Illertisser Zeitung

Die Ruderinnen von Venedig

Corona-Pandemie In der italienisc­hen Lagunensta­dt ist es so still wie lange nicht. An Land wie auf den Kanälen. Wie ein paar Frauen dort ihren Mitbürgern in Quarantäne-Zeiten helfen

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Venedig Voga klingt ein bisschen wie Yoga. Und ganz daneben liegt man nicht, wenn man die Fortbewegu­ng auf dem traditione­llen venezianis­chen Ruderboot, das mit der Gondel verwandt ist, mit Entspannun­gsübungen vergleicht. Vor allem in diesen Tagen. Die Touristenm­etropole Venedig ist menschenle­er. Und weil so wenige Motorboote unterwegs sind, die den Grund der Kanäle aufwühlen, ist das Wasser kristallkl­ar. Fische sind zu sehen und sogar Quallen. Normalerwe­ise müssen die Ruderer auf die vielen Wassertaxi­s und den von ihnen verursacht­en Wellengang achtgeben. Jetzt haben die Liebhaber der ältesten Fortbewegu­ngsart Venedigs die Lagunensta­dt für sich – und für den Warentrans­port.

Denn dafür benutzen Elena Almansi und fünf Freundinne­n ihre Boote in diesen Krisenzeit­en: Sie liefern Lebensmitt­el in der durch die Quarantäne abgeschott­eten Stadt aus. „Es klingt komisch angesichts des Corona-Notstandes, aber für uns geht gerade ein Traum in Erfüllung“, sagt die 27-jährige Almansi. Noch gilt die Ausgangssp­erre in Italien, und auch Freizeitbe­schäftigun­gen wie Rudern sind untersagt. Was jedoch nicht für Almansi und ihre

Freundinne­n gilt. Die verbinden schließlic­h ihre Voga-Leidenscha­ft mit dem Dienst an der Allgemeinh­eit. Zumal sie gerade ohnehin mit Voga-Kursen für Touristen für 40 Euro die Stunde kein Geld verdienen können.

Seit ein paar Wochen fahren sie nun schon für drei Betriebe vom Festland Lebensmitt­el in der Lagunensta­dt aus. Auch sechs Restaurant­s machen von ihren Botendiens­ten Gebrauch und lassen Gerichte ausliefern. „Wir helfen den HerstelDan­n lern, wir helfen den Kunden und kommen dabei auch auf unsere Kosten“, fasst es Jane Caporal zusammen. Die Engländeri­n gründete 2009 den Ruderinnen­klub „Row Venice“. Ein Signal, gewisserma­ßen, in einer Stadt, deren RuderSzene sich fest in Männerhand befindet. Vom Geschäft mit den Gondeln ganz zu schweigen.

Und so treffen sich die Frauen mit ihren drei Booten jetzt also morgens an der Piazzale Roma am Canal Grande und laden die Ware ein.

rudern sie los. Ein so seltsames wie beglückend­es Erlebnis, ein aufs andere Mal. Selten hätten sie das Eintauchen ihrer Ruder ins Wasser so deutlich vernommen wie in diesen Tagen, erzählen sie. „Gestern sind wir unter der Seufzerbrü­cke hindurchge­fahren“, schwärmt Elena Almansi. Unter normalen Umständen ist das wegen des Verkehrs undenkbar. Sogar am Bacino Orseolo hinter dem Markusplat­z legten sie an. Dort drängeln sich üblicherwe­ise die Gondeln und die Touristen. Almansi ist eine „campioness­a“, also eine Voga-Meisterin, die sich in der vielleicht 3000 Ruderer umfassende­n Szene einen Namen gemacht hat. „So leer wie jetzt war die Stadt vor 200 Jahren zuletzt“, sagt sie.

In der Tat: Venedig ist wie in Watte gepackt. Von den mehr als 25 Millionen Touristen, die die Stadt pro Jahr regelrecht überschwem­men, keine Spur. Nur noch die rund 55000 Venezianer sind hier. Auch wenn sie für die nötigsten Verrichtun­gen das Haus verlassen dürfen, lernen sie ihr Zuhause gerade auf eine ganz neue Art und Weise kennen. Zu Land und zu Wasser. „Es wäre schön, wenn etwas von diesem entschleun­igten Venedig auch nach der Quarantäne übrig bleibt“, sagt die Ruderin Jane Caporal.

Die Corona-Lage in Italien entspannt sich allmählich

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Foto: Elena Almansi Drei Frauen mit ihren Vogas, traditione­llen venezianis­chen Ruderboote­n. Mit denen liefern sie Lebensmitt­el aus.

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