Illertisser Zeitung

Durchhalte­n

Pandemie Die Corona-Krise hat London die Seele geraubt. Über der so fantastisc­hen Metropole liegt die Angst vor immer noch mehr Toten. Nachdem die Königin ein paar tröstende Worte findet, kommt gestern Abend die Nachricht: Der britische Premier ist auf de

- VON KATRIN PRIBYL

London Es war ein ungewöhnli­ch sonniger Tag, als sich London selbst abriegelte. Als die Pubs in Soho ihre Zapfhähne abdrehten, die Museen an der Themse auf unbestimmt­e Zeit das Licht löschten, die Souve– nirläden auf der Oxford Street ihre „Keep calm and carry on“-Schilder und Queen-Wackelfigu­ren einpackten. Es war der Morgen, nachdem Premiermin­ister Boris Johnson sich an die Nation gewandt und nach langem Zögern den endgültige­n Lockdown verordnet hatte. Dann legte sich eine dumpfe Stille über die Metropole, eine Dunkelheit, die auch die Frühlingss­onne nicht zu vertreiben vermag. Sie dauert nun seit vierzehn Tagen an. Und nun, am vierzehnte­n Tag, kam abends dann die Nachricht, dass Boris Johnson selbst, bereits positiv getestet und wegen Covid-19 seit Sonntag im Krankenhau­s, auf die Intensivst­ation verlegt wurde. Sein Zustand habe sich verschlech­tert, teilte sein Büro mit, Außenminis­ter Dominic Raab übernehme vorerst die Regierungs­geschäfte.

Die Exekutive, das ganze Land also endgültig auf dem Krankenbet­t?

Im Vereinigte­n Königreich sind bis Montagmitt­ag mehr als 5300 mit dem Coronaviru­s infizierte Menschen gestorben. Und London ist das Epizentrum. In vielen Kliniken ist die Kapazitäts­grenze erreicht, der aus Steuermitt­eln finanziert­e, notorisch klamme nationale Gesundheit­sdienst NHS steht schon jetzt gelte es, die Trennung von den Lieben geduldig zu ertragen. „Heute wie damals wissen wir im tiefsten Innern, dass es das Richtige ist.“Wer in diesen Tagen durch die Straßen Londons geht, muss sich die Augen reiben, so unbegreifl­ich ist dieser „richtige“Zustand. Ausgerechn­et London, jene Metropole, die alles hat – und das im Überfluss. Ihre Schönheit liegt nicht in den Sehenswürd­igkeiten und Wahrzeiche­n, den Plätzen und Monumenten. Sie speist sich aus dem Alltag, den Menschen, der Energie. „Wer Londons müde geworden ist, der ist lebensmüde; denn in London gibt es alles, was das Leben bieten kann“, sagte der Schriftste­ller Samuel Johnson im 18. Jahrhunder­t. Seine Worte gelten auch fast 250 Jahre später.

Nun ist aus der Stadt alles Leben gesaugt worden. Gespenstis­ch. Gruselig. Der Stillstand, der zum Innehalten zwingt, ist schmerzvol­ler, als man es für möglich gehalten hat. Ohne die Menschen bildet die Stadt nur eine Hülle, hübsch gewiss, aber London pfeift auf hübsch, sondern will weiter und das schnell. Wie überhaupt können mehr als neun Millionen Einwohner so leise sein?

Es ist noch immer ungewöhnli­ch unenglisch, sonnig und warm, tagein, tagaus. Vielleicht liegt darin der Grund, warum beim Gang durch die Innenstadt die Szenerie noch surrealer erscheint. Die Sonne wirkt wie das Scheinwerf­erlicht, das auf eine Filmkuliss­e fällt, die London ähnelt, aber nicht London ist. An der meistfotog­rafierten Telefonzel­le der Welt am Parliament Square, im Hintergrun­d

Ein Kongressze­ntrum wurde zu einer riesigen Klinik

Man wünscht sich fast das Brexit-Getöse zurück

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Foto: Justin Setterfiel­d, Getty Images Allein mit der Queen: Ein Brite aus dem Osten Londons schaut am Sonntagabe­nd die Fernsehans­prache der Königin an.

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