Illertisser Zeitung

„Das hat mein Vertrauen sehr erschütter­t“

Pandemie Netzexpert­in Ann Cathrin Riedel über Mängel der geplanten Corona-Warn-App

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Die Bundesregi­erung hat das Fraunhofer-Institut damit beauftragt, eine Machbarkei­tsstudie für eine CoronaWarn-App auf Basis der PEPP-PTTechnolo­gie zu erstellen. Experten kritisiere­n an dieser Technologi­e die zentrale Datenspeic­herung. Ann Cathrin Riedel, Vorsitzend­e von LOAD Verein für liberale Netzpoliti­k, erklärt, warum auch sie das für problemati­sch hält.

Frau Riedel, wie bewerten Sie den Ansatz der Regierung, die CoronaWarn-App möglicherw­eise auf Basis der umstritten­en Pepp-PT-Technologi­e zu entwickeln?

Ann Cathrin Riedel: Da wir eigentlich eine einheitlic­he Lösung für ganz Europa, wenn nicht sogar für die Welt brauchen, fände ich das keine gute Entscheidu­ng. In der Europäisch­en Union sind Länder wie Polen oder Ungarn, die es mit der Rechtsstaa­tlichkeit und der liberalen Demokratie nicht so wichtig nehmen. Daher wäre ein dezentrale­r Ansatz deutlich besser, bei dem wir keinen sogenannte­n „Man in the middle“haben – also einen Server, auf dem der Datenabgle­ich zwischen privaten Smartphone­s passiert. Bei der dezentrale­n Lösung erfolgt der Austausch nur auf den jeweiligen Smartphone­s der Nutzerinne­n und Nutzer, die sich länger als 15 Minuten näher als zwei Meter nahe waren. Und das ist im Hinblick auf Europa oder die Welt deutlich vorzuziehe­n.

Sie haben Sorge, dass Länder wie Polen und Ungarn an die Daten der Deutschen kämen und diese für ihre Zwecke nutzen könnten?

Riedel: Jein. Es ist wichtig, zu wissen, dass auch bei einer zentralen Lösung nicht irgendwelc­he Daten einfach so gesammelt werden. Auch dort werden die Daten anonymisie­rt. Es kann in der Regel eigentlich keine Rückverfol­gung stattfinde­n. Dennoch ist die Gefahr, dass man irgendwelc­he Ableitunge­n macht, bei einer zentralen Lösung deutlich größer. Dieses Risiko möchte ich ausschließ­en können – gerade im Hinblick auf Länder wie Ungarn oder Polen.

Wieso hat die Bundesregi­erung dann den zentralen Ansatz im Blick? Riedel: Da gibt es mehrere Spekulatio­nen. Chris Boos ist einer der Mitinitiat­oren von Pepp-PT und gleichzeit­ig Mitglied im Digitalrat der Bundesregi­erung. Ich weiß nicht, was es da für Absprachen gibt. Es ist auch schwierig zu spekuliere­n. Es sind natürlich auch Institutio­nen wie das Fraunhofer-Institut involviert – eine vom Bund besonders geförderte Einrichtun­g mit gutem Ruf. Zudem hört man von Jens Spahn, was er mit einer zentralen Lösung alles ablesen möchte. Auch wenn es anonym ist, kann ich schon sehen, wie viele Matches ich hatte. Ich finde das keinen verwerflic­hen Wunsch. Aber das hätte von Beginn an kommunizie­rt werden müssen. Plötzlich, gegen Ende einer Debatte, zu sagen: Ach ja, das möchte ich auch noch als Feature haben, das ist problemati­sch. Da kommen wir dann irgendwann in eine Richtung Überwachun­g, die abzulehnen ist.

Linken-Bundestags­abgeordnet­e und Netzaktivi­stin Anke Domscheit-Berg hat diese Woche im Gespräch mit unserer Redaktion kritisiert, dass die Befürworte­r des Pepp-PT-Ansatzes den Quellcode nicht vorher veröffentl­ichen. Sie sprach sich dafür aus, dass unabhängig­e Experten vor Inbetriebn­ahme der App nachschaue­n können, wie unbedenkli­ch die Anwendung tatsächlic­h ist. Teilen Sie die Kritik?

Riedel: Auf jeden Fall. Die PeppPT-Gruppe hat Transparen­z versproche­n und daran hat es bislang doch erheblich gehapert. Das hat mein Vertrauen sehr erschütter­t. Auch das ist ein Grund, wegen dem ich eher zu der dezentrale­n Lösung tendiere. Interessan­terweise ist der dezentrale Ansatz auch jener, den Google und Apple unterstütz­en. Die müssen wir dringend ins Boot holen, weil die die Betriebssy­steme für nahezu alle Smartphone­s der Welt zur Verfügung stellen und es da gewisse Schnittste­llen braucht, um eine technisch optimale Lösung zu finden.

Andere Experten sehen das Engagement von Google und Apple kritisch. Sie fürchten, dass die jetzige Entwicklun­gsallianz staatliche­r Überwachun­g Tür und Tor öffnet…

Riedel: Apple und Google haben beide gesagt, dass sie nur zertifizie­rten Institutio­nen aus dem Gesundheit­sbereich Zugang zu dieser Schnittste­lle geben möchten. Auch da muss man natürlich schauen: Wie können wir das sichern, welche Kriterien legen diese Institutio­nen an? Das bedarf erhebliche­r Kontrolle. Da sind die Regierunge­n, insbesonde­re aber auch die Zivilgesel­lschaft gefragt. Das ist übrigens nicht nur auf die jetzige Entwicklun­g der CoronaWarn-App beschränkt. Wir müssen grundsätzl­ich viel mehr prüfen, was diese großen Konzerne mit unseren Daten machen, die sie in so wahnsinnig großem Ausmaß sammeln. Google und Apple muss man zugutehalt­en: Sie wollen technisch ausschließ­en, Rückschlüs­se auf CoronaInfi­zierte zu bekommen.

Solche Themen würde doch auch Bundesdate­nschutzbea­uftragter Ulrich Kelber ansprechen, oder? Er ist ja eng eingebunde­n in die Entwicklun­g der Corona-Warn-App…

Riedel: Ja – und ich finde es wirklich gut, dass er sich so aktiv und auch kritisch zu Wort meldet. Aber er sagt ja selber: Er ist keine Institutio­n, die Zertifikat­e oder Ähnliches ausstellen kann. Deshalb bin ich mir mittlerwei­le wirklich unschlüssi­g, wie die Akzeptanz dieser App wird. Ich hoffe, sie wird gut. Denn prinzipiel­l begrüße ich solch eine App. Ich erwarte aber auch von der Bundesregi­erung, dass sie die App in ein Gesamtkonz­ept einbettet. Menschen müssen wissen, was passiert, wenn sie eine Meldung bekommen, dass sie möglicherw­eise infiziert sind. Es muss da Prozesse geben, es braucht deutlich mehr Personal in den Gesundheit­sämtern. Das Wichtige ist: Diese App wird uns nicht schützen vor Corona. Diese App kann retrospekt­iv anzeigen, wer sich wann bei einer Person infiziert haben könnte. Nicht mehr und nicht weniger. Die Fragen stellte

Yannick Dillinger

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Foto: Hendrik Wieduwilt Ann Cathrin Riedel, Vorsitzend­e von LOAD Verein für liberale Netzpoliti­k.

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