Eine faire Geste
Erika Körting, Rehling
Bei Kriegsende lebte ich mit meiner Mutti, Omi und zwei Schwestern in einem kleinen Städtchen am Rande des Erzgebirges. Ich war damals sieben und besuchte die zweiten Klasse.
Am Vorabend unserer Befreiung signalisierte die Sirene, dass ein Fliegerangriff bevorstand, der das nahe liegende Eisenbahn-Viadukt treffen sollte. Wir schnappten unsere Rucksäcke mit den notwendigsten Sachen und liefen zum benachbarten Bunker. In meiner Angst hatte ich immer wieder das Bild vor Augen, als beim letzten Bombenangriff auf ein Bauernhaus – alle Bewohner waren tot – eine Kuh über dem benachbarten Dachfirst hing. Der traurige Anblick bot sich tagelang. Nun hörten wir am nächsten Morgen eine laute Befehlsstimme: „Rauskommen!“Vor dem Bunkereingang stand ein Neger mit Gewehr – so einen gab es doch nur im Märchenbuch…
Wir liefen schnell zu unserem Haus, aber was erwartete uns dort? 20 Neger mehr! Einer saß in Omis weißer Schürze am Herd und schlug alle unsere mühsam gehamsterten Eier in die Pfanne. Der Kommandant dieser Truppe erlaubte uns noch, die nötigsten Sachen mitzunehmen, denn bleiben durften wir nicht. Er schloss die im Haus befindlichen Praxisräume zu und gab Mutti die Schlüssel – eine faire Geste des Siegers, damit war unsere Existenz gesichert. Mutti musste ja als Zahnärztin alleine weiterarbeiten. Unser Vati ist schon 1942 auf dem Weg zur Front bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen. Als vorübergehendes Asyl blieb für uns nur das benachbarte Krankenhaus.
Die Amerikaner schossen von unserem Dachboden auf die gegenüberliegende Kastanienallee, wo SS-Leute Gegenwehr leisteten. Unter Kugelhagel und Todesangst bückten wir uns an der Hecke entlang – hinter mir die Omi: „O Gott, o Gott!“– und kamen heil im Krankenhaus an und wurden aufgenommen. Wir hatten aber keine Betten und mussten auf dem Fußboden schlafen. Als nach einiger Zeit die Amerikaner abzogen, konnten wir in unser Haus zurückkehren.