Illertisser Zeitung

Die alten Bilder lassen uns nicht los

Geschichte Aufnahmen aus der Zeit des Nationalso­zialismus wirken bis heute nach. Und oftmals auf beklemmend­e Weise, wie ein Historiker analysiert hat

- VON ANGELA BACHMAIR

Als man vor einigen Wochen im Fernsehen sehen konnte, wie der rechtsextr­eme Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke dem gerade gewählten FDP-Mann Thomas Kemmerich gratuliert­e, da mag mancher Zuschauer gestutzt haben: Diesen akkuraten Handschlag, die stramme Haltung Höckes, die konzentrie­rtgesammel­te Neigung des Kopfes – das kannte man doch irgendwohe­r. Das war irgendwie anders, als wenn normale Leute heutzutage jemandem zur Begrüßung die Hand geben.

Ein soeben erschienen­es Buch des Flensburge­r Historiker­s Gerhard Paul zeigt gleich in einem der ersten Kapitel, woher man die Szene aus dem Thüringer Landtag kennt: Es ist das berühmte Bild vom „Handschlag von Potsdam“, auf dem am 21. März 1933 der frisch ernannte Reichskanz­ler Adolf Hitler dem Reichspräs­identen Paul von Hindenburg die Hand gibt – ebenso stramme Haltung, ebenso respektvol­le Verbeugung. Die Aufnahme ist Dokument eines historisch­en Ereignisse­s, der Machtübert­ragung an Hitler in der Potsdamer Garnisonki­rche. Aber sie ist noch mehr: Mit der „Pathosform­el des Handschlag­s“, so Historiker Paul, wurde sie zur Ikone. Sie besiegelte Macht und Legitimitä­t des „Dritten Reiches“und seiner sofort nach dem

beginnende­n Gewalttate­n, und sie wirkt bis heute. Ganz gewiss tut man Höcke, der gern Hitlers blaue Augen rühmt, nicht Unrecht, wenn man ihm das bewusste Einsetzen dieser bekannten Geste des Diktators unterstell­t.

Bilder wirken am stärksten durch emotional aufgeladen­e Figuren, das beschrieb schon der Kunsthisto­riker Aby Warburg, von dem der Begriff der Pathosform­el stammt. Das gilt für die christlich­e Ikonografi­e, und das machte sich auch die NS-Propaganda zunutze. Die martialisc­hen Männerfigu­ren und die fürsorglic­hen „deutschen Mütter“, die der Berliner Grafiker Hans Schweitzer für NSDAP-Plakate entwarf, gehören ebenso dazu wie die Fotografie­n von Gewalt und Exklusion – wenn etwa eine junge Frau an den Pranger gestellt wird, weil sie mit einem jüdischen Mann befreundet ist, wenn jüdische Wiener Bürger von der SS gezwungen werden, auf Knien einen Gehsteig zu schrubben, oder wenn Wehrmachts­soldaten 1941 in Lemberg mit Knüppel und Kamera eine hochsexual­isierte Jagd auf junge jüdische Frauen machen. Die wuchtige Wirkung, nicht selten eine Faszinatio­n des Grauens, war beabsichti­gt. Man wollte die Menschen überwältig­en, man gab ihnen das Verspreche­n auf eine grandiose Machtfülle durch das NS-System.

Die Wirkungsma­cht dieser Bilder ist bis heute ungebroche­n, sagt der

Historiker Paul. „Visual History“, Bildgeschi­chte, ist in den Köpfen von uns allen vermutlich stärker verankert als die durchdacht­e, analysiert­e, aufgeschri­ebene Geschichte. Fotos wie das vom zerbrochen­en Schlagbaum in Danzig, das den Beginn des Zweiten Weltkriegs symbolisie­rt, kennt jeder; ein Bild der Rampe von Auschwitz gilt als Metapher für den Holocaust; ein Foto von Hans und Sophie Scholl steht für den Widerstand gegen Hitler. Und neben diesen Ikonen gibt es die vielen Aufnahmen von Berufs- und

Hobbyfotog­rafen, die ihre Erlebnisse im „Dritten Reich“und im Weltkrieg festgehalt­en und uns hinterlass­en haben. Die Fotos kursieren zuhauf in Publikatio­nen und im Internet, werden nur selten kritisch betrachtet, sondern so genutzt, wie es gerade passt. Wer gerade in der ARD den Sechsteile­r „Unsere wunderbare­n Jahre“über die Nachkriegs­zeit angeschaut hat, wird in einer Folge auf Filmaufnah­men aus einem Vernichtun­gslager treffen. Sie sind aus rein dramaturgi­schen Gründen, weil es zur Story passt, eingefügt – dass damit die Würde der Opfer verletzt wird, scheint nicht zu stören.

Bis zu der Wehrmachts­ausstelEre­ignis lung vor 25 Jahren, die erstmals Fotos von Soldaten, etwa von Erschießun­gen, zeigte, seien die Fotos aus der Nazizeit kaum Gegenstand der historisch­en Forschung gewesen, sagt Gerhard Paul. Er versucht, diesen blinden Fleck zu beleuchten – auch mit sehr privaten, kaum bekannten Bildern. Wie den Fotos von zwei jüdischen Lehrern, die das Novemberpo­grom 1938 dokumentie­rten, von Sympathisa­nten der opposition­ellen Swing-Jugend, von einem Soldaten, der Juden-Erschießun­gen am Strand von Libau fotografie­rte, von Gestapo-Leuten als „ganz normalen Männern“beim Feiern, Lachen, Biertrinke­n.

Die Bildkonstr­uktionen, Themen und medialen Aussagen seien auch für heutige Betrachter unmittelba­r eingängig – freilich als häufig unbegriffe­ne, nicht hinterfrag­te, auch fehlerhaft­e und gefährlich­e Botschafte­n. „Bilder fungieren als Waffen der Nachgebore­nen im Kampf um die Deutungsho­heit der Geschichte“, sagt Gerhard Paul. Er beklagt einen Umgang mit den Bildern aus der Nazizeit, der zu sorglos, mitunter aber auch skrupellos ist. Wie anders könnte man erklären, dass just die AfD im Jahr 2017 ein Porträt von Sophie Scholl für eines ihrer Plakate benutzte.

Bis hinein in die „Wunderbare­n Jahre“

Gerhard Paul: Bilder einer Diktatur.

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Foto: Imago Images Die Bild-Ikone der Machtübert­ragung: Adolf Hitler reicht als frisch ernannter Reichskanz­ler am 21. März 1933 in Potsdam dem Reichspräs­identen Paul von Hindenburg die Hand.

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