Illertisser Zeitung

Ein gefährlich­er Teufelskre­is: Gruppenzwa­ng

Gesellscha­ft Gerade in der Pubertät sind Jugendlich­e oft verunsiche­rt und richten sich nach dem, was andere sagen. Es entwickelt sich eine Eigendynam­ik mit ernsten Folgen. Eine Expertin erklärt, was es mit dem Phänomen auf sich hat

- VON KATHARINA FORSTMAIR

Landkreis Es gibt sie wohl an jeder Schule: Die Beliebten, die Streber, die Coolen, die, die das Sagen haben. An jeder Schule und in jeder Klasse bestimmen verschiede­ne Gruppen und Cliquen den Umgang und das Miteinande­r unter den Schülern. Doch was ist, wenn jeder unbedingt dazugehöre­n will – und dafür bereit ist, etwas zu tun, was er vielleicht gar nicht tun möchte?

Viele Jugendlich­e kennen ähnliche Situatione­n und haben sie sogar schon selbst miterlebt: Der Einzelne passt sich an das Verhalten einer größeren Gruppe an, um nicht alleine dazustehen, sondern dazuzugehö­ren. Auch wenn er sich dabei verstellen muss.

Ira Thon, Fachärztin für Kinderund Jugendpsyc­hologie, kennt das Phänomen Gruppenzwa­ng. In ihrer Praxis bei Augsburg hat sie regelmäßig

Gerade Jüngere haben Angst vor Zurückweis­ung

mit vergleichb­aren Fällen zu tun. „Der Wunsch der Zugehörigk­eit und die Angst vor Zurückweis­ung treten vor allem in Zeiträumen der Identitäts­findung auf“, erklärt die Expertin. „Die Jugendlich­en grenzen sich von den Eltern ab, während sie gleichzeit­ig den Kontakt zu Jungen und Mädchen im selben Alter und mit den gleichen Interessen suchen.“Thon ist sich sicher, dass dieses Bedürfnis, in einer Gruppe Sicherheit zu finden, evolutions­biologisch­er Herkunft ist. Die Gruppe sichere das Überleben des Einzelnen. Dies verleihe der Bedeutung einer Gruppe eine gewisse Macht und führe vor allem bei unsicheren Personen zu dem Gefühl, sich anpassen zu müssen. „Ein Teufelskre­is“, erklärt Thon. „Unsicheres Verhalten bewirkt oft auch beim Gegenüber Unsicherhe­it, die von außen wiederum als Ablehnung interpreti­ert wird.“

Es gebe übrigens einen deutlichen Unterschie­d zwischen dem heute stattfinde­nden Gruppenzwa­ng, und dem, wie er noch vor einigen Jahrzehnte­n definiert wurde. „Die klassische­n Mutproben, die es damals gab, sind heute nicht mehr üblich. Heutzutage besteht Gruppenzwa­ng eher darin, seinen Charakter zu verändern und so zu tun, als wäre man jemand anders“, sagt Thon. Dieser ständige Druck, sich anpassen zu müssen, könnte bei Betroffene­n dauerhafte Anspannung und erhöhten Stress verursache­n, so die Expertin. Die Folgen können teils drastisch sein, warnt Thon. Im schlimmste­n Fall drohe sogar eine Veränderun­g des Gehirnstof­fwechsels und der Gehirnmorp­hologie, was zu krankhafte­n Ängsten und Depression­en führen könne.

Um solche schwerwieg­enden Folgen zu verhindern, sollten Betroffene, aber auch Angehörige frühzeitig dafür sorgen, den Teufelskre­is, den die Folgen von Gruppenzwa­ng auslösen können, zu unterbrech­en.

Erkenntnis sei dabei oft der erste Schritt. „Bin ich ich oder bin ich der, der ich für andere sein soll?“Die Jugendpsyc­hiaterin rät Jugendlich­en, sich diese Frage regelmäßig

zu stellen: „Betroffene sollten sich immer fragen, ob sie Dinge auch tun würden, wenn es die Gruppe nicht gäbe.“Es sei wichtig, sich seine eigene Meinung zu bilden und sich von Meinungen in der Gruppe abgrenzen zu können.

Im Ernstfall sei nach ihrer Erkenntnis besonders der Kontakt zu vertrauens­vollen Bezugspers­onen sehr wichtig. Betroffene sollten sich mit den Menschen unterhalte­n, die ihnen das Gefühl geben, angenommen zu werden. Zum Beispiel Angehörige könnten Betroffene­n so helfen. Wichtig sei, das Gefühl zu vermitteln, genauso angenommen zu werden, wie man eben ist, ohne sich verstellen zu müssen. „Elternteil­e oder Bekannte sollten dem Jugendlich­en zwar immer genug Autonomie und Selbstvera­ntwortung überlassen. Aber der Betroffene sollte auch immer wissen, dass jemand für ihn da ist“, sagt Thon. Das Anbieten vertraulic­her Gespräche und das Erzählen von eigenen Erselbst fahrungen könnten oft schon weiterhelf­en. So wisse der Betroffene, dass er nicht alleine ist und keinen Grund hat, sich für eine Gruppe verstellen zu müssen. „Dieses Bewusstsei­n ändert die komplette Wahrnehmun­g“, berichtet die Fachärztin. Denn eine Gruppe habe immer nur den Einfluss, den man ihr gibt. Die Expertin empfiehlt im Ernstfall aber auch auf profession­elle Hilfe zurückzugr­eifen. Etwa Gespräche mit Beratungss­tellen oder Schulpsych­ologen zu führen, um sich über die eigene Situation klar zu werden. »Senf dazu

Wichtig ist der ehrliche Kontakt zu Bezugspers­onen

 ?? Symbolfoto: Armin Weigel, dpa ?? Jeder will dazugehöre­n, jeder will beliebt sein. Und jeder ist traurig, wenn er von einer Gruppe verstoßen wird. Doch eine Expertin rät, nur das zu tun, was man auch ohne die Gruppe tun würde. Wird der Gruppenzwa­ng zu stark und der Druck zu groß, sollten Betroffene profession­elle Hilfe suchen.
Symbolfoto: Armin Weigel, dpa Jeder will dazugehöre­n, jeder will beliebt sein. Und jeder ist traurig, wenn er von einer Gruppe verstoßen wird. Doch eine Expertin rät, nur das zu tun, was man auch ohne die Gruppe tun würde. Wird der Gruppenzwa­ng zu stark und der Druck zu groß, sollten Betroffene profession­elle Hilfe suchen.

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