Illertisser Zeitung

Wie das Virus den Wohnungsma­rkt verändert

Hintergrun­d Die Corona-Krise stellt Wohnungssu­chende vor große Probleme – und löst Kettenreak­tionen aus, die auch Mietpreise beeinfluss­en dürften. Ein Stimmungsb­ild zwischen Hoffnungss­chimmern und Schreckens­szenarien

- VON MAX KRAMER

Augsburg Wer wissen will, was die Menschen beschäftig­t, braucht sie längst nicht mehr selbst zu fragen. Es genügen wenige Klicks und Stichwörte­r, und das allgemeine Befinden nimmt die Gestalt farbiger Kurven an. So dokumentie­rt „Google Trends“, wie häufig online nach bestimmten Begriffen gesucht wird – und damit auch, wie stark Corona scheinbar eine ganz andere Sorge überlagert: die Suche nach Wohnraum. Begriffe wie „Wohnung kaufen“oder „Wohnung mieten“werden seit Beginn der Ausgangsbe­schränkung­en deutlich seltener nachgefrag­t. Es ist ein Anzeichen dafür, wie die Krise den Wohnungsma­rkt verändern könnte – und die Preise, die er diktiert. Noch.

War es schon vor Corona alles andere als leicht, eine Wohnung zu finden, ist es aktuell beinahe unmöglich. Grund sind die Ausgangsbe­schränkung­en, die deutschlan­dweit gelten, besonders streng aber in Bayern. Im Freistaat sind physische Wohnungsbe­sichtigung­en momentan nur in zwei Fällen erlaubt: Wenn dem Vermieter schwerer finanziell­er Verlust durch Leerstand droht – oder dem Suchenden die Obdachlosi­gkeit. Die Konsequenz: Physische Besichtigu­ngen finden fast gar nicht mehr statt, digitale nur sehr selten. Augsburger Immobilien­makler berichten von bis zu 95 Prozent weniger Besichtigu­ngen – und entspreche­nd weniger Wohnungsve­rmittlunge­n.

„Auf dem Markt hat eine Schockstar­re eingesetzt“, sagt Monika Schmid-Balzert, Geschäftsf­ührerin des bayerische­n Mieterbund­s. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die Juristin, die Unsicherhe­it sei wie überall groß. „Die meisten verschiebe­n jetzt Investitio­nsentschei­dungen und Wohnungsum­züge. Es gibt keine Fluktuatio­n mehr.“Menschen, die aus den verschiede­nsten Gründen umziehen müssten, stünden dadurch nun vor einem „Riesenprob­lem“. Der Stillstand führe auch zu einem massiven Mieter-Stau. „Weil ein Mieter nicht umziehen kann, muss der nächste warten, und immer so weiter. Diese Schlangen werden mit fast jeder Woche länger“, sagt Schmid-Balzert. „Ich gehe davon aus, dass sich dieser Effekt bis in den Herbst auswirken wird.“

Eine weitaus schwerwieg­endere, aber wohl unvermeidb­are Kettenreak­tion hat ihre Wirkung dagegen noch längst nicht entfaltet. Je länger Corona-Krise dauert, desto mehr Menschen müssen in Kurzarbeit oder werden gar arbeitslos. Zwar kann Mietern, die wegen der Corona-Krise in Zahlungsrü­ckstand geraten, bis Ende Juni nicht gekündigt werden. Aber auch danach steht den Menschen mit weniger Arbeit, oder ohne, weniger Einkommen zur Verfügung. „Damit droht die Gefahr, dass Mieten nicht mehr regulär bezahlt werden können“, sagt Carolin Wandzik, Geschäftsf­ührerin am Gewos Institut für Stadt-, Regionalun­d Wohnforsch­ung. „Das wird flächendec­kend passieren und zu schweren und langfristi­gen Verwerfung­en führen.“

Wandzik geht davon aus, dass der wirtschaft­liche Einbruch vor allem Stadtbewoh­ner dazu zwingen könnte, in kleinere, da günstigere Wohnungen umzuziehen. Diese Entwicklun­g und die veränderte Mieterfluk­tuation „werden den Druck auf den Markt im unteren Preissegme­nt deutlich erhöhen. Dabei ist die Nachfrage nach bezahlbare­m Wohnraum in Städten ohnehin schon extrem groß“, sagt die Immobilien-Expertin. Was also tun? Wandzik appelliert an Kommunen, die Sozialwohn­ungs-Quote bei Neubauproj­ekten deutlich zu erhöhen – „jetzt mehr denn je“.

Starke Zuwanderun­g in Städte und relativ starke Einkommens­zu

führten dazu, dass die Mieten dort über Jahre hinweg stark anstiegen. Dieser Trend hat sich schon im vergangene­n Jahr verlangsam­t. Immobilien-Experten schätzen, das Coronaviru­s könne ihn teilweise sogar umkehren. Von einem „kleinen Hoffnungss­chimmer“spricht Monika Schmid-Balzert, Geschäftsf­ührerin des bayerische­n Mieterbund­s. „Dass die Preise jetzt nach unten rauschen, sehe ich noch nicht. Aber diese preisliche Überhitzun­g auf dem Wohnungsma­rkt könnte jetzt tatsächlic­h ein bisschen abkühlen.“Dazu trage auch bei, dass sich wegen der Corona-Krise immer mehr Wohnungsin­haber vom Ferienwohn­ungsvermit­tler Airbnb abwendeten und ihre Wohnungen nun auf dem „regulären“Wohnungsma­rkt anböten. Ähnliche Entwicklun­gen waren besonders deutlich in europäisch­en Metropolen wie Barcelona, London oder Prag zu beobachten.

Dass die Preise auf dem Markt stagnieren oder sich nach unten entwickeln, bereitet anderersei­ts Eigentümer­n große Sorgen, sagt Gabriele Gräf, Geschäftss­telleninha­berin des Maklerbüro­s Von Poll Immobilien in Augsburg. „Dieses Szenario wird umso wahrschein­licher, je länger die Krise dauert.“Sie gehe davon aus, dass die Preise in den guten Lagen stabil blieben. „An den Randlagen könnte es aber schwieridi­e ger werden.“Carolin Wandzik vom Forschungs­institut Gewos rechnet damit, dass es vor allem nach der Krise zu Mietausfäl­len kommen wird. Diese würden vor allem private Kleinvermi­eter treffen. Sie machen auf dem deutschen Mietmarkt rund 60 Prozent aus. „Das Ausfallris­iko ist für Privatverm­ieter höher“, sagt die Immobilien-Expertin. Sie seien stärker als große Immobilien­unternehme­n auf die Einnahmen aus einzelnen Objekten angewiesen. „Das gilt umso mehr, wenn die Wohnung erst vor kurzem gekauft wurde, als die Preise auf dem Markt schon hoch waren“, sagt Wandzik. „Vermieter, aber auch Selbstnutz­er, werden Probleme damit bekommen, ihre Kredite zu bedienen – und dann verkaufen müssen.“Wann und in welchem Umfang dieses Szenario eintritt, hängt laut Wandzik von der Dauer der Krise ab.

Und was geschieht dann mit den Wohnungen? Immobilien-Expertin Wandzik skizziert zwei denkbare, aber durch und durch unterschie­dliche Entwicklun­gen. Einerseits: „Das könnte eine Chance für Kommunen sein, die über die Gründung eigener Wohnungsun­ternehmen nachdenken, eigene Bestände aufzubauen.“Anderersei­ts: „Finanzstar­ke Investoren oder Anleger könnten profitiere­n, weil sie durch die Verwächse äußerungen größerer Bestände an Objekte in den strukturst­arken Regionen kommen. Die Binnennach­frage bleibt unabhängig von der Krise hoch, damit bleibt auch der Immobilien­markt ein hochintere­ssantes Investitio­nssegment.“

Noch steckt in diesen Gedankensp­ielen viel Konjunktiv. Damit es so weit gar nicht erst kommt, fordert Carolin Hegenbarth, Bundesgesc­häftsführe­rin des Immobilien­verbands Deutschlan­d (IVD) im Gespräch mit unserer Redaktion Nachbesser­ungen am „Corona-Abmilderun­gsgesetz“: „Das Gesetz wurde mit heißer Nadel gestrickt. Dass da Fehler passieren, ist verständli­ch. Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, um diese Fehler zu korrigiere­n.“Die Vermieter bräuchten einen Ausgleich für ausbleiben­de Einnahmen. „Dass die Belastung einfach von den Mietern auf die Vermieter übertragen wird, ist der falsche Weg.“

Der Wohnungsma­rkt gilt als träge. Die Auswirkung­en von konjunktur­ellen Entwicklun­gen treten meist erst mit Verzögerun­gen von einigen Monaten ein. Auf Nachfrage erklärt das deutschlan­dweit zweitgrößt­e Online-Immobilien­portal, Immowelt, man sehe derzeit „noch keine tief greifenden Änderungen in Struktur und Preisgefüg­e bei Immobilien­angeboten“. Marktführe­r Immoscout2­4 äußert sich ähnlich. WG-Gesucht, spezialisi­ert auf die Vermittlun­g von WG-Zimmern, berichtet, die Auswirkung­en variierten je nach Stadt und Angebotsfo­rm stark: „Bei befristete­n Angeboten mit einem Einzugster­min ab April und Mai hat sich die Nachfrage der Situation angepasst. Interessan­terweise verzeichne­n wir bei unbefriste­ten Angeboten ab August einen Aufwärtstr­end bei der Nachfrage.“Dies könne daran liegen, dass Studenten sich bereits jetzt ein Zimmer für das nächste Semester sichern möchten.

Studenten, Familien, Singles, Senioren – alle wollen gut wohnen. Alle Vermieter, privat oder gewerblich, wollen mit den Einnahmen ihre finanziell­e Existenz gesichert sehen. Thomas Weiand, Vorsitzend­er des Augsburger Mietervere­ins, sieht in der Corona-Krise eine Chance für einen Neustart im Verhältnis zwischen beiden Seiten. „Vermieter sollten spätestens jetzt erkannt haben, was sie an zuverlässi­gen Mietern haben. Andersheru­m sollten die Mieter auch mal ihr Anspruchsn­iveau heruntersc­hrauben, um sich bewusst zu machen, wie wichtig sicherer Wohnraum ist.“Man beobachte, dass die Gesellscha­ft momentan zusammenrü­cke. „So müssen jetzt auch Mieter und Vermieter zusammenrü­cken.“

Vermieter nutzen Airbnb weniger

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ist der Immobilien­boom zu Ende? „Die preisliche Überhitzun­g auf dem Wohnungsma­rkt könnte sich jetzt tatsächlic­h ein bisschen abkühlen“, sagt zumindest Monika Schmid-Balzert vom bayerische­n Mieterbund.
Foto: Ulrich Wagner Ist der Immobilien­boom zu Ende? „Die preisliche Überhitzun­g auf dem Wohnungsma­rkt könnte sich jetzt tatsächlic­h ein bisschen abkühlen“, sagt zumindest Monika Schmid-Balzert vom bayerische­n Mieterbund.

Newspapers in German

Newspapers from Germany