„Wir befürchten eine große Welle“
Corona Experten warnen vor mehr Fällen häuslicher Gewalt wegen der Ausgangsbeschränkung. Die Leiterin des Frauenhauses in Neu-Ulm merkt davon nichts – das könnte sich aber ändern
Neu-Ulm Seit einigen Wochen darf man nur in den dringendsten Fällen nach draußen. Da ist manch einer froh um seinen großen Garten oder die Terrasse. Doch für Familien, die in einer engen Zwei-Zimmer-Wohnung leben, kann die Ausgangssperre dramatische Folgen haben. Mit quengelnden Kindern und gestresstem Partner auf engstem Raum auskommen: Da kann es schon einmal lauter werden. Und in den schlimmsten Fällen sogar zu körperlicher Gewalt kommen.
Das befürchten auch Politiker, wie kürzlich erst Familienministerin Franziska Giffey. Sie sprach ihre Sorge aus, es drohe eine Überlastung der Frauenhäuser wegen der ansteigenden Fälle von häuslicher Gewalt.
Emmy Megler leitet das AWOFrauenhaus in Neu-Ulm seit fast drei Jahrzehnten. Auch sie hat von diesen Befürchtungen gehört, kann sie zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht bestätigen. „Erstaunlicherweise haben wir noch keinen besonders großen Zulauf in dieser Situation“, sagt Megler. „Wir befürchten allerdings, dass eine größere Welle kommt, wenn die Kontaktsperre aufgehoben wird.“
Im vergangenen Monat waren es acht Anfragen von Frauen, im Durchschnitt seien es allerdings 13
Frauen im Monat, die sich an das Frauenhaus wenden. Megler sieht verschiedene Gründe, warum sich aktuell weniger Betroffene melden. „Zum einen habe ich die Hoffnung in das humanistische Menschenbild nicht verloren und wünsche mir, dass sich die Menschen in dieser Zeit wieder auf das Wesentliche konzentrieren“, sagt Megler. Der ihrer Meinung nach jedoch viel wahrscheinlichere Grund sei, dass viele Frauen glauben, es habe ohnehin alles geschlossen und auch das Frauenhaus habe den Betrieb eingestellt. „Das ist nicht so. Wir sind für die Frauen auf jeden Fall da“, betont die Leiterin.
Ihre dritte These ist, dass es für manche gerade keine Gelegenheit gebe, zu telefonieren. „Die meisten melden sich nicht von zu Hause aus bei uns, sondern über Freunde oder auch mal vom Arzt aus“, weiß Megler aus Erfahrung. Es werden teilweise ganz abenteuerliche Wege auf sich genommen. „Höchstens ein Drittel der Betroffenen meldet sich aus eigener Initiative und persönlich bei uns.“Auch Behörden wie die Polizei, das Jugendamt oder der Kindergarten vermitteln oft den Kontakt. „Dass sich im Moment weniger melden, heißt nicht automatisch, dass es weniger Fälle gibt“, sagt die Frauenhaus-Leiterin. Die Sorge sei da, dass die große Welle erst noch komme: „Wenn die Kontaktsperre aufgehoben wird, befürchten wir tatsächlich eine große Welle.“Deswegen möchte sie betonen, dass es jetzt schon Lösungen gibt und die Mitarbeiter die Betroffenen auf jeden Fall aus ihrem Umfeld rausholen können. Um zu vermeiden, dass die Gewalttäter die Opfer aufsuchen können, werden interne Lösungen und der Ort der Unterkünfte im persönlichen Gespräch mitgeteilt. Das gelte für die Betroffenen aus den Kreisen NeuUlm und Günzburg, für Ulm ist ein anderes Frauenhaus zuständig.
Auch die Leiterin der Polizeiinspektion Neu-Ulm, Michaela Baschwitz, merkt noch keinen großen Anstieg bei den Zahlen der häuslichen Gewalt. „Es ist eher der Eindruck, dass es mehr ist, da andere Straftaten, die beispielsweise in Gaststätten passieren, wegfallen“, sagt Baschwitz. Im Schnitt seien es etwa 30 Fälle im Monat im Landkreis Neu-Ulm. Viele von diesen werden jedoch erst viel später zur Anzeige gebracht. „Die Geschädigten müssen sich meist erst überwinden, überhaupt Anzeige zu erstatten. Das ist ein langer Leidensweg“, sagt die Inspektionsleiterin. Sie erwähnt außerdem, dass auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen sein können. Zwar viel seltener als Frauen, dennoch komme es vor.
Am Telefon kann Megler keine Tipps verraten, wie man sich schützen kann, da sie sonst wirkungslos wären. Allerdings kann sie von der aktuellen Lage im Frauenhaus berichten. Im Haus wohnen derzeit fünf Bewohnerinnen und neun Kinder. Auch dort gelte natürlich das Kontaktverbot nach draußen. „Wir haben die Situation sehr gut gelöst“, erzählt Megler. Dadurch, dass aktuell keine Termine wie Jobcentergespräche anstehen, sei das Team im Haus ganz eng zusammengerückt.
Egal ob Ostereier bemalen, Salzteig backen oder ein Kinderkino mit Leinwand – in dieser Zeit entstehen viele tolle Sachen in der Unterkunft. „Die Betreuung ist im Moment viel intensiver als sonst. Die Mütter haben zweimal am Tag auch etwas Zeit ohne Kinder und das tut ihnen sehr gut“, sagt die Leiterin. Das Team würde derzeit intensive Integrationsarbeit leisten. Trotz der Situation sei dies eine gute Sache, die die Isolation mit sich bringe.
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