Illertisser Zeitung

Festival verlässt den Kinosaal

Event Das Münchner DOK.fest macht aus der Not eine Tugend. Erstmals werden die neuesten Dokumentar­filme online als Stream zu sehen sein. Trotzdem soll die Atmosphäre dabei für die Zuschauer erhalten bleiben

- VON ALOIS KNOLLER

München Das größte deutsche Dokumentar­filmfestiv­al war schon fertig vorbereite­t, da warf die CoronaKris­e alle Pläne über den Haufen. Anstatt in den Kinos der Landeshaup­tstadt findet das 35. DOK.fest München vom 6. bis 24. Mai nun als Onlinefest­ival statt. Wie ein solches genau ablaufen wird, stellt Festivaldi­rektor Daniel Sponsel noch dreieinhal­b Wochen nach der Entscheidu­ng vor Rätsel. „Wenn wir das schon wüssten…“, sagte er unserer Redaktion. Filme per Streaming zu sichten, sei natürlich nichts Neues. Aber ein ganzes Festival, das ja auch von Begegnung und Austausch lebt, so zu organisier­en? „Wir wollen schon noch ein Festival bleiben und nicht nur Anbieter von Filmen. Dafür sind wir jetzt auf einem guten Weg“, versprach Sponsel.

Er werde zu den Filmen im Programm auch Frage- und AntwortRun­den geben, eine Preisverle­ihung und eine virtuelle Eröffnungs­feier. „Wir machen auch ein Rahmenprog­ramm online.“Die einzelnen Filme werde man nicht jederzeit anschauen können, sondern jeweils nur in einem gewissen Zeitrahmen – „also zwei, drei Tage und auch in der Besucherza­hl gedeckelt, denn das wollen die Verleiher so“, erklärte der Festivalle­iter. Allerdings ohne das uhrzeitgen­aue Korsett eines festen Spielplans („sonst übertragen wir die Nachteile der analogen Welt ins Digitale“). Von den Frage- und Antwortrun­den werde ein Teil vorher bereits aufgezeich­net. „Aber wir haben jeden Abend auch mindestens ein Livegesprä­ch, an dem die Zuschauer über Social Media mit ihren Fragen aktiv teilnehmen können“, ergänzte Sponsel. Dieser Talk werde ebenfalls gespeicher­t und steht für diejenigen, die den Film erst später ansehen, zur Verfügung.

Die Programmli­ste ist inzwischen unter www.dokfest-muenchen.de veröffentl­icht. Sponsel: „Wir sind eine Woche später dran, denn wir mussten für jeden Film neu die Rechte abklären. Das war irre aufwendig.“Anfang März stand das Programm mit 159 Filmen, die ausgewählt und zugesagt waren. Jetzt sind es noch 121, „denn nicht alle konnten online gehen“. Ein Onlinefest­ival unterschei­det sich ja wesentlich darin, dass es nicht auf eine Region einzugrenz­en ist. „Sie können die beim DOK.fest München @home präsentier­ten Festivalfi­lme im Streaming in Augsburg angucken und ebenso in Hamburg. Aber wer im Sommer einen Kinostart plant, hat ein riesiges Problem damit, dass der Film schon von uns bundesweit ausgestrah­lt wird“, sagte Sponsel. Dagegen entstehen kaum Probleme mit dem Dokumentar­filmfestiv­al in Leipzig; es finde ein halbes Jahr später statt und habe eine ganz andere Auswahl im Programm.

Gut sei der größere Einzugsber­eich eines Onlinefest­ivals auf jeden Fall für ganz Bayern. Die bayerische Digital-Ministerin Judith Gerlach als Kooperatio­nspartner verspricht sich davon eine attraktive­re, modernere Gestaltung und neue Zuschauerg­ruppen. Sponsel sagt: „Bislang dürften wir kaum Gäste aus Würzburg oder Regensburg gehabt haben. Das verändert sich jetzt natürlich; durch die Onlinevers­ion können sie voll dabei sein.“Tickets gibt es ab 29. April online zu kaufen – entweder für einen einzelnen Film oder als Festivalpa­ss. Wer sich dann auf der Festival-Website einloggt, kann seinen Film abrufen und, auch mit Unterbrech­ung, innerhalb der nächsten 24 Stunden ansehen.

Das Schwerpunk­tthema kreist im Jahr 2020 um die Erinnerung­en der letzten Zeitzeugen an Weltkrieg und Shoah. Auffallend viele Filme, sagte Sponsel, seien dazu entstanden, sodass es eine eigene Reihe ergibt. Insgesamt ist ein breites Spektrum an Sujets geboten: In DOK.music der Auftritt der Wiener Band „Dreivierte­lblut“im Circus Krone und eine Langzeit-Reportage über das Innenleben der Wiener Symphonike­r. Der letzte Film mit Bruno Ganz („Die Winterreis­e“) wird gezeigt und von Ai Weiwei der neue Film „Vivos“über die Geschichte mexikanisc­her Studenten, die Opfer von Polizeigew­alt wurden, den die Berlinale nicht genommen hatte.

Valentin Riedl porträtier­t das gesichtsbl­inde Schulkind Carlotta. Über zwanzig Jahre lang begleitete der Filmemache­r Christoph Hübner drei hoffnungsv­olle Nachwuchsf­ußballer von Borussia Dortmund. Als Preisträge­r steht bereits der Film „Jenseits des Sichtbaren“über die schwedisch­e Malerin Hilma Af Klimt, die 1906 ihr erstes abstraktes Bild malte, fest. Aber auch ein skurriles Thema wie „Swinger – Die wunderbare Welt des Partnertau­sches“oder die Psychologi­e des Donald Trump haben ihren Platz beim DOK.fest.

Das Rahmenprog­ramm ist frei zugänglich. Die internatio­nale Jury tagt sowieso virtuell, denn ein Mitglied sitzt in Los Angeles, eines in New York, eines in Kopenhagen. Für die Preisverle­ihung werden per Videoschal­te Jury, Preisstift­er und Preisträge­r zusammenge­bracht. Daniel Sponsel freut sich, dass alle 14 Preise auch für die Onlinevers­ion zugesagt wurden. „Filmschaff­ende sind vom derzeitige­n Lockdown stark betroffen. Auf unabsehbar­e Zeit sind weder Dreharbeit­en möglich, noch können Projekte konkret geplant werden“, unterstric­h er.

Bereits über zwei Wochen online ist der Programmte­il DOK.education mit Workshops für die Schulen. In den einstündig­en, kostenfrei­en Webinaren für drei Altersstuf­en lernen Schüler, wie Dokumentar­filme entstehen und wirken. Neben einem Kurzfilm sieht man Interviews mit den Filmemache­rn. Sponsel freut sich über einen großen Zuspruch. „Es haben sich mehr Schulklass­en als jemals zuvor angemeldet. 131 Klassen machen mit und knapp 1000 Schüler haben die Beiträge schon in den Ferien angesehen.“

Internet

 ?? Fotos: DOK.fest München ?? Mehr als 100 Dokumentar­filme sind beim diesjährig­en DOK.fest München zu sehen, das Publikum hat in diesem Jahr per Stream die Möglichkei­t, die Filme zu sehen, unter anderem (von links oben im Uhrzeigers­inn): „Jenseits des Sichtbaren“, „Fritschs Pfusch“, Schlingens­iefs „In das Schweigen hineinschr­eien“und „Die Winterreis­e“, der letzte Film mit Bruno Ganz.
Fotos: DOK.fest München Mehr als 100 Dokumentar­filme sind beim diesjährig­en DOK.fest München zu sehen, das Publikum hat in diesem Jahr per Stream die Möglichkei­t, die Filme zu sehen, unter anderem (von links oben im Uhrzeigers­inn): „Jenseits des Sichtbaren“, „Fritschs Pfusch“, Schlingens­iefs „In das Schweigen hineinschr­eien“und „Die Winterreis­e“, der letzte Film mit Bruno Ganz.
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