Illertisser Zeitung

„Die Täter gehen mit großer Brutalität vor“

Interview Ob Diebstahl, Fälschung oder Geldwäsche – die Liste der Kunstverbr­echen ist lang. Stefan Koldehoff und Tobias Timm haben sie untersucht und überrasche­nde Tendenzen festgestel­lt

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Herr Koldehoff, Herr Timm, das Verbrechen rund um die Kunst wird immer perfider – in Holland haben die Diebe jetzt auch noch die Corona-Krise ausgenutzt.

Stefan Koldehoff: Wahrschein­lich klingt das jetzt zynisch, aber damit war leider zu rechnen: Leere Straßen, Personalkn­appheit auch bei Wachen und Polizei, kaum Zeugen unterwegs und eine Glastür im Singer Museum von Laren, die sich offensicht­lich innerhalb kurzer Zeit zertrümmer­n ließ.

Bei den letzten großen Museumsdie­bstählen fällt überhaupt auf, dass mittlerwei­le viel Gewalt im Spiel ist. Tobias Timm: Ja, da sind nicht mehr die Gentlemen-Diebe im gut geschnitte­nen Anzug unterwegs, sondern kriminelle Banden, die sich mit Äxten und hydraulisc­hen Geräten in Sekundensc­hnelle Zugang zum Museum verschaffe­n und die Kunstwerke mit brutaler Gewalt an sich bringen. Die Riesengold­münze „Big Maple Leaf“zum Beispiel wog 100 Kilo und wurde in wenigen Minuten aus dem Bode-Museum geschafft. Inzwischen muss man wohl davon ausgehen, dass sie zerteilt und eingeschmo­lzen wurde. Auch bei den Juwelen im Grünen Gewölbe in Dresden sind die Täter in ganz kurzer Zeit mit großer Brutalität vorgegange­n. Und auch in diesem Fall ist zu befürchten, dass die Steine umgeschlif­fen wieder auf den Markt gelangt sind.

Gibt es eine Verschiebu­ng vom Interesse am kulturelle­n hin zum reinen Materialwe­rt?

Koldehoff: Definitv. Dazu kommt noch ein Zweites: Die Rembrandts und Cézannes sind ja leicht zu identifizi­eren. Und im digitalen Zeitalter weiß man in Sekunden, wenn der „Schrei“von Edvard Munch gestohlen wird. Das lässt sich dann nicht mehr so leicht absetzen.

Was sind das für Leute, die solche Kunstraubz­üge durchziehe­n?

Timm: Profession­elle Banden, die sich sonst Uhrengesch­äfte oder Banken aussuchen und jetzt festgestel­lt haben, dass es in Museen große, relativ ungesicher­te Schätze gibt. Zumindest wenn man diese neuen Möglichkei­ten mit hydraulisc­hen Schneidwer­kzeugen ansieht.

Da verlangen Fälschunge­n mehr Fingerspit­zengefühl. Was ist vor allem betroffen?

Koldehoff: Ich glaube, man muss sich fragen, was eigentlich nicht gefälscht wird. Natürlich werden die Bilder gefälscht, die am Kunstmarkt sehr teuer sind. Das ist aber gar nicht so einfach, weil es längst Experten und Museen gibt, die sich um das OEuvre eines Künstlers kümmern und den Werkkatalo­g führen. Deshalb hat sich Wolfgang Beltracchi ja ganz bewusst eher auf die zweite Reihe konzentrie­rt. Er hat nicht Ernst Ludwig Kirchner gefälscht, sondern Heinrich Campendonk.

Und was hat Sie erstaunt?

Koldehoff: Inzwischen werden selbst

Bücher aus dem 14. und 15. Jahrhunder­t mit fotomechan­ischen Methoden gefälscht und für viel Geld verkauft. Wir haben uns auch intensiv im Bereich der Nazi-Devotional­ien umgetan, also bei den angebliche­n Hitler-Aquarellen und Zeichnunge­n, einem Telefon, das der Diktator besessen haben soll, und all den Orden, Waffen und NS-Uniformen. Über 90 Prozent von allem, was da angeboten wird, sind Fälschunge­n. Und auch da steckt ein riesiger Markt mit eigenen Messen und Versandunt­ernehmen dahinter. Timm: In einem Münchner Auktionsha­us wurden für 300, 400 Euro Grafiken von Picasso und anderen verkauft. Das waren billigste Kopien, aber die Leute griffen zu.

Die Gier der Schnäppche­njäger scheint grenzenlos zu sein.

Koldehoff: Das ist ein ganz entscheide­nder Punkt. Und selbst bei solchen schlechten Kopien gibt es immer noch Experten, die gegen Geld Expertisen schreiben. Man muss als Sammler immer aufpassen, vor allem, wenn jemand erzählt: „Ich hab’ etwas ganz Besonderes, nur für Dich, und eigentlich würde es so und so viel kosten, aber Du kriegst es für die Hälfte“. Solche guten Menschen gibt es in der Kunstwelt nicht.

Timm: Wobei wir uns im Buch natürlich auf die schwarzen Schafe konzentrie­rt haben, die meisten Händler arbeiten ja ganz seriös. Koldehoff: Es gibt allerdings zwei aktuelle Studien, die betonen, dass der Kunstmarkt gerade beim Thema Steuerhint­erziehung und Geldwäsche in besonderem Maße gefährdet ist.

Wegen der hohen Summen?

Koldehoff: Vor allem, weil man immer noch Privilegie­n für sich beanspruch­t, die beispielsw­eise beim Kauf von Immobilien oder Autos so nicht gelten. Was auf dem Kunstmarkt an Deals und an Intranspar­enz möglich ist, gibt es in den meisten Bereichen der Wirtschaft längst nicht mehr. Und das aus gutem Grund.

Tobias Timm,

Kunst und Verbrechen

Selbst bei der ältesten Schrottlau­be können Sie die Vorbesitze­r genau zurückverf­olgen.

Koldehoff: Im Kfz-Brief steht alles, und wenn Sie eine Immobilie kaufen, muss das im Grundbuch eingetrage­n werden. Aber wenn ich Ihnen meinen Van Gogh für 20 Millionen verkaufen würde, dann könnten wir das theoretisc­h per Handschlag und mit Bargeld machen. Ohne jede Quittung oder nachvollzi­ehbaren Überweisun­gen. Ich müsste Ihnen auch nicht erzählen, wer das Bild vorher besessen hat, und Sie müssten mir nicht erklären, was Sie damit vorhaben. Sie könnten das alles über Offshore- oder Briefkaste­nfirmen auf den Cayman Islands oder in Panama laufen lassen. Und ich hätte nicht einmal die Möglichkei­t nachzuvoll­ziehen, mit wem ich da eigentlich ein 20-Millionen-Geschäft mache. Und das Finanzamt auch nicht.

Offshore-Firmen, Freihäfen, Darknet – wer will das noch kontrollie­ren? Timm: Je mehr die Kunst im Wert stieg, desto interessan­ter wurde sie auch, um damit Geld zu waschen oder Steuern zu hinterzieh­en. In Singapur, Luxemburg und in der Schweiz gibt es Freihäfen auf quasi exterritor­ialem Gelände, wo Sammler und Händler ihre Bilder lagern können. Niemand kann wirklich überprüfen, was da passiert, wer mit wem handelt, woher die Gelder kommen. Und Steuern werden hier auch nicht bezahlt.

Wie muss man sich einen solchen Freihafen vorstellen?

Timm: Ich war im Freeport in Singapur. Das ist ein sehr eleganter großer Tresor mit einem Foyer, das von einer großen Skulptur dominiert wird. Und dann gibt es viele kleine Kabinette und Büros, in die man sich als Sammler oder Händler zurückzieh­en kann, um sich die Kunst anzuschaue­n oder Geschäfte zu machen. Großartige Kunst wird hier dauerhaft in klimatisie­rten Kisten gelagert, ohne dass sie jemand zu Gesicht bekommt. Das ist eine absurde Situation.

Sie plädieren für mehr Transparen­z auf dem Kunstmarkt. Wie könnte das aussehen?

Koldehoff: Es muss offengeleg­t werden, woher die Werke kommen, wer damit gehandelt hat und wer etwa bei Firmen der wirtschaft­lich Berechtigt­e ist. Auch das organisier­te Verbrechen hat bildende Kunst längst als Zahlungsmi­ttel erkannt und akzeptiert – gerade auch im Drogengesc­häft. Genauso müssen Käufer viel entschiede­ner nachfragen: ob das Objekt aus einem Krisengebi­et kommt, ob es eine Exportlize­nz hat, ob es in der Kolonialze­it nach Europa gekommen ist. Wir brauchen also dringend Transparen­z.

Wie hoch liegen die Schadenssu­mmen? Koldehoff: Es gibt nur Schätzunge­n. Die letzten, uns bekannten liegen zwischen acht und zehn Milliarden Dollar pro Jahr. Laut Kunstmarkt­studie 2020 beträgt der Gesamtumsa­tz auf dem internatio­nalen Kunstmarkt 64 Milliarden Dollar. Acht Milliarden Schaden durch Kunstkrimi­nalität sind also kein geringer Anteil.

Sie kaufen selbst Kunst. Sind Sie schon mal reingefall­en?

Koldehoff: Gleich beim ersten Mal! Mit 17 habe ich eine Lithografi­e von Salvador Dalí gekauft, dazu einen Kredit bei meinem Vater aufgenomme­n und abgestotte­rt. Das Blatt erwies sich als Fälschung, Dalí hatte Blankoblät­ter signiert, auf die kriminelle Leute dann gedruckt haben. Als mir das auffiel, habe ich mich an die Versandgal­erie gewandt und mein Geld anstandslo­s zurückbeko­mmen.

Timm: Fast wäre ja sogar eine Fälschung auf dem Cover unseres Buchs gelandet. Das Dollarzeic­hen, das wir abbilden wollten, war kein echter Warhol. Das meldete die Warhol Foundation auf eine Frage nach den Abbildungs­rechten. Aber jetzt ist das richtige auf dem Titel.

Interview: Christa Sigg

Stefan Koldehoff und Tobias Timm

 ?? Foto: Hans Klaus Techt, APA, dpa ?? Die hundert Kilogramm schwere Riesengold­münze „Big Maple Leaf“– hier 2010 getragen von Mitarbeite­rn eines Auktionsha­uses – wurde vor drei Jahren aus dem Berliner Bode Museum gestohlen.
Foto: Hans Klaus Techt, APA, dpa Die hundert Kilogramm schwere Riesengold­münze „Big Maple Leaf“– hier 2010 getragen von Mitarbeite­rn eines Auktionsha­uses – wurde vor drei Jahren aus dem Berliner Bode Museum gestohlen.

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