Das Virus als Aufputschmittel
USA Offiziell hat Präsident Donald Trump den Gouverneuren der Bundesstaaten die Verantwortung für Corona-Maßnahmen übertragen. Tatsächlich setzt er sie per Twitter unter Druck. Und befeuert den ultrarechten Aufruhr auf der Straße
Washington Teils schwer bewaffnet zogen sie vor das Kapitol in Michigans Hauptstadt Lansing und forderten die Festnahme von Gouverneurin Gretchen Whitmer. „Befreit Minnesota“skandierten sie vor dem Amtssitz von Gouverneur Tim Walz in St. Paul. Vor dem Parlamentsgebäude der texanischen Hauptstadt Austin versammelten sich Hunderte, während der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker Alex Jones in einem schwarzen Panzerwagen vorfuhr. „Fire Fauci!“, verlangten sie die Entlassung des Top-Virologen Anthony Fauci. Es sind befremdliche Szenen, die sich derzeit in den Hauptstädten vieler US-Bundesstaaten abspielen.
Formal nehmen dort Bürger ihr Demonstrationsrecht wahr, um gegen ihrer Meinung nach überzogene Auflagen des Staates bei der Eindämmung des Coronavirus zu protestieren. Doch dabei verstößt die Ansammlung von ultrarechten Trump-Fans, Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern nicht nur gegen Ausgehbeschränkungen und Abstandsgebote. Ihr teilweise martialisches Auftreten nährt auch Sorgen vor einer gewalttätigen Eskalation des Konflikts.
Befeuert wird der Aufruhr von keinem Geringeren als Präsident Donald Trump selbst: „Befreit Michigan!“„Befreit Minnesota“und „Befreit Virginia“– so hatte er am Freitag getwittert. Bei einer Pressekonferenz nannte er die dortigen Auflagen „zu hart“. Die Demons
lobte er als „sehr vernünftige Menschen“. Kein Wunder: „Sie scheinen mich zu mögen.“Damit kehrt Trump zu der Taktik zurück, die ihm 2016 den Wahlsieg bescherte: Er spaltet das Land, mobilisiert seine Basis und überhöht die Corona-Krise, die in den USA bislang rund 40000 Menschen das Leben gekostet hat, zum Kulturkampf.
Nachdem er erst in Aussicht gestellt hatte, die Einschränkungen für Privatleute und Wirtschaft schon zu Ostern aufzuheben, ruderte er zurück. Am Donnerstag verkündete er einen Drei-Stufen-Plan – nicht ohne Inszenierung: „Das ist die mit Abstand größte Entscheidung meines Lebens“, sagte Trump. Als Präsibesitze er die „absolute Macht“, das Land trotz CoronaKrise wieder zu öffnen: „Unsere Wirtschaft wird größer, besser und stärker als zuvor sein.“Tatsächlich bestand der Drei-Stufen-Plan aus einer 18-seitigen Folien-Präsentation. Von einem konkreten Zeitplan sind die Kriterien zur stufenweisen Aufhebung der Restriktionen in drei Phasen weit entfernt. Und bindend sind sie auch nicht: „Sie bestimmen, was geschieht!“, sagte der Präsident in einer Telefonkonferenz an die Adresse der Gouverneure – und delegierte damit die Verantwortung.
Damit dürften Ausgangsbeschränkungen, Geschäftsöffnungen und Reiseregelungen in den 50 Buntranten desstaaten noch weiter auseinanderfallen. Einige hätten „einen phänomenalen Job“gemacht, sagte Trump und bezog sich auf Flächenstaaten wie Montana, North Dakota und Wyoming, die jeweils weniger als 500 bekannte Covid-19-Fälle und nur einstellige Toten-Zahlen zu beklagen haben. Andere Staaten seien „nicht so gut in Form“– ein Seitenhieb gegen New York mit mehr als 220000 Infizierten und 16000 Toten. Allerdings sind die von Trump gelobten Gebiete dünn besiedelt und haben kaum getestet.
Und Trump setzte die Gouverneure mit seinen Tweets unter Druck. „Das ist illegal und gefährlich“, protestierte Jay Inslee, der dedent mokratische Gouverneur von Washington: „Er bringt Millionen Menschen in Gefahr, an Covid-19 zu erkranken.“Trumps Tiraden könnten zu Gewaltausbrüchen führen, warnte Inslee. Das kümmert den Präsidenten und seine Basis nicht.
Das „Conservative Action Project“aus dem Umfeld der ehemaligen Tea-Party fordert von Trumps Justizminister vielmehr, gegen die als „kleingeistige Möchtegern-Diktatoren“verunglimpften Gouverneure vorzugehen. Nach Medienberichten werden die Demonstranten auch von republikanischen Großspendern unterstützt. Vor allem aber heizt Fox News den Konflikt an. „Ihre Modelle sind außer Kontrolle!“, wetterte Talk-Show-Moderatorin Jeanine Pirro am Wochenende: „Wir lassen nicht unser Land zerstören!“Ihre Kollegin Laura Ingraham twitterte: „Wie viele von denen, die die Regierung gedrängt haben, die Iraker, die Syrer, die Kurden oder die Afghanen zu befreien, engagieren sich nun, um Virginia, Minnesota und Kalifornien zu befreien?“Trumps Attacken gegen die demokratischen Gouverneure von Michigan, Minnesota und Virginia kommen nicht von ungefähr. Diese drei Swing-States sind politisch für seine Wiederwahl wichtig. Zugleich ist Michigan eines der Epizentren der Pandemie. Gouverneurin Whitmer hat klargemacht, dass sie die strengen Beschränkungen vorerst nicht lockern will. „Besser sechs Fuß auseinander als sechs Fuß unter der Erde.“Die politische Kontroverse wird also weitergehen.