Ein gefährlicher Teufelskreis: Gruppenzwang
Gesellschaft Gerade in der Pubertät sind Jugendliche oft verunsichert und richten sich nach dem, was andere sagen. Es entwickelt sich eine Eigendynamik mit ernsten Folgen. Eine Expertin erklärt, was es mit dem Phänomen auf sich hat
Landkreis Es gibt sie wohl an jeder Schule: Die Beliebten, die Streber, die Coolen, die, die das Sagen haben. An jeder Schule und in jeder Klasse bestimmen verschiedene Gruppen und Cliquen den Umgang und das Miteinander unter den Schülern. Doch was ist, wenn jeder unbedingt dazugehören will – und dafür bereit ist, etwas zu tun, was er vielleicht gar nicht tun möchte?
Viele Jugendliche kennen ähnliche Situationen und haben sie sogar schon selbst miterlebt: Der Einzelne passt sich an das Verhalten einer größeren Gruppe an, um nicht alleine dazustehen, sondern dazuzugehören. Auch wenn er sich dabei verstellen muss.
Ira Thon, Fachärztin für Kinderund Jugendpsychologie, kennt das Phänomen Gruppenzwang. In ihrer Praxis bei Augsburg hat sie regelmäßig
Gerade Jüngere haben Angst vor Zurückweisung
mit vergleichbaren Fällen zu tun. „Der Wunsch der Zugehörigkeit und die Angst vor Zurückweisung treten vor allem in Zeiträumen der Identitätsfindung auf“, erklärt die Expertin. „Die Jugendlichen grenzen sich von den Eltern ab, während sie gleichzeitig den Kontakt zu Jungen und Mädchen im selben Alter und mit den gleichen Interessen suchen.“Thon ist sich sicher, dass dieses Bedürfnis, in einer Gruppe Sicherheit zu finden, evolutionsbiologischer Herkunft ist. Die Gruppe sichere das Überleben des Einzelnen. Dies verleihe der Bedeutung einer Gruppe eine gewisse Macht und führe vor allem bei unsicheren Personen zu dem Gefühl, sich anpassen zu müssen. „Ein Teufelskreis“, erklärt Thon. „Unsicheres Verhalten bewirkt oft auch beim Gegenüber Unsicherheit, die von außen wiederum als Ablehnung interpretiert wird.“
Es gebe übrigens einen deutlichen Unterschied zwischen dem heute stattfindenden Gruppenzwang, und dem, wie er noch vor einigen Jahrzehnten definiert wurde. „Die klassischen Mutproben, die es damals gab, sind heute nicht mehr üblich. Heutzutage besteht Gruppenzwang eher darin, seinen Charakter zu verändern und so zu tun, als wäre man jemand anders“, sagt Thon. Dieser ständige Druck, sich anpassen zu müssen, könnte bei Betroffenen dauerhafte Anspannung und erhöhten Stress verursachen, so die Expertin. Die Folgen können teils drastisch sein, warnt Thon. Im schlimmsten Fall drohe sogar eine Veränderung des Gehirnstoffwechsels und der Gehirnmorphologie, was zu krankhaften Ängsten und Depressionen führen könne.
Um solche schwerwiegenden Folgen zu verhindern, sollten Betroffene, aber auch Angehörige frühzeitig dafür sorgen, den Teufelskreis, den die Folgen von Gruppenzwang auslösen können, zu unterbrechen.
Erkenntnis sei dabei oft der erste Schritt. „Bin ich ich oder bin ich der, der ich für andere sein soll?“Die Jugendpsychiaterin rät Jugendlichen, sich diese Frage regelmäßig
zu stellen: „Betroffene sollten sich immer fragen, ob sie Dinge auch tun würden, wenn es die Gruppe nicht gäbe.“Es sei wichtig, sich seine eigene Meinung zu bilden und sich von Meinungen in der Gruppe abgrenzen zu können.
Im Ernstfall sei nach ihrer Erkenntnis besonders der Kontakt zu vertrauensvollen Bezugspersonen sehr wichtig. Betroffene sollten sich mit den Menschen unterhalten, die ihnen das Gefühl geben, angenommen zu werden. Zum Beispiel Angehörige könnten Betroffenen so helfen. Wichtig sei, das Gefühl zu vermitteln, genauso angenommen zu werden, wie man eben ist, ohne sich verstellen zu müssen. „Elternteile oder Bekannte sollten dem Jugendlichen zwar immer genug Autonomie und Selbstverantwortung überlassen. Aber der Betroffene sollte auch immer wissen, dass jemand für ihn da ist“, sagt Thon. Das Anbieten vertraulicher Gespräche und das Erzählen von eigenen Erselbst fahrungen könnten oft schon weiterhelfen. So wisse der Betroffene, dass er nicht alleine ist und keinen Grund hat, sich für eine Gruppe verstellen zu müssen. „Dieses Bewusstsein ändert die komplette Wahrnehmung“, berichtet die Fachärztin. Denn eine Gruppe habe immer nur den Einfluss, den man ihr gibt. Die Expertin empfiehlt im Ernstfall aber auch auf professionelle Hilfe zurückzugreifen. Etwa Gespräche mit Beratungsstellen oder Schulpsychologen zu führen, um sich über die eigene Situation klar zu werden. »Senf dazu
Wichtig ist der ehrliche Kontakt zu Bezugspersonen