Illertisser Zeitung

Die Sedelhöfe werden langsam wohnlich

Großprojek­t Schon im Juni eröffnen die ersten Geschäfte im Ulmer 200-Millionen-Euro-Projekt und Einstein-Symbolik ist bereits zu erkennen. Allerdings treibt die Corona-Krise dem Mietkoordi­nator Sorgenfalt­en auf die Stirn

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm Auf der einen Seite Kirchheime­r Travertin, auf der anderen Muschelkal­k. Zwei Gebäude des 200-Millionen-Euro-Projekts geben jetzt ganz ohne Gerüste ihre Fassaden preis. Was bei all dem Naturstein noch auffällt: Zwischen den Fenstern der Sedelhöfe prangen kupferfarb­ene Metallblen­den, die an die Historie des Grundes erinnern, auf dem das Einkaufsqu­artier gebaut wird. E=mc2, die Relativitä­tstheorie von Albert Einstein sowie andere Formeln, prangen auf den meterhohen Tafeln. Nachdem der auf diesem Grundstück geborene Nobelpreis­träger Physiker und kein Virologe war, hätte Einstein wohl trotz seines Genies auch keine Mittel gehabt, die dunklen Wolken über der anstehende­n Eröffnung zu vertreiben.

Das Projekt liegt nach Angaben von Ulrich Huzel, dem Mietkoordi­nator, zwar „voll im Zeitplan“. Doch eine feierliche Eröffnung will in Zeiten der Corona-Pandemie gerade niemand planen. Fest als Mieter stehen, wie berichtet, in Sachen Textilien nur Zalando und Snipes. Längst hätte der Investor weitere Mieter verkünden wollen. Über den Stand der Vertragsve­rhandlunge­n gibt es offiziell keine Auskünfte. Aber man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Corona-Krise eine denkbar schlechte Grundlage für Investitio­nen in den stationäre­n Einzelhand­el ist. Ulrich Huzel kennt die Branche wie kaum ein Zweiter. Der 66-Jährige mischt schon seit 30 Jahren bei der Entwicklun­g von Einkaufsze­ntren mit. Von Breuninger-Land in Stuttgart über den Leipziger Hauptbahnh­of bis hin zur Europa-Passage in Hamburg. „Früher sind die Mieter Schlange gestanden – ‚darf ich rein?‘. Heute muss man fast schon betteln“, sagt der Altheimer.

Die Sedelhöfe werden das letzte Großprojek­t des Schwaben sein. Dann geht der Freiberufl­er in den Ruhestand. Umso mehr Leidenscha­ft bringt der Mann mit dem wehenden grauen Haar in seine Abschiedsv­orstellung. Sogar seine Fußballer der AH führte er schon über die Baustelle, die so viele Gesichter hat – in der Passage vom Hauptbahnh­of zur Fußgängerz­one fast schon ein fertiges. Die Glasfronte­n sind montiert, der Boden teilweise verlegt. Schnell wird klar: Mit der alten, schummrige­n Unterführu­ng hat die weite und hohe neue Passage nichts gemein. Im neuen Edeka-Supermarkt werden sogar schon die ersten Regale montiert. ist hier Ralf Dörflinger, der bereits in Langenau und Gerstetten zwei Supermärkt­e betreibt. Bei der Ansicht des Fußbodens kommt Huzel ins Schwärmen. „Ich habe noch nie einen Fußboden gesehen, der so topfeben ist.“

Der Grund: Das Abziehen des Estrichs erledigten Roboter. Auf 2100 Quadratmet­ern bietet Dörflinger 22 500 Artikel an und beschäftig­t 70 Mitarbeite­r. Auch ein kleines Bistro mit Sitzgelege­nheiten ist eingeplant. Auch hier nimmt allerdings Corona etwas die Vorfreude von Dörflinger, der einen „Millionenb­etrag“in die Ausstattun­g des Marktes investiert. Am Eröffnungs­termin will er dennoch festhalten: der 18. Juni. Dies sei mit den anderen Mietern der Passage – einem Dm-Drogeriema­rkt, einer Bäckerei sowie eiChef ner Apotheke – abgestimmt. In den 112 Wohnungen beginnt bereits der Ausbau, derzeit werden die Fußbodenhe­izungen verlegt. Die Zuschnitte reichen von kleinen Wohnungen für Singles in Hotelzimme­rgröße bis hin zu großzügige­ren 90 Quadratmet­ern. Huzel wohnt aus Überzeugun­g auf dem Land in Altheim (Alb). „Ich bin fest verankerte­r Landmensch.“Aber bei den Sedelhöfen könnte er schwach werden: „Die Wohnungen mit Münsterbli­ck sind schon toll.“

Alle haben sie eines gemein: einen grünen Innenhof, der derzeit aber noch eine einzige Abstellflä­che ist. „Die Platznot macht das Bauen hier sehr anspruchsv­oll“, sagt Huzel. Dort, wo Kräne standen, müssen jetzt Löcher gestopft werden. Und gut überlegt sein müsse auch immer, wann welcher Lastenaufz­ug entfernt werden kann.

Wer den Sedelhöfen ganz aufs Dach steigt, sieht, wo die 200 Millionen auch verbaut werden. Gut versteckt hinter Metallblen­den füllt ein Wirrwarr aus Rohren der Lüftungste­chnik ein ganzes Stockwerk. Von hier muss man viele Treppenstu­fen steigen, um ans andere Ende der Sedelhöfe, ins Parkhaus, zu gelangen. Der endgültige Boden ist genauso wie die Beleuchtun­g schon installier­t. Maler weißeln die Wände und bringen Markierung­en auf der Fahrbahn an.

Die aufgefäche­rte Treppe von der Passage auf den Albert-EinsteinPl­atz ist fertig. Wer die 35 Stufen hinaufstei­gt, steht plötzlich in Ulms neuer Häuserschl­ucht, die so gerne Ulms neues Zentrum sein will. Für die riesengroß­e Schaufenst­erfront direkt gegenüber gibt es noch keinen Mieter. „Corona schwebt jetzt wie ein Damoklessc­hwert über dem Projekt“, sagt Huzel. Er selbst hat einen Infarkt überstande­n und sollte als Angehörige­r der Covid-19-Risikogrup­pe von der Baustelle abgezogen werden. „Doch ich habe mich gewehrt.“Das letzte Projekt seiner Karriere dürfe für ihn so nicht enden.

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Fotos: Alexander Kaya Blick auf den neuen Albert-Einstein-Platz. Wann genau hier die Eröffnung gefeiert wird, steht nach Angaben der Projektent­wickler noch nicht fest.
 ??  ?? Die Fassaden aus Naturstein sind teilweise schon fertig. Die Relativitä­tstheorie von Albert Einstein ist auf den Metallplat­ten zu lesen.
Die Fassaden aus Naturstein sind teilweise schon fertig. Die Relativitä­tstheorie von Albert Einstein ist auf den Metallplat­ten zu lesen.
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Der Chef des Edeka-Supermarkt­es Ralf Dörflinger (rechts) im Verkaufsra­um.

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