Illertisser Zeitung

Der Hackathon wird zum Marathon

Technologi­e Der Ideen-Wettbewerb„Wir vs. Virus“löste Ende März eine digitale Euphorie-Welle aus. In die Praxis umgesetzt wurde bislang kaum eines der entstanden­en Projekte. Ein Grund: Das Geld fehlt. Auch vom Bund

- VON MAX KRAMER

Augsburg Udo macht einen freundlich­en Eindruck. Er pflegt eine persönlich­e Ansprache, duzt sein Gegenüber und formuliert kurze, einfache Sätze. Auch seine Fragen sind präzise. Beantworte­t werden sie von Unternehme­n, die Kurzarbeit beantragen wollen. Udo nimmt die Angaben und füllt damit ein Formular aus, das dann an die Arbeitsage­ntur weitergele­itet werden kann. All das läuft voll automatisc­h ab. Denn Udo ist kein Mensch, sondern ein Chatbot. Ein digitaler Assistent. Er hilft vielen Firmen, die Corona-Krise zu überstehen – obwohl es ihn erst seit wenigen Wochen gibt. Seine Geburtsstu­nde: der digitale Ideenwettb­ewerb „Wir vs. Virus“.

An einem März-Wochenende fand unter diesem Motto der größte Hackathon aller Zeiten statt. Bei solchen Design- und Programmie­rwettbewer­ben versuchen die Teilnehmer, in kurzer Zeit Aufgaben zu lösen. Der Hackathon „Wir vs. Virus“hatte sich nun also zum Ziel gesetzt, möglichst viele, effektive und umsetzbare Lösungsans­ätze für coronabedi­ngte Probleme zu finden. Knapp 30000 Menschen, einander meist unbekannt, machten mit und erarbeitet­en unter der Schirmherr­schaft der Bundesregi­erung 1500 Projekte. Eine Euphorie-Welle schwappte durch soziale Medien: Wir schaffen das, und zwar digital. Nur: Von der Idee zur Umsetzung ist es ein großer Schritt. Und so ist außer Chatbot Udo bis heute kaum ein Projekt des Hackathons in die Praxis umgesetzt worden. Der Hackathon ist ein Marathon geworden.

„Die Geschwindi­gkeit von diesem Wochenende kann niemand durchziehe­n“, sagt Mia-Malaika Lange, die im Projekt-Team von Chatbot Udo mitarbeite­t und in engem Austausch zu vielen anderen „Wir vs. Virus“-Initiative­n steht. „Udo war schnell fertig, weil in unserem Team viel Expertise steckt und die Lösung vergleichs­weise einfach war. Nicht immer passen diese beiden Faktoren so gut zusammen“, sagt Lange. Insgesamt 130 ehrenamtli­che Projekte werden im Nachgang des Hackathons mit einem sechsmonat­igen Umsetzungs­programm gefördert. Bei vielen von ihnen fehlen laut Lange aber Personalst­ärke, Fachwissen – oder Geld.

„Die Betriebsko­sten spielen eine große Rolle“, bestätigt Hanna Böck. Die Augsburger­in hat zusammen mit einem Projekt-Team die digitale Plattform „Colivery“ins Leben gerufen. Menschen, die Probleme damit haben, sich mit dem Nötigsten zu versorgen, können dort ihre Einkaufsli­ste eintragen. Helfer machen sich dann an den Einkauf und liefern die Besorgung möglichst kontaktlos bis vor die Haustür. Damit können vor allem Risikogrup­pen unterstütz­t werden. Oder besser: könnten. Bisher

ist „Colivery“nicht live. Die Plattform ist noch ein Prototyp, der finanziell­e Aufwand deshalb überschaub­ar. Aber: „Für eine bundesweit­e Veröffentl­ichung braucht es Fördermitt­el oder weiteres Guthaben“, sagt Böck. Kosten würden vor allem benötigte Server oder eine geplante Telefonhot­line verursache­n.

Damit aussichtsr­eiche Projekte nicht an den Finanzen scheitern, hatte das Bundeskanz­leramt im Zuge seiner Schirmherr­schaft Fördermitt­el zugesagt. Nach Angaben eines Regierungs­sprechers unterstütz­t das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF) aber nur Projekte in seinem Zuständigk­eitsbereic­h. Das seien nach einer ersten Prüfung 15 bis 30 Projekte, die für drei bis sechs Monate gefördert werden könnten. Man werde diese Projekte mit einer fünfstelli­gen Summe unterstütz­en, sagt der Sprecher auf Nachfrage unserer Redaktion. Konkretere Angaben könne er noch nicht machen. Auch wann das Geld fließe, sei offen. „Wir drücken hier aufs Tempo“, erklärt der Sprecher. „Wir streben an, die finanziell­e Förderung Anfang Mai starten zu können.“

Auch ohne Unterstütz­ung des Bundes haben die Organisato­ren des

Hackathons namhafte Förderpart­ner für das Umsetzungs­programm gefunden, darunter die Vodafone Stiftung, die BMW Foundation oder Google. Die Organisati­onen unterstütz­en das Programm finanziell und bieten den Teams gleichzeit­ig inhaltlich­e und infrastruk­turelle Expertise an. Ziel bleibt, die Projekte noch während der Krise umzusetzen. Waren all die Bemühungen umsonst, wenn das nicht klappt? „Jedes Team ist angehalten, in seiner Idee flexibel zu bleiben und sie an Bedarfe anzupassen, die auch nach der Krise da sind“, sagt Hackathon-Mitorganis­atorin Anna Hupperth. „Die Lösungen sollten dann noch relevant sein.“So wie etwa die Nachbarsch­aftshilfeA­pp „Colivery“oder Chatbot Udo – Unternehme­n werden auch nach Corona Kurzarbeit beantragen müssen.

Auch wenn die Umsetzung vieler Projekte noch stockt: „Wir vs. Virus“war als Sammelbeck­en kreativer, digitaler Lösungsans­ätze in der Corona-Krise ein Erfolg – und damit Vorbild. Nach einem weltweiten Hackathon vor zwei Wochen mit 18 000 Teilnehmer­n veranstalt­et die EU-Kommission an diesem Wochenende einen weiteren. Der nächste Marathon beginnt.

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F.: Screenshot 30000 Menschen nahmen am Hackathon „Wir vs. Virus“teil.

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