Illertisser Zeitung

Einsamer Rufer

Corona und wir Unser Autor tippt, zoomt, konferiert auf allen Kanälen – und vermisst doch diese simplere Zeit, als Geschichte­n einfach per Zuruf entstanden

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Am meisten fehlt: der „Küchenzuru­f“. Den haben wir von Stern-Legende Henri Nannen gelernt, der Begriff ist überholt, auch ein bisschen sexistisch, weil Macho Nannen natürlich annahm, dass der Mann am Esstisch thront, die Frau in der Küche werkelt und er ihr eine spannende Geschichte zuruft. Aber den „Bürozuruf“gibt es noch: „Hast du das gesehen, die Geschichte?“Als Chefredakt­eur ruft man gerade viel, doch in der Redaktion ist halt kaum einer, und ist man im Homeoffice, ruft höchstens die beste Partnerin von allen zurück: „Ruf doch woanders.“

Also muss man „schalten, schalten, schalten“, „Life Size“heißt der neue Videoschal­ten-Freund, dann ploppen sie auf, all die Köpfe, bis zu 200 passen ins Bild, 16 Außenredak­tionen, Korrespond­enten, und wo, herrje, steckt denn nun Berlin?

Und man muss „tippen, tippen, tippen“, im Kurznachri­chtendiens­t Slack, dabei fieberhaft überlegend, was die ganzen bunten Slack-Symbole bedeuten. Ist im Urlaub, wer als „Status“eine Palme hat, und der mit dem „Krank“-Zeichen, hat der nun eine Grippe oder doch etwa Corona?? Man „slackt“, noch so ein neues Wort, aber das Gequatsche auf dem Flur fehlt trotzdem, in dem oft eine Idee stirbt, doch zehn andere entstehen. Den anderen fehlt das offenbar auch, weswegen sich viele melden, weil sie einfach mal sagen wollten, dass sie noch leben, und andere rufen an, um endlich richtig ausführlic­h zu besprechen, wie wir in Zukunft als Menschen leben wollten und sollten, so nach Corona.

Andere möchten nur etwas lästern, eine andere gute journalist­ische Tugend, etwa warum die eine Kollegin in der Videoschal­te scheinbar in einem Plattenlad­en steht („Die kann die doch nicht alle gesammelt haben?“), weshalb der Berliner Büroleiter während der Konferenz mit einem Teppichmes­ser spielt und ob das als subtile Drohung zu verstehen sei, der wirke ja schon länger etwas übellaunig. Dann meldet sich noch der München-Korrespond­ent, immer zehnmal müsse er es derzeit versuchen, da habe er ja den Söder schneller an der Strippe, und den Papst sowieso, und weil der Herr ein ausgezeich­neter Korrespond­ent ist, glaubt man ihm das sofort – merkt aber an den betretenen Reaktionen, dass man hinzufügen sollte, so gute Kontakte natürlich auch allen anderen zuzutrauen...

Ein Chefredakt­eur ist in diesen Tagen immer auch Beichtvate­r – was wörtlich zu verstehen ist, denn jeden Moment kann die Zuschrift einer betagten Leserin kommen, sie wisse nicht mehr, wohin mit all ihren Sünden, die Beichtstüh­le seien ja auch zu. Am Ende des Tages ist man vor allem reif für die Couch, selbst wenn die im Homeoffice den ganzen Tag ganz nahe war. Aber Alkohol, wenigstens das, ist direkt greifbar, auf Küchenzuru­f sozusagen.

An dieser Stelle berichten wir vom Redaktions­alltag in Corona-Zeiten.

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wenig gehört.
Gregor Peter Schmitz ist Chefredakt­eur. Er ruft in diesen Tagen wirklich sehr viel, wird aber eher wenig gehört.

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