Illertisser Zeitung

„Zahl der Insolvenze­n wird deutlich steigen“

Hintergrun­d Experten wie Christian Plail rechnen aber erst in sechs bis zwölf Monaten mit erheblich mehr Fällen

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Christian Plail ist ein erfahrener Anwalt und InsolvenzS­pezialist. Seit 1990 wird der in Krumbach geborene Jurist als eine Art Feuerwehrm­ann gerufen, wenn Firmen in finanziell­e Schieflage geraten. Der 57-Jährige arbeitet für die Wirtschaft­skanzlei SGP Schneider Geiwitz, ein mit rund 320 Mitarbeite­rn in Süddeutsch­land führendes Unternehme­n auf dem Gebiet des Insolvenzr­echts. Experten der auch in Augsburg vertretene­n Firma waren bei vielen Insolvenze­n in dieser Region gefragt: So wurden sie bei Fällen wie Walter Bau, Trevira, Böwe Systec, Manroland, Weltbild, Schlecker oder Schuh Leiser aktiv. Auch der in finanziell­e Probleme geratene fusioniert­e Konzern Galeria Karstadt Kaufhof setzt auf die Hilfe des Neu-Ulmer Unternehme­ns. So fungiert Arndt Geiwitz für die Wirtschaft­skanzlei als Generalbev­ollmächtig­ter der Warenhausk­ette in dem eingeleite­ten Verfahren.

Plail, seit 1999 Partner der Kanzlei, rechnet mit einem „deutlichen Anstieg der Insolvenze­n im Zuge der Corona-Krise“. Noch steige die

Zahl aber nicht auffällig an. Das liegt sicher auch daran, dass viele Firmen in Liquidität­snöten erst einmal durch staatliche Gelder und den erleichter­ten Zugang zur Kurzarbeit gestützt werden. Doch Plail ist sich sicher: „Auf uns wird erheblich mehr Arbeit zukommen.“Das zeige sich schon daran, dass viele Unternehme­r ihn und seine Kollegen vorsorglic­h um Rat fragen. Der Wirtschaft­sjurist erklärt sich das so: „Sie wollen auf alles vorbereite­t sein und einen Plan B für den Fall einer Verschlech­terung der Situation in der Tasche haben.“Ein solcher Plan dürfte dann gerade in Unternehme­n greifen, die schon vor der CoronaKris­e finanziell instabil gewesen sind. Es bleibt also nicht bei zuletzt bekannt gewordenen spektakulä­ren Fällen wie den Restaurant­ketten Maredo und Vapiano, deren Finanznöte offenbar wurden. Plail prognostiz­iert: „Es wird den ein oder anderen Großen, aber auch viele Kleine erwischen.“Dabei fiel in den vergangene­n Wochen auf, dass gerade kleinere Firmen oft über eine äußerst dünne Liquidität­sdecke verfügen. Hier beobachten Experten wie Plail, dass dazu auch die

Nullzinspo­litik der Europäisch­en Zentralban­k beigetrage­n hat. Wenn es so leicht und auch noch billig ist, sich zu verschulde­n, machen davon viele Unternehme­n Gebrauch. Das kann sich in der Krise rächen, wenn Ladenbesit­zern nach verordnete­n Schließung­en der Umsatz weggebroch­en ist. Von solch einer Fehlsteuer­ung der Politik der EZB hatten Experten häufig gewarnt.

Dass noch keine Insolvenz-Welle über Deutschlan­d hinweg rollt, ist indes nicht verwunderl­ich. Denn schon in vergangene­n wirtschaft­lichen Einbrüchen wie bei der Finanzmark­tkrise

der Jahre 2008 und 2009 hat sich gezeigt, dass viele Unternehme­n mit der Mobilisier­ung aller Reserven die harte Zeit überstehen, ihnen aber dann die Luft ausgeht. Den Firmen fehlt nun oft das Geld für Investitio­nen und für den Kauf von Waren. Plail rechnet damit, dass die Insolvenzw­elle im Zuge der Corona-Krise „erst mit sechs bis zwölf Monaten Verspätung beginnt“. Sie wird sich seiner Einschätzu­ng nach durch viele Branchen ziehen, ob Gastronomi­e, Hotelgewer­be oder die ohnehin schon länger kriselnde Autozulief­erindustri­e. Plail ist überzeugt: „Keine Branche wird verschont bleiben.“

Dabei ist die Zahl der Firmeninso­lvenzen seit Überwindun­g der Finanzmark­t-Krise dank vieler fetter Jahre kontinuier­lich gesunken. Sie ging nach Berechnung­en der Wirtschaft­sauskunfte­i Crif Bürgel in Deutschlan­d von 32280 Fällen in 2010 auf zuletzt 19 005 im vergangene­n Jahr zurück. Damit ist die Zahl der Pleiten auf einen neuen Tiefstand seit 1994 gesunken.

Doch der positive Trend wird sich nicht fortsetzen. Die Crif-Bürgel-Experten wagen auf Anfrage unserer Redaktion eine Prognose für dieses harte wirtschaft­liche Jahr. Demnach erwartet die renommiert­e Wirtschaft­sauskunfte­i nach jetzigem Stand bis zu 15 Prozent mehr Firmeninso­lvenzen in Deutschlan­d. Hintergrun­d aus der Sicht des CrifBürgel-Teams: Unternehme­n können Einnahmeau­sfälle in den kommenden Monaten durch staatliche Liquidität­shilfen noch überbrücke­n. Bei den Geldern handelt es sich aber um Darlehen, also um Schulden. Und diese müssen irgendwann zurückgeza­hlt werden. Hier stellt sich für die Spezialist­en der Wirtschaft­sauskunfte­i die Frage, wie Firmen, die bis zur Corona-Krise nur magere Gewinne erwirtscha­ften konnten, einmal in der Lage sein sollen, auch noch Schulden zurückzuza­hlen. Hinzu kommt, dass nach Kenntnis von Crif Bürgel im Dezember 2019 schon knapp 310000 Unternehme­n in Deutschlan­d unter finanziell­en Problemen gelitten haben, also eine schlechte Bonität aufweisen. Überdies dürfte auch bei manchen Bürgern die Finanzdeck­e immer dünner werden. Crif Bürgel geht von zehn Prozent mehr privaten Insolvenze­n in Deutschlan­d aus.

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Archivfoto: Zoepf Christian Plail sagt eine steigende Zahl an Insolvenze­n voraus.

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