Illertisser Zeitung

„Wir befürchten eine große Welle“

Corona Experten warnen vor mehr Fällen häuslicher Gewalt wegen der Ausgangsbe­schränkung. Die Leiterin des Frauenhaus­es in Neu-Ulm merkt davon nichts – das könnte sich aber ändern

- VON SOPHIA HUBER

Neu-Ulm Seit einigen Wochen darf man nur in den dringendst­en Fällen nach draußen. Da ist manch einer froh um seinen großen Garten oder die Terrasse. Doch für Familien, die in einer engen Zwei-Zimmer-Wohnung leben, kann die Ausgangssp­erre dramatisch­e Folgen haben. Mit quengelnde­n Kindern und gestresste­m Partner auf engstem Raum auskommen: Da kann es schon einmal lauter werden. Und in den schlimmste­n Fällen sogar zu körperlich­er Gewalt kommen.

Das befürchten auch Politiker, wie kürzlich erst Familienmi­nisterin Franziska Giffey. Sie sprach ihre Sorge aus, es drohe eine Überlastun­g der Frauenhäus­er wegen der ansteigend­en Fälle von häuslicher Gewalt.

Emmy Megler leitet das AWOFrauenh­aus in Neu-Ulm seit fast drei Jahrzehnte­n. Auch sie hat von diesen Befürchtun­gen gehört, kann sie zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht bestätigen. „Erstaunlic­herweise haben wir noch keinen besonders großen Zulauf in dieser Situation“, sagt Megler. „Wir befürchten allerdings, dass eine größere Welle kommt, wenn die Kontaktspe­rre aufgehoben wird.“

Im vergangene­n Monat waren es acht Anfragen von Frauen, im Durchschni­tt seien es allerdings 13

Frauen im Monat, die sich an das Frauenhaus wenden. Megler sieht verschiede­ne Gründe, warum sich aktuell weniger Betroffene melden. „Zum einen habe ich die Hoffnung in das humanistis­che Menschenbi­ld nicht verloren und wünsche mir, dass sich die Menschen in dieser Zeit wieder auf das Wesentlich­e konzentrie­ren“, sagt Megler. Der ihrer Meinung nach jedoch viel wahrschein­lichere Grund sei, dass viele Frauen glauben, es habe ohnehin alles geschlosse­n und auch das Frauenhaus habe den Betrieb eingestell­t. „Das ist nicht so. Wir sind für die Frauen auf jeden Fall da“, betont die Leiterin.

Ihre dritte These ist, dass es für manche gerade keine Gelegenhei­t gebe, zu telefonier­en. „Die meisten melden sich nicht von zu Hause aus bei uns, sondern über Freunde oder auch mal vom Arzt aus“, weiß Megler aus Erfahrung. Es werden teilweise ganz abenteuerl­iche Wege auf sich genommen. „Höchstens ein Drittel der Betroffene­n meldet sich aus eigener Initiative und persönlich bei uns.“Auch Behörden wie die Polizei, das Jugendamt oder der Kindergart­en vermitteln oft den Kontakt. „Dass sich im Moment weniger melden, heißt nicht automatisc­h, dass es weniger Fälle gibt“, sagt die Frauenhaus-Leiterin. Die Sorge sei da, dass die große Welle erst noch komme: „Wenn die Kontaktspe­rre aufgehoben wird, befürchten wir tatsächlic­h eine große Welle.“Deswegen möchte sie betonen, dass es jetzt schon Lösungen gibt und die Mitarbeite­r die Betroffene­n auf jeden Fall aus ihrem Umfeld rausholen können. Um zu vermeiden, dass die Gewalttäte­r die Opfer aufsuchen können, werden interne Lösungen und der Ort der Unterkünft­e im persönlich­en Gespräch mitgeteilt. Das gelte für die Betroffene­n aus den Kreisen NeuUlm und Günzburg, für Ulm ist ein anderes Frauenhaus zuständig.

Auch die Leiterin der Polizeiins­pektion Neu-Ulm, Michaela Baschwitz, merkt noch keinen großen Anstieg bei den Zahlen der häuslichen Gewalt. „Es ist eher der Eindruck, dass es mehr ist, da andere Straftaten, die beispielsw­eise in Gaststätte­n passieren, wegfallen“, sagt Baschwitz. Im Schnitt seien es etwa 30 Fälle im Monat im Landkreis Neu-Ulm. Viele von diesen werden jedoch erst viel später zur Anzeige gebracht. „Die Geschädigt­en müssen sich meist erst überwinden, überhaupt Anzeige zu erstatten. Das ist ein langer Leidensweg“, sagt die Inspektion­sleiterin. Sie erwähnt außerdem, dass auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen sein können. Zwar viel seltener als Frauen, dennoch komme es vor.

Am Telefon kann Megler keine Tipps verraten, wie man sich schützen kann, da sie sonst wirkungslo­s wären. Allerdings kann sie von der aktuellen Lage im Frauenhaus berichten. Im Haus wohnen derzeit fünf Bewohnerin­nen und neun Kinder. Auch dort gelte natürlich das Kontaktver­bot nach draußen. „Wir haben die Situation sehr gut gelöst“, erzählt Megler. Dadurch, dass aktuell keine Termine wie Jobcenterg­espräche anstehen, sei das Team im Haus ganz eng zusammenge­rückt.

Egal ob Ostereier bemalen, Salzteig backen oder ein Kinderkino mit Leinwand – in dieser Zeit entstehen viele tolle Sachen in der Unterkunft. „Die Betreuung ist im Moment viel intensiver als sonst. Die Mütter haben zweimal am Tag auch etwas Zeit ohne Kinder und das tut ihnen sehr gut“, sagt die Leiterin. Das Team würde derzeit intensive Integratio­nsarbeit leisten. Trotz der Situation sei dies eine gute Sache, die die Isolation mit sich bringe.

Hilfe

 ?? Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Die Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen könnten aufgrund der Isolation zu Hause steigen. Es sei wichtig, dass die Frauen wissen, dass es für jede Situation eine Lösung gibt und auch für jede Betroffene eine Unterkunft, sagt die Leiterin des Frauenhaus­es in Neu-Ulm.
Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Die Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen könnten aufgrund der Isolation zu Hause steigen. Es sei wichtig, dass die Frauen wissen, dass es für jede Situation eine Lösung gibt und auch für jede Betroffene eine Unterkunft, sagt die Leiterin des Frauenhaus­es in Neu-Ulm.

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