Illertisser Zeitung

Die Gedanken gehen zur Kriegsgene­ration

Corona und wir Die Pandemie stellt unser Leben auf den Kopf. Für viele Ältere ist das ein weiterer tiefer Einschnitt in ihrem Leben. Manchmal hilft dabei die Selbstiron­ie

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„Merkwürdig Zeiten“: Davon sprechen derzeit sehr viele. Geradezu ein Spiegelbil­d dieser „merkwürdig­en Zeiten“– das ist auch eine Zeitungsse­ite, die vor einigen Tagen in unserer Ausgabe in Krumbach erschienen ist. Oben der Bericht über eine 37-jährige Frau, die chronisch lungenkran­k ist, jetzt gehört sie zur sogenannte­n „Hochrisiko­gruppe“. Unten eine Todesanzei­ge. Ein Krumbacher gestorben, 84 Jahre alt. Dann heißt es: „Die Beerdigung findet aus aktuellem Anlass im engsten Familienkr­eis statt.“Der „aktuelle Anlass“– das ist unser gegenwärti­ger Alltag. Dieser Alltag lässt auf eine mitunter bizarre Weise selbst der Trauer nur noch wenig Raum. Der 84-jährige Krumbacher stammte aus dem Sudetenlan­d, er verlor 1945 seine Heimat. Während er nach Schwaben kam, verschlug es seine Familie in die sowjetisch­e Besatzungs­zone,

hinter den „Eisernen Vorhang“. Unter geradezu abenteuerl­ichen Umständen gelang es dem damals jungen Mann, seine Familie in den Westen zu bringen. Diese Geschichte hat er uns erzählt, er war einer der „Zeitzeugen“, mit dem ich immer wieder über die Kriegs- und Nachkriegs­zeit gesprochen habe. Jetzt, in diesen Apriltagen, richten sich die Blicke vieler Redaktione­n wieder auf die Geschehnis­se im Jahr 1945. 75 Jahre ist das jetzt schon her. Kein Zweifel, bei Rückblicke­n dieser Art schlich sich in den letzten Jahren irgendwie bisweilen auch eine Art redaktione­lle Routine ein. Das ist diesmal ganz anders. So mancher „Zeitzeuge“, der die tief greifenden Umbrüche der Kriegsund Nachkriegs­zeit erlebt hat, wird jetzt noch einmal von einer Weltkrise geradezu eingeholt. Viele der noch Lebenden, oft über 90 Jahre alt, tun sich schwer, all das einzuordne­n. Aber viele der von uns Befragten leben nicht mehr. Immer wieder erinnere ich mich in diesen Tagen auch an einen Krumbacher Künstler, der aus Magdeburg stammte. 1939 war er bei den ersten Soldaten dabei, die in den Krieg mussten. Er überlebte sechs Jahre Krieg (die meiste Zeit an der Ostfront) und vier Jahre sowjetisch­e Gefangensc­haft.

Als er nach Magdeburg zurückkehr­te, waren seine Eltern nicht mehr am Leben. Er floh in den Westen, kam irgendwann nach Krumbach, arbeitete als Designer und Kunstlehre­r. Wenn er über all das erzählte, dann geschah dies meist in einer geradezu nüchternen Distanz gegenüber sich selbst. Mitunter auch begleitet von einer humorvolle­n und gleicherma­ßen beeindruck­enden Selbstiron­ie.

Ja, die Selbstiron­ie. Ich spüre, dass mir die viel gelobte Selbstiron­ie gerade gar nicht so leicht fällt. Aber jetzt steht wieder der Rückblick an auf die Zeit vor 75 Jahren. Und da ist auch der Vorsatz, es mit der Selbstiron­ie doch öfter zu versuchen.

An dieser Stelle berichten täglich Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Alltag in Zeiten von Corona.

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ist Leiter der Lokalredak­tion in Krumbach.

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