Durchhalten
Pandemie Die Corona-Krise hat London die Seele geraubt. Über der so fantastischen Metropole liegt die Angst vor immer noch mehr Toten. Nachdem die Königin ein paar tröstende Worte findet, kommt gestern Abend die Nachricht: Der britische Premier ist auf de
London Es war ein ungewöhnlich sonniger Tag, als sich London selbst abriegelte. Als die Pubs in Soho ihre Zapfhähne abdrehten, die Museen an der Themse auf unbestimmte Zeit das Licht löschten, die Souve– nirläden auf der Oxford Street ihre „Keep calm and carry on“-Schilder und Queen-Wackelfiguren einpackten. Es war der Morgen, nachdem Premierminister Boris Johnson sich an die Nation gewandt und nach langem Zögern den endgültigen Lockdown verordnet hatte. Dann legte sich eine dumpfe Stille über die Metropole, eine Dunkelheit, die auch die Frühlingssonne nicht zu vertreiben vermag. Sie dauert nun seit vierzehn Tagen an. Und nun, am vierzehnten Tag, kam abends dann die Nachricht, dass Boris Johnson selbst, bereits positiv getestet und wegen Covid-19 seit Sonntag im Krankenhaus, auf die Intensivstation verlegt wurde. Sein Zustand habe sich verschlechtert, teilte sein Büro mit, Außenminister Dominic Raab übernehme vorerst die Regierungsgeschäfte.
Die Exekutive, das ganze Land also endgültig auf dem Krankenbett?
Im Vereinigten Königreich sind bis Montagmittag mehr als 5300 mit dem Coronavirus infizierte Menschen gestorben. Und London ist das Epizentrum. In vielen Kliniken ist die Kapazitätsgrenze erreicht, der aus Steuermitteln finanzierte, notorisch klamme nationale Gesundheitsdienst NHS steht schon jetzt gelte es, die Trennung von den Lieben geduldig zu ertragen. „Heute wie damals wissen wir im tiefsten Innern, dass es das Richtige ist.“Wer in diesen Tagen durch die Straßen Londons geht, muss sich die Augen reiben, so unbegreiflich ist dieser „richtige“Zustand. Ausgerechnet London, jene Metropole, die alles hat – und das im Überfluss. Ihre Schönheit liegt nicht in den Sehenswürdigkeiten und Wahrzeichen, den Plätzen und Monumenten. Sie speist sich aus dem Alltag, den Menschen, der Energie. „Wer Londons müde geworden ist, der ist lebensmüde; denn in London gibt es alles, was das Leben bieten kann“, sagte der Schriftsteller Samuel Johnson im 18. Jahrhundert. Seine Worte gelten auch fast 250 Jahre später.
Nun ist aus der Stadt alles Leben gesaugt worden. Gespenstisch. Gruselig. Der Stillstand, der zum Innehalten zwingt, ist schmerzvoller, als man es für möglich gehalten hat. Ohne die Menschen bildet die Stadt nur eine Hülle, hübsch gewiss, aber London pfeift auf hübsch, sondern will weiter und das schnell. Wie überhaupt können mehr als neun Millionen Einwohner so leise sein?
Es ist noch immer ungewöhnlich unenglisch, sonnig und warm, tagein, tagaus. Vielleicht liegt darin der Grund, warum beim Gang durch die Innenstadt die Szenerie noch surrealer erscheint. Die Sonne wirkt wie das Scheinwerferlicht, das auf eine Filmkulisse fällt, die London ähnelt, aber nicht London ist. An der meistfotografierten Telefonzelle der Welt am Parliament Square, im Hintergrund
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