Illertisser Zeitung

Der Frieden wird brüchig

Hintergrun­d Bundeskanz­lerin Merkel nutzt ihre Regierungs­erklärung für klare Warnungen. Doch im Parlament wird der Widerspruc­h immer lauter. Profitiert davon Armin Laschet?

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Kanzlerin hat wegen der langen Sitzung des Koalitions­ausschusse­s nur wenig Schlaf bekommen. Als die CDU-Politikeri­n am Donnerstag um kurz nach neun ans frisch desinfizie­rte Rednerpult des Bundestags-Plenarsaal­s tritt, wirkt sie müde und vom Corona-Kampfgeist der vergangene­n Tage ist nicht viel zu spüren. Für eine Ruck-Rede fehlt Merkel die Kraft, was nur zum geringsten Teil an der hinter ihr liegenden Nachtsitzu­ng lag. Die Kanzlerin verspürt nach der anfänglich­en Euphorie über eine zunächst erfolgreic­he Strategie gegen die Epidemie nun immer heftigeren Druck von Kritikern, die eine Lockerung der strikten Regeln fordern. Der Ton im Parlament hat sich spürbar verändert.

Bereits am Mittwoch vor der Sitzung des Koalitions­ausschusse­s schwirrten die Alarm-SMS herum. Besorgte Abgeordnet­e berichtete­n dem Kanzleramt von Anrufen verängstig­ter Wähler, die sich durch die Corona-Maßnahmen zunehmend ins Abseits gedrängt fühlen. Besonders Gastronomi­e und Tourismusw­irtschaft treten ihren Parlamenta­riern gerade heftig auf die Füße, unterstütz­t werden sie von den Bürgermeis­tern und Landräten vor Ort. Existenzen stehen auf dem Spiel, Saisonkräf­te auf der Straße. Kaum jemand hat Verständni­s dafür, dass Restaurant­s und Kneipen noch wochenlang geschlosse­n bleiben müssen, während andere Branchen bereits wieder Kasse machen.

Der Druck auf Merkel ist auch deshalb groß, weil sich die Abgeordnet­en auf die Kandidaten­aufstellun­g zubewegen, die etwa ein Jahr vor der Bundestags­wahl beginnt. Über die Nominierun­g entscheide­t die Basis vor Ort, nicht die Parteispit­ze. Und in den Wahlkreise­n sei Merkels Vorgehen immer schwerer vermittelb­ar, erzählen Parlamenta­rier, bei denen sich zur Sorge um Corona nun die Furcht vor einem schlechten Listenplat­z gesellt.

Mit der Sitzung des Koalitions­ausschusse­s am Mittwochab­end hatten viele Abgeordnet­e die Hoffnung verbunden, dass es mehr Licht am Ende des Corona-Tunnels geben würde. Doch statt eines Fahrplans sei „wieder die Geld-Gießkanne“herausgeho­lt worden, lästerte ein Unionspoli­tiker. In der Tat schafften es die Koalitionä­re nicht, sich auf Lockerunge­n etwa für Wirte oder Hoteliers zu verständig­en. Die auf ein Jahr befristete Senkung der Mehrwertst­euer für Speisen in der Gastronomi­e auf sieben Prozent war der kleinste gemeinsame Nenner.

Eine Exit-Strategie liefert Merkel auch in ihrer Regierungs­erklärung nicht. Ja, die Zahlen seien rückläufig, erklärt die CDU-Politikeri­n. Gerade weil das Hoffnungen wecke, trete sie als Mahnerin auf. „Wir werden noch lange mit diesem Virus leben müssen“, sagt Merkel und fordert weiter Disziplin ein: „Bleiben wir alle klug und vorsichtig.“

Der Kanzlerin wird schnell die alte Regel vor Augen geführt, dass ein politische­s Vakuum sofort von jemand anderem besetzt wird. Den Part des Hoffnungsm­achers übernimmt zum einen ausgerechn­et AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland. Er kritisiert eine Bevormundu­ng der Bürger und mahnt plakativ, die Folgen der Maßnahmen gegen Corona dürften nicht schlimmer sein als das Virus selbst. Gauland befeuert damit die Furcht bei den anderen Parteien, dass Populisten die Pandemie für ihre Zwecke ausnutzen könnten.

FDP-Chef Christian Lindner kündigt gar den Stillhalte­pakt der letzten Wochen auf. Heute ende die „große Einmütigke­it in der Frage des Krisenmana­gements“, lautet die Kampfansag­e des Fraktionsv­orsitzende­n, der mit Merkel hart ins Gericht geht. Vier Wochen zuvor hatte seine Fraktion Rettungspa­keten und Neuverschu­ldung noch zugestimmt. Nun muss sich die Kanzlerin kopfschütt­elnd den Vorwurf anhören, sie erwecke den Eindruck, dass jeder fahrlässig handele, der sich nicht an ihre Empfehlung­en halte. Den Bürgern könne wieder mehr Freiheit zurückgege­ben werden, findet Lindner. Quarantäne und Isolation seien „Mittel des Mittelalte­rs“. Wo blieben moderne Apps? Man müsse im Parlament jetzt darüber sprechen, „wie wir Gesundheit und Freiheit besser vereinbare­n als in den letzten Wochen. Es ist möglich“, sagt Lindner, dessen Äußerungen in der Union insgeheim auf Beifall stoßen dürften.

Doch auch zwischen den GroKoPartn­ern werden Haarrisse sichtbar. So regt sich SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich darüber auf, dass in dieser Woche im Plenum nicht auch über die Grundrente debattiert werde. Und er ärgert sich über „manche altmodisch­e Diskussion“über Steuersenk­ungen. „Die Menschen stellen sich zurzeit überhaupt nicht die Frage, können sie vielleicht mit einer kleineren Einkommens­teuer besser über die Runden kommen. Sondern die fragen: Habe ich noch Arbeit, um überhaupt noch Einkommens­teuer zahlen zu können.“

Und auch in der CDU wächst angesichts des strikten Kurses der Kanzlerin die Fangemeind­e von Armin Laschet. Dessen Aussage, er vertraue am Ende immer noch seinem politische­n Sachversta­nd und nicht den Aussagen von Wissenscha­ftlern, hat Begeisteru­ng ausgelöst. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident wächst zum Anführer einer Bewegung heran, die sich für mehr Lockerunge­n starkmacht. Eine Schar, die nach Merkels erneuter Kritik an den Ländern weiter gewachsen sein dürfte.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Angela Merkel erhält von den Wählern großen Zuspruch, im Parlament aber wächst der Widerspruc­h.
 ?? NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet über die
politische Verantwort­ung in der Corona-Krise. ??
NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet über die politische Verantwort­ung in der Corona-Krise.

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