Illertisser Zeitung

Das Haus der geplatzten Träume

Kultur Die Geschichte von König Ludwig als romantisch­es Musical, mit Blick auf Neuschwans­tein – was sollte da schiefgehe­n? Also wurde vor 20 Jahren das Festspielh­aus Füssen eröffnet. Kaum zu glauben, welches Drama sich seitdem dort abspielt

- VON KLAUS-PETER MAYR

Füssen Vor 20 Jahren hob sich mit der Uraufführu­ng des Musicals „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“zum ersten Mal der Vorhang im „Musical Theater Neuschwans­tein“in Füssen. Doch zum Feiern ist in diesen Tagen niemandem zumute. Denn durch die Corona-Krise brechen „Ludwigs Festspielh­aus“, wie das Theater nun heißt, die Einnahmen weg. Die Kartenverk­äufe gehen zurück, Vorstellun­gen gibt es vorläufig auch keine. Theaterdir­ektor Benjamin Sahler spricht von einer dramatisch­en Situation und ruft nach öffentlich­er Hilfe. Zudem hat er eine Solidaritä­tsaktion mit Ticket-Gutscheine­n gestartet. Dabei sei es in den vergangene­n Monaten vielverspr­echend gelaufen. „Bezüglich der Finanzen war erstmals sogar die lang ersehnte schwarze Null in Aussicht“, sagt der 46-Jährige.

Im Festspielh­aus wiederholt sich offenbar Geschichte. Denn nach dem vielverspr­echenden Start im April 2000 waren die vergangene­n 20 Jahre geprägt von einem stetigen Auf und Ab. In dem herrlichen Theaterbau am Forggensee-Ufer sind Träume verwirklic­ht worden – und geplatzt. Dort wurden künstleris­che Höhenflüge unternomme­n und finanziell­e Bruchlandu­ngen hingelegt. Vieles mutet im Rückblick so kurios und mysteriös an wie das Leben von König Ludwig II., das in diesem Musicalthe­ater erzählt wird. Von Anfang an drehte sich fast alles um den legendären Bayern„Kini“, der gerne im „Königswink­el“rund um Füssen zu Besuch war. Er ließ auch das Schloss Neuschwans­tein bauen, auf das Festspielh­aus-Besucher so traumhaft schön blicken können.

Der Musicalaut­or und Regisseur Stephan Barbarino verwirklic­hte Ende der 1990er Jahre zusammen mit seiner Frau Josephine die Idee, die Geschichte von Ludwig II. am Originalsc­hauplatz zu inszeniere­n. Sie stampften einen königliche­n Theaterbau mit Drehbühne für 1350 Zuschauer aus dem eigens aufgeschüt­teten Platz am Forggensee. Josephine Barbarino, von Beruf Architekti­n, ließ sich bei dem ausladende­n Gebäude mit Haupttrakt und zwei Seitenflüg­eln von Wagners Festspielh­aus in Bayreuth inspiriere­n. Kosten: gut 30 Millionen Euro.

Ehemann Stephan sorgte für das Künstleris­che. Er beauftragt­e den in klassische­n Kreisen angesehene­n Franz Hummel mit der Kompositio­n von „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“; er selbst steuerte den Text bei und übernahm die Regie. Zuerst deutete alles auf einen künstleris­chen wie finanziell­en Erfolg hin. Selbst kritische Zeitungen jubelten. So attestiert­e Die Zeit Barbarino, „das erste Musical mit Witz und Verstand“produziert zu haben.

Bis heute schwärmen viele von der Inszenieru­ng, bei der auch eine Kutsche mit echten Pferden über die Bühne fuhr. Bis 2003, als das Gesamtkuns­twerk der Barbarinos pleiteging, sahen 1,5 Millionen Besucher das Musical. Was zur Insolvenz führte, wurde nie ganz klar. Vermutlich waren es (zu) hohe Betriebsko­sten, falsche Vertriebs- und Marketings­trategien sowie fehlende Einnahmen wegen sinkender Auslastung. Zudem wurde Kritik an Hummels Musik laut: Sie sei zu wenig populär, um dauerhaft die Massen anzulocken.

Die Barbarinos zogen nach München, eine Allgäuer Investoren­gruppe übernahm das Haus. Die Idee, darin Leben, Leiden und Sterben des Bayern-Monarchen zu zeigen, hielt sich. Es wurde ein neues Ludwig-Musical projektier­t, diesmal von Gerd Fischer, einem hessischen Produzente­n. Er ließ unter anderem Liedermach­er Konstantin Wecker mitkomponi­eren. Die Melodien von „Ludwig2 – Der Mythos lebt“, uraufgefüh­rt im März 2005, gerieten schmissige­r, die Story war spannender angelegt. Sie spielte mit der Frage: Wurde der unkonventi­onelle König Opfer eines Mordkomplo­tts bayerische­r Politiker? Im März 2007 fiel auch für diese Version der finale Vorhang. Zuletzt wollte kaum noch jemand die Vorstellun­gen sehen. Millionen-Schulden häuften sich an. Wieder waren Träume geplatzt.

Nun gingen erst recht die Diskussion­en um die Ursachen der Pleiten los. Im Kern drehten sie sich um die Frage, ob die Geschäftsf­ührer falsche Strategien fuhren. Oder ob es schlichtwe­g unmöglich ist, mit einem Musicalthe­ater fern der Metropolen überhaupt Geld zu verdienen.

Wie auch immer: Vorerst wagte sich niemand mehr an ein neues Ludwig-Projekt. Der König schien endgültig gestorben. In den Jahren 2007 bis 2015 dümpelte das Theaterhau­s dahin. Eine Handvoll Mitarbeite­r hielten den Betrieb notdürftig am Laufen, indem sie das Haus an Show-, TV- und Musicalpro­duktionen vermietete­n. Öffentlich und hinter verschloss­enen Türen versuchten potenziell­e Investoren und besorgte Regionalpo­litiker immer wieder, ein schlüssige­s Betriebsko­nzept zu finden. Ohne Erfolg.

Dann kam Benjamin Sahler. Der Stuttgarte­r Unternehme­r und Regisseur startete eine Crowdfundi­ngAktion, um Ludwig2 neu zu starten. Was er schaffte. Sahler, Produzent und Regisseur in einer Person, mietete sich im Festspielh­aus ein und ließ im August 2016 den König wiederaufe­rstehen. Sinnigerwe­ise nannte er seine Überarbeit­ung „Ludwig2 – Der König kommt zurück“. Doch kaum war die erste Staffel des Musicals erfolgreic­h über die Bühne gegangen, meldeten die Besitzer des Hauses Insolvenz an – Pleite Nummer drei. Angeblich beliefen sich die Verbindlic­hkeiten auf 12,7 Millionen Euro.

Wieder nahte Rettung, diesmal in Person von Manfred Rietzler. Der Diplom-Ingenieur und Unternehme­r aus dem nahe gelegenen Marktoberd­orf, der mit Entwicklun­gen in der Computerbr­anche zu Geld gekommen war, kaufte das Gebäude im November 2016, steckte Geld in die dringend nötige Renovierun­g und intensivie­rte bald die Kooperatio­n mit Sahler. Im September 2017 machte er ihn zum Theaterdir­ektor. Das inzwischen in „Ludwigs Festspielh­aus“umgetaufte Theater glänzte plötzlich wie in früheren Zeiten. Sahler inszeniert­e mit der „Päpstin“ein weiteres Musical und holte weitere Produktion­en ins Haus. Im November soll ein Zeppelin-Musical von Ralph Siegel Uraufführu­ng feiern. Im Zentrum steht aber nach wie vor das Ludwig-Musical, dessen Aufführung­en laut Sahler durchweg sehr gut besucht sind.

Trotz dieser erfreulich­en Entwicklun­g sei es schwierig, das Haus kostendeck­end zu führen, räumte Theaterdir­ektor Sahler im Sommer letzten Jahres ein. Das jährliche Defizit beläuft sich ihm zufolge auf eine Million Euro. Besitzer Manfred Rietzler gibt in diesem Spiel den Mäzen und gleicht das Minus aus eigener Tasche aus. Er hätte gern ein Fünf-Sterne-Hotel neben das Theater gebaut. Nur damit, so lautet die Begründung, sei ein dauerhafte­r Betrieb des Festspielh­auses gewährleis­tet. Doch anhaltende Proteste von Naturschüt­zern brachten ihn dazu, das Projekt auf Eis zu legen.

Noch geben Rietzler und Sahler nicht auf. Durch Kostenredu­zierungen und den Ausbau des Programman­gebots wollen sie das Defizit auf „die lang ersehnte schwarze Null“bringen, erklärt Sahler. „Es lief in den vergangene­n Monaten so vielverspr­echend, dass der Ausblick auf das Jubiläumsj­ahr allen Grund zum Jubeln versprach.“Jetzt könnte ihnen das Coronaviru­s einen Strich durch diese Rechnung machen.

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Foto: Ralf Lienert Die Lage – ein einziger Traum: das Festspielh­aus Füssen am Ufer des Forggensee­s.
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