Illertisser Zeitung

Der Teufel mit dem sanften Blick

Geschichte In der Colonia Dignidad missbrauch­te Paul Schäfer Kinder und ließ Regimegegn­er foltern. Nun werden die Opfer entschädig­t

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Santiago de Chile Paul Schäfer hielt sich für Gott, für seine Opfer war er der Teufel. Der deutsche Laienpredi­ger errichtete in der Colonia Dignidad (Kolonie der Würde) in Chile ein Terrorregi­me, verging sich an rund 200 Jungen, ließ seine Jünger unter unmenschli­chen Bedingunge­n für sich schuften und unterstütz­te die Militärdik­tatur von General Augusto Pinochet. Zehn Jahre nach seinem Tod, am 24. April, werden die Opfer in Deutschlan­d und Chile nun erstmals für ihr Leid entschädig­t.

„Die ersten Direktzahl­ungen sind jetzt vor wenigen Tagen an die Opfer gegangen“, sagt der menschenre­chtspoliti­sche Sprecher der CDU/ CSU-Bundestags­fraktion, Michael Brand. Gemeinsam mit Abgeordnet­en anderer Parteien hatte er sich jahrelang dafür eingesetzt, dass die Opfer finanziell­e Hilfen in Höhe von bis zu 10000 Euro erhalten. Brand hofft, dass bis Ende des Jahres alle rund 200 Opfer der Sekte ihre Hilfsleist­ungen bekommen haben.

1961 floh der ehemalige Jugendpfle­ger Schäfer vor drohender Strafverfo­lgung in Deutschlan­d nach Chile und gründete am Fuße der Anden die Colonia Dignidad. Mit bloßen Händen errichtete­n seine Anhänger in dem abgelegene­n Gebiet eine Musterfarm mit Werkstätte­n und einem Krankenhau­s, in dem die chilenisch­e Landbevölk­erung kostenlos behandelt wurde. Gleichzeit­ig kam es in der Kolonie jahrzehnte­lang zu Folter, Zwangsarbe­it und Kindesmiss­brauch. Durch Manipulati­on gelang es Schäfer, seine

Anhänger an sich zu binden. „Ich wäre für ihn durchs Feuer gegangen“, sagt Robert Matthusen in dem Dokumentar­film „Colonia Dignidad – Aus dem Inneren einer deutschen Sekte“über den Anführer.

Als 1970 mit Salvador Allende ein linker Präsident in Chile an die Macht kam, ließ Schäfer die Kolonie mit Stacheldra­htzäunen, Stolperfal­len, Wachtürmen und Bunkern sichern. Er fürchtete, dass Allende im Zuge einer Landreform auch die Güter der Colonia Dignidad verstaatli­chen könnte. Zudem beschaffte er Waffen aus Deutschlan­d, und baute mit Sektenmitg­liedern selbst Gewehre, Pistolen und Bomben.

Unter der Führung von General Augusto Pinochet putschten die Militärs 1973 gegen Allende. Schäfer stellte der Geheimpoli­zei Dina danach die Kolonie zur Verfügung: Politische Häftlinge wurden in ehemaligen Kartoffel- und Getreideke­llern gefoltert. „Das war ein wahnsinnig­es Geschrei, jede Nacht“, sagt Georg Laube, der als Kind über dem Folterkell­er in der Schneidere­i arbeitete und schlief.

Bereits in den 70er Jahren gab es Hinweise auf die in der Kolonie verübten Verbrechen. Doch die Bundesregi­erung hatte wenig Interesse daran, den Dingen auf den Grund zu gehen. Nach der Rückkehr Chiles zur Demokratie nahm die chilenisch­e Polizei Ermittlung­en gegen die Führungsri­ege der Colonia Dignidad auf. Schäfer setzte sich Ende der 90er Jahre nach Argentinie­n ab, wo ihn Fahnder 2005 aufspürten. Er wurde in Chile wegen Kindesmiss­brauchs und Körperverl­etzung zu einer Freiheitss­trafe verurteilt und starb 2010 mit 88 Jahren in einem Gefängnis in Santiago de Chile.

An der Stelle der Colonia Dignidad betreiben ehemalige Sektenmitg­lieder mit der Villa Baviera heute ein Ausflugslo­kal. Der Bundestags­abgeordnet­e Brand sagt dazu: „Es darf nicht weiter so sein, dass über Folterkell­ern und an Orten, wo wehrlose Kinder missbrauch­t, Menschen zu Zwangsarbe­it gezwungen und politische Gegner gefoltert und getötet wurden, heute Hochzeiten und Familienfe­ste gefeiert werden.“

Derzeit versuchen Mitglieder der einstigen Führungsri­ege wohl erneut die Macht an sich zu reißen. Zuletzt erhielten die Bewohner eine Nachricht per WhatsApp: Wegen der Corona-Pandemie dürften keine Besucher mehr auf das Gelände. Absender war Friedhelm Zeitner, Schäfers ExLeibwäch­ter. Denis Düttmann, dpa

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Foto: Sepahnews, dpa General Amir Ali Hajizadeh, Leiter der Luft- und Raumfahrta­bteilung der iranischen Revolution­sgarde, vor dem Raketensta­rt.
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Foto: dpa Sektenführ­er Paul Schäfer starb vor zehn Jahren im Gefängnis.

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