berühren, ließ Anleger aufatmen. Die böse Überraschung kam allerdings aus Deutschland. Nicht aus der Politik, sondern der Wirtschaft: Volkswagen stoppte seine Pläne für eine neue Fabrik nahe Izmir.
Das Land Niedersachsen hat mit seinem Anteil von 20,2 Prozent an VW ein Vetorecht bei allen wichtigen Entscheidungen und wird im Aufsichtsrat durch Ministerpräsident Stephan Weil vertreten. „Die Bilder, die wir aus Nordsyrien sehen, sind entsetzlich“, sagt der SPD-Politiker. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Volkswagen unter diesen Bedingungen in der Türkei eine Milliardeninvestition vornimmt.“Das Wirtschaftsunternehmen VW geht damit deutlich weiter als die Bundesregierung.
Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei stünden bisher nicht auf der europäischen Agenda, heißt es aus Regierungskreisen mit Blick auf den bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel. Die USA erheben dagegen ab sofort Strafzölle von 50 Prozent auf türkische Stahleinfuhren und setzten die Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit der Türkei aus, der den Warenaustausch zwischen den beiden Staaten von derzeit 20 Milliarden Dollar auf 100 Milliarden im Jahr anheben sollte. Mehrere Minister der Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wurden auf eine Schwarze Liste gesetzt.
Auch die Grünen fordern von der Bundesregierung wirtschaftliche Sanktionen gegen die Türkei. Deutschland ist wichtigster Handelspartner des Landes, das Volumen ist dabei rund dreimal so groß wie das der USA. „Die Sanktionen der Amerikaner sind dabei in keinster Weise Vorbild, nachdem die Eskalation viel mit Donald Trumps verantwortungslosem ZickzackKurs zu tun hat“, stellte der Grünen-Außenpolitikexperte Omid Nouripour klar. Aber auch die europäischen Staaten müssten Druck machen. „Die Bundesregierung muss die Initiative übernehmen und als ersten Schritt die Hermes-Bürgschaften aussetzen, mit denen deutsche Exporte und Investitionen in der Türkei abgesichert werden.“
Die Entscheidung von VW gegen ein neues Werk in der Türkei sei folgerichtig. „Die Türkei entfernt sich mit Sieben-Meilen-Stiefeln von der Rechtsstaatlichkeit, damit gerät auch die Sicherheit von deutschen Investitionen in der Türkei in Gefahr.“Doch die Motive Erdogans für die Offensive lägen auch in der schwächelnden türkischen Wirtschaft. Erdogan plant, in einer Pufferzone syrische Flüchtlinge aus der Türkei anzusiedeln, was auch mit erheblichen Aufträgen für die türkische Bauindustrie verbunden ist. „Seine Rechnung, dass die EU dies
Volkswagen stoppt Pläne für türkische Autofabrik
auch noch bezahlen soll, darf nicht aufgehen“, fordert Nouripour.
„Die leisetretende Türkei-Politik der Bundesregierung ist gescheitert“, betont der Grüne. Man habe es jahrelang versäumt, ein Stoppschild für die zahlreichen Grenzüberschreitungen Erdogans aufzustellen, selbst als wöchentlich deutsche Staatsbürger in der Türkei verhaftet wurden. „Wenn man Erdogan das Gefühl vermittelt, dass er machen kann, was er will, darf man sich über die jetzige Situation nicht wundern.“Die Bundesregierung müsse als erstes Signal eindeutig klarmachen, dass die Türkei bei ihrer Militäroffensive nicht den Beistand der Nato einfordern kann.
Vorerst bleibt die Erdogan-Regierung bei ihrer harten Linie und will die Offensive in Syrien weiter vorantreiben. Damit bleiben auch die wirtschaftlichen Aussichten getrübt. Wie das türkische Statistikamt am Dienstag mitteilte, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei mittlerweile 27 Prozent und damit fast doppelt so hoch wie die Arbeitslosenquote von 14 Prozent. Drastische Preisanhebungen bei Strom und Gas machen den Verbrauchern ebenfalls zu schaffen, die Inlandsnachfrage lässt deutlich nach. Damit dürfte die Sensibilität der Türkei gegenüber Sanktionen deutlich wachsen.