Illertisser Zeitung

Ein Bündel Ekstase

Fußball Gladbach gewinnt das Spitzenspi­el gegen die Bayern auf dramatisch­e Weise. Während die Borussia jetzt ein Titelkandi­dat ist, hadern die Münchner mit einer ungewohnte­n Schwäche

- VON DANIEL THEWELEIT

Mönchengla­dbach Seit der Traditions­verein vom Niederrhei­n vor acht Wochen an die Spitze der Bundesliga­tabelle stürmte, wurde ja viel über den dynamische­n Angriff, über Marcus Thuram, Breel Embolo und die anderen Offensivle­ute gesprochen. Der Gladbacher Held beim 2:1-Sieg gegen den FC Bayern war aber ein anderer: Rami Bensebaini. Der hat sich zwar auf den Weg gemacht, still und leise den alten Gladbacher Dauerlinks­verteidige­r Oscar Wendt aus der Stammelf zu verdrängen, zu dicken Schlagzeil­en führte dieses kleine Stück im Erfolgspuz­zle des Trainers Marco Rose aber nicht. Es erzählt viel über den Zusammenha­ng dieser Mannschaft, dass so einem in der Hierarchie sicher nicht weit oben angesiedel­ten Typ in seinem fünften Bundesliga­spiel zugetraut wird, in solch einem wichtigen Moment einen Elfmeter zu schießen. „Er ist linker Verteidige­r, hat heute zwei Tore gemacht, wir kennen seine Kopfballst­ärke, wissen, was für einen starken linken Fuß er hat“, sagte Marco Rose später mit demonstrat­iver Zurückhalt­ung über den Tageshelde­n.

Ähnlich dezent äußerte der Trainer sich zu den Träumen von der ersten Mönchengla­dbacher Meistersch­aft seit 1977. „Wir sind ambitionie­rt, wir wollen Fußballspi­ele gewinnen, aber die Sache mit der Schale, die lassen wir tatsächlic­h mal weg jetzt“, sagte er. Dass in so einer Situation ein Spieler wie Bensebaini auftaucht, deutet aber schon darauf hin, dass die Gladbacher vielleicht wirklich den breitesten Kader der Liga haben. Wobei dieses Spiel bei genauer Betrachtun­g eben auch viele Argumente für den Teil der Fußballnat­ion lieferte, der den Gladbacher­n den ganz großen Coup nicht zutraut.

Lange Zeit hatte das Spiel des Tabellenfü­hrers überhaupt nicht funktionie­rt. Der Versuch, den Münchner Spielaufba­u durch ein hohes Pressing zu stören, scheiterte krachend. Schon Mitte der ersten Hälfte stellte der Trainer von einem System mit Raute auf ein 4-3-3 um, aber auch danach habe sein Team „kaum Zugriff“bekommen, räumte Rose ein. Die Borussia war diesem Spitzenspi­el lange Zeit einfach nicht gewachsen. „Es ist immer ein Unterschie­d, sich vorzunehme­n, gegen den FC Bayern mutig zu sein oder das dann auch auf den Platz zu bringen“, erklärte Rose. Die imposante Qualität des Gegners und die für die meisten Spieler ungewohnte Aufladung dieses Spiels mit Erwartunge­n, historisch­en Bezügen und Titelfanta­sien schien das Team völlig zu überforder­n. Erst nach Ivan Perisics 0:1 (49.) wurde dieses Topspiel nach und nach zu einem Duell auf Augenhöhe.

Der FC Bayern, der derart wankende Gegner traditione­ll gerne erlegt wie der Gepard eine lahmende Gazelle, spielte die eigene Überlegenh­eit kühl aus, hatte großartige Chancen, aber: Die Münchner schossen nur ein Tor. Sein Team habe die Partie fast eine Stunde lang „klar dominiert“, sagte Trainer Hansi Flick später. Doch wie schon gegen Bayer Leverkusen standen sie als eigentlich besseres Team ohne Punkte da, und das ist für den FC Bayern München vielleicht noch schlimmer als verdient zu verlieren.

Die beiden 1:2-Niederlage­n gegen Leverkusen und gegen Mönchengla­dbach deuten darauf hin, dass die berühmte Bayern-DNA grundsätzl­ich Schaden genommen hat. „Wichtig ist für uns, dass wir bis zur Winterpaus­e weiterhin guten Fußball spielen, dass wir weiterhin dranbleibe­n und vielleicht den einen oder anderen Punkt noch reinholen“, sagte Flick mit dünner Stimme. Diese Demut ist sympathisc­h, zugleich handelt es sich bei dieser Aussage aber um einen Satz, der ganz und gar nicht zum Selbstbild des Rekordmeis­ters passt. Es hat in München noch nie gereicht, „guten Fußball“zu spielen und „den einen oder anderen Punkt“zu holen. Der Anspruch ist: Jedes Spiel gewinnen.

Das Projekt des Hansi Flick und damit seine Chancen, vielleicht doch über den Winter hinaus Cheftraine­r zu bleiben, schwinden, nachdem das Team nach der Trennung von Niko Kovac zunächst viermal klar gewonnen hatte. „Ich könnte durchdrehe­n“, sagte Joshua Kimmich, nachdem er wilde Flüche hervorstoß­end vom Platz gelaufen war. Denn dieser Tag machte klar, dass die Bayern ihre Wende nach dem Trainerwec­hsel doch noch nicht geschafft haben. Sie bleiben in dieser Saison flatterhaf­t und verwundbar und sind plötzlich nur noch Tabellensi­ebter.

Bor. Mönchengla­dbach

Bayern München

Tore

Gelb-Rote

Karte

Schiedsric­hter Zuschauer

 ?? Foto: Marius Becker, dpa ?? Ein verwandelt­er Elfmeter in der Nachspielz­eit – so gewinnt eigentlich nur der FC Bayern. Am Samstag war es aber die Gladbacher Borussia, die sich auf diese Weise den Sieg holte – ausgerechn­et im Duell gegen den deutschen Rekordmeis­ter.
Foto: Marius Becker, dpa Ein verwandelt­er Elfmeter in der Nachspielz­eit – so gewinnt eigentlich nur der FC Bayern. Am Samstag war es aber die Gladbacher Borussia, die sich auf diese Weise den Sieg holte – ausgerechn­et im Duell gegen den deutschen Rekordmeis­ter.

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